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DDR Chronik 1988 - DDR-Bevölkerung schaute
hoffnungsvoll auf „Gorbi"
Den Sommer des Jahres 1988 dominierte die
Fußball-Europaweltmeisterschaft, die in der
Bundesrepublik ausgetragen wurde und für die die DDR die
Qualifikation durch eine Niederlage gegen die
Sowjetunion nicht geschafft hatte. Doch die Menschen in
der DDR nahmen an diesem internationalen Großereignis
dennoch regen Anteil. Die Möglichkeiten in Rundfunk und
Fernsehen vermitteln durchaus das Gefühl unmittelbarer
Beteiligung. Und schließlich war ja noch eine deutsche
Mannschaft dabei.
Einen
sehr großen Stellenwert hatte auch die Politik der
Sowjetunion,
wo
Michail Gorbatschow (*1931) seit 1985 zum
Generalsekretär der KPdSU aufgestiegen war und eine
andere Art der Staatsführung eingeläutet hatte. Nicht
als Diktator trat er auf, sondern als Reformpolitiker,
der auch der Bevölkerung in der DDR Anlass zur Hoffnung
gab. Seine Worte GLASNOST (Offenheit) und
PERESTROIKA
(Umbau) waren in aller Munde. Und als er im Februar 1988
betonte, dass jeder sozialistische Staat sein
gesellschaftliches System frei wählen könne, hatte er
damit die Herzen der Menschen vielversprechend bewegt.
Gorbatschows Reformdenken ging an der DDR-Regierung
gänzlich vorbei,
denn
es war zu Beginn des Jahres
bereits zu einer Ausbürgerungswelle gekommen, mit der
ein deutliches Zeichen gesetzt werden sollte.
Demonstranten hatten zur Erinnerung an
Rosa Luxemburg
(1871-1919) und deren Satz „Freiheit ist auch immer die
Freiheit der Andersdenkenden“ gegen die Einheitsmeinung
verstoßen. Und sie hatten sich in diesem Sinne zu einer
Demonstration zusammengefunden, die die Führenden als
einen Affront gegen ihre Politik sahen.
Massenverhaftungen waren die Folge. Dieses Ereignis vom
Januar 1988 ließ auch international die Menschen
aufhorchen. Zum ersten Mal war eine Opposition in der
DDR öffentlich erkennbar geworden. Bürgerrechtler hatten
sich schon zu Beginn der
80er Jahre zusammengefunden,
trafen sich in den Räumen der Kirchen und waren durchaus
nicht dabei, der DDR zu schaden. Im Gegenteil, sie
wollten Veränderungen zum Besten ihres eigenen Landes.
Doch in der DDR-Politik war kein Platz vorgesehen für
das Andersdenken, auch nicht für Regime-Kritik und noch
weniger für Veränderungen. Das erfuhren auch die Schüler
in den Schulen, die sich differenziert mit den realen
Gegebenheiten auseinandersetzten. Wer studieren wollte,
der war schlecht beraten, wenn er sich nicht der
gängigen Meinung anschloss. Längst herrschte in den
Schulen eine Doppelmoral, die dem System noch weniger
zuträglich war als eine kritische Äußerung. Gerade die
junge Generation fühlte sich aufgrund derartiger
Bevormundung vor den Kopf gestoßen. Ihr Vertrauen in
eine Politik, die nur eine von staatlicher Seite
verordnete Meinung zuließ, sank zunehmend.
Die DDR-Führung gab klar zu verstehen, dass sie die
Reformpolitik Gorbatschows ablehnte. Zu eingefahren
waren die Gleise, auf denen die DDR seit Jahrzehnten
dahinfuhr, um in ein wirtschaftliches und politisches
Aus zu gelangen ohne es ernsthaft zu bedenken.
Im Nachbarland
Ungarn hatte die Regierung ihren Bürgern
seit dem Jahresbeginn das visafreie Reisen ins Ausland
gestattet, was für viele Menschen in der DDR eine große
Verlockung darstellte, um sich durch den Umweg über
Ungarn und
Österreich in die Bundesrepublik abzusetzen.
Es geschah vereinzelt, aber eine massive Reisewelle
dieser Art gab es noch nicht. Die sollte erst im Sommer
1989 einsetzen. Doch aufgeheizt war die Stimmung im
Lande dennoch. Die Ruhe nach außen, war eine Ruhe vor
dem Sturm.
Wenn es nicht die „
Puhdys“ waren, die Gruppe „Karat“,
die 1978 mit ihrem Titel „Über sieben Brücken
musst du geh’n“ Furore gemacht hatte oder auch „Stern Meißen“,
dann drängten sich die Jugendlichen in Berlin an der
Mauer, um etwas von Michael Jacksons (1958-2009) Konzert
vor dem Reichstagsgebäude im Westen der Stadt
mitzubekommen. Das war kein reines Vergnügen, denn die
Präsenz der Volkspolizei empfanden die jungen Leute als
Provokation, zeigte es ihnen doch zum x-ten Mal, wie
eingesperrt sie waren. Die massiven Auseinandersetzungen
blieben als Folge davon nicht aus. Es gab keine
Ankündigungen in der Zeitung, keine Rundfunkmeldungen
und doch wusste die ganze musikinteressierte Jugend
Bescheid darüber, dass am 7. März „
Depeche
Mode“ in
Berlin auftreten würde, in Ostberlin. Fans gab
es zur Genüge. Eine Karte konnte man für 14,95 Ost-Mark
erwerben, doch die begehrten Tickets waren vor allem den
ausgewählten Mitgliedern der Jugendorganisation FDJ
(Freie
Deutsche Jugend) vorbehalten. Schließlich war es
ja ein „Geburtstagskonzert“, denn das Konzertdatum war
das Gründungsdatum der FDJ im Jahr
1946. Die Fans
boten Fantasiepreise, um eine Karte zu bekommen. Es gab
Fälschungen und Gerangel. Derart seltene Ereignisse
konnten nicht annährend den „Musikhunger“ der jungen
Leute befriedigen, denen natürlich auch der Sinn nach
internationalen Künstlern stand. In der
Werner-Seelenbinder-Halle kamen wenigstens 6000 Fans in
den Genuss dieses Konzertes und es war grandios!
Musik aus den internationalen
Charts wurde im
DDR-Rundfunk nur in geringem Maße gespielt. Es galt
immer noch die Verordnung 40%/60% und so waren die
meisten Titel natürlich von Rockgruppen oder Sänger des
eigenen Landes. Immerhin gab es das „Jugendradio DT 64“,
das seit zwei Jahren existierte und das mit seinem
Programm fast rund um die Uhr auf die jugendliche
Zielgruppe ausgerichtet war. Hier hatte man sich bereits
mit der Programmgestaltung an westlichen Vorbildern
orientiert. Es gab keine Hit-Paraden, wie sie auf
internationaler Ebene üblich waren. Verkaufzahlen waren
ohnehin kein Kriterium für Popularität. Hits ergaben
sich durch Hörer-Abstimmungen. Im Jahr 1988 gehörte u.
a. „Ich liebe Dich“ von „Rockhaus“ dazu. Die Gruppe
hatte sich der Neuen Deutschen Welle und dem New Wave
verschrieben und gehörte seit zehn Jahren zu den
beliebtesten Gruppen inder
DDR.
Auf sportlicher Ebene war es die Eiskunstläuferin
Katarina
Witt (*1965), die während der gesamten 80er
Jahre einen Erfolg nach dem anderen einheimste. Auf
höchster Ebene, aber auch beim Publikum. Und dass sie in
diesem 88er Jahr mit ihrer legendären Carmen-Kür bei den
Olympischen Winterspielen in Calgary brillierte,
untermauerte ihre Beliebtheit einmal mehr. Dazu kamen
ihre Goldmedaille bei der Weltmeisterschaft und der
Europameistertitel, den sie in
Prag holte.
Das alles zum wiederholten Mal. „Kati“ Witt war eine
Erfolgssportlerin, die ihr Land würdig zu vertreten
verstanden hatte.
Das Sport-Wunderland, wie die DDR mitunter in der
ausländischen Presse benannt wurde, stand auch in Seoul
bei den Olympischen Sommerspielen glänzend da. Insgesamt
102 Medaillen, davon 37 goldene, erkämpften die Sportler
für die DDR und hatte damit den zweiten Platz in der
Medaillenwertung hinter der Sowjetunion belegt. Ein
Erfolg, der seitenweise die Presse füllte. Der
Breitensport und der Hochleistungssport gehörten
zweifelsohne zum Renommé des Landes. Beides war gut
durchorganisiert und wurde mit System gefördert.
Der Sport war nicht das Einzige, was die Menschen
bewegte. Das modische Interesse, vor allem das der
Damen, tendierte zu praktischer, die Weiblichkeit
betonender und adrett aussehender Kleidung. Frau wollte
die Möglichkeit haben, vorhandene Teile zu kombinieren.
Der breitschulterige Stil war noch nicht aus dem
Straßenbild verschwunden und auch noch nicht aus den
Geschäften. Die Modezeitschriften zeigten farbenfrohe
und schicke Mode, die man teilweise kaufen konnte, weil
sie zur Massenkonfektion gehörten. Man konnte sie aber
auch selbst nähen. Das war gleichfalls noch nicht aus
der Mode gekommen. Doch die DDR-eigenen Modeschöpfer
hatten sich mittlerweile einen guten Namen gemacht,
waren kreativ und versuchten sich zu etablieren. Ihre
Orientierung war dabei nicht nur auf westliche Trends
gerichtet, sondern bewies durchaus einen jungen und
vielversprechenden, individuellen Charme. Für die Männer
waren meist Bundfaltenhosen angesagt, die man mit Hemd
und Weste kombinierte. Es sah in jedem Fall flippig und
zeitgemäß aus. Und der Einfluss der polnischen Mode war
auch nicht zu übersehen. Für manche Menschen war es
sogar zur Gewohnheit geworden, ins Nachbarland zu fahren
und sich dort mit den neusten Klamotten einzudecken.
Wie straff die DDR-Führung aber dennoch ihre Zügel
hielt, zeigte sich im November daran, dass die
sowjetische Monatszeitschrift „Sputnik“ aus dem Handel
genommen wurde, sie wurde faktisch verboten. Dass man
die Presse des „großen Bruders“ verwehrt bekam, war
schockierend. Die Aktionen der Gegenwehr waren noch
klein, aber es gab sie schon. Die Haltung der
Funktionäre des Zentralkomitees der SED wurde zum Ende
des Jahres noch einmal ausdrücklich formuliert. Doch die
strikte Ablehnung der Reformpolitik der UdSSR, die für
die Menschen in der DDR eine Hoffnung war, war der
Führung ein spitzer Dorn im Auge. Für sie galt es, ihre
Linie unveränderlich durchzuziehen und mit dem Verbot
des „Sputnik“ war damit ein mehr als fragwürdiger Anfang
gemacht worden. Mit logischen Folgen...
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