Biografie
Gustav Stresemann Lebenslauf
Die positive historische Erstaunlichkeit der
Deutsch-Französischen Freundschaft, die kurz nach
dem
Zweiten Weltkrieg begründet worden ist, ging zum
erheblichen Maße auf das politische Wirken der
Staatsführer Charles de Gaulle und Konrad Adenauer
zurück. Nach vielen Generationen von
nationalistischen Scharfmachern ständig neu
angefachter Verächtlichmachung der jeweiligen
Gegenseite, nach Kriegen und Besatzungen, war die
angeblich so zementierte Deutsch-Französische
Erbfeindschaft auf den Müllhaufen der Geschichte
gelandet.
De Gaulle und
Adenauer haben bei ihrem Erfolg, das
deutsch-französische Verhältnis zu gesunden, an das
verdienstvolle Bemühen zweier Landsleute anknüpfen
können. Die beiden Außenminister Aristide Briand und
Gustav Stresemann hatten in den
1920er Jahren in
Zusammenarbeit maßgeblich wichtige internationale
und bilaterale Entwicklungen auf den Weg gebracht,
die zwar durch Weltwirtschaftskrise und dem damit
verbundenen massiven, im Ergebnis Diktaturen und
Krieg verschuldenden Bedeutungszunahme
antidemokratischer Kräfte abgebrochen worden sind,
aber letztlich für den Aufbau einer freiheitliche
Nachkriegsordnung von großer Bedeutung wurden.
Gustav Stresemann war aber nicht nur wegen seiner
Kooperation mit Briand einer der wichtigsten
politischen Akteure der
Weimarer Republik. Am Anfang
seiner bis zu seinem Tode
1929 dauernden
sechsjährigen Amtszeit als Außenminister stand er im
Krisenjahr 1923 als Reichskanzler für drei Monate
auch an der Spitze der Regierung. Davor hatte er
sich als einer der profiliertesten bürgerlichen
Politiker der Liberalen einen Namen machen können.
Ein Politiker, der - bei aller Kritik an einigen
seiner Ansichten - in den zwar nicht wirklich
„goldenen“, aber doch durchaus Chancen auf eine
gedeihliche Entwicklung in Richtung Frieden,
Demokratie und Wohlstand versprechenden Jahren
zwischen 1923 und 1929 Großes geleistet hat.
Gustav Ernst Stresemann kam am
10. Mai 1878 als Sohn
in Berlin als Sohn von Mathilde und Ernst Stresemann
(Gastwirt) in der Köpenicker Straße 66 im
innerstädtischen Berliner Stadtviertel Luisenstadt
zur Welt. Die Eltern ermöglichten dem jüngsten ihrer
acht Kinder den Besuch des Gymnasiums. Damit boten
sie ihrem Sohn die Chance für den in damaliger Zeit
eher ungewöhnlichen sozialen Aufstieg aus dem
kleinbürgerlichen Milieu durch Bildung. Nach dem
Abitur
1897 studierte Stresemann in
Berlin und
Leipzig. 1901 beendete er das Studium der
Nationalökonomie (Volkswirtschaftslehre) mit der
Promotion.
Nach dem Studium arbeitete Stresemann für
Wirtschaftsverbände. Von 1902 bis 1919 war er unter
anderem Geschäftsführer des auf seine Initiative hin
gegründeten und bald zu den wichtigsten Verbänden im
Reich zählenden Verbands sächsischer Industrieller.
Bei seiner Arbeit lagen ihm nicht nur die
Wirtschaftsinteressen der Kapitaleigner am Herzen.
Im Sinne einer für beide Seiten vorteilhaften
Kooperation versuchte er auch sozialpolitische
Ansprüche der Arbeitnehmerseite zu berücksichtigen.
In dieser Hinsicht kann Stresemann auch als einer
der frühen Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft
angesehen werden.
Parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit baute
Stresemann seine politische Karriere im
nationalliberalen Lager auf. Die Betonung
kaisertreuer und nationalistischer Positionen unter
Betonung der aggressiven Kolonial- und
Flottenpolitik der spät Wilhelminischen Zeit brachte
1907 einen Sitz im Reichstag ein, den er mit kurzen
Unterbrechungen (1912 bis 1914, 1918/19) bis zu
seinem Tode verteidigen konnte.
Der aus Gesundheitsgründen für den Militärdienst
untaugliche Monarchist setzte sich im Ersten
Weltkrieg für großflächige Annexionen unter anderem
in Belgien und Nordfrankreich ein. Auf der anderen
Seite befürwortete er noch zu Kriegszeiten eine
Stärkung des parlamentarischen Gewichts und eine
größere Einbindung der Unterschichten in das
politische System durch Abschaffung des an
Feudalzeiten erinnernden preußischen
Dreiklassen-Wahlrechts.
Der
Novemberrevolution 1918 stand Stresemann
ablehnend gegenüber, sah in ihr aber schließlich die
Chance, ein auf Leistung des Einzelnen und nicht auf
Klassenherkunft aufgebautes Gesellschaftsmodell zu
verwirklichen. Als Alternative zur im November 1918
gegründeten sozialliberalen DDP (Deutsche
Demokratische Partei) gründete Stresemann die
nationalliberale DVP (Deutsche Volkspartei).
Stresemann blieb bis zu seinem Tod
Parteivorsitzender, dieser bei den Wahlen zur
Nationalversammlung
1919 lediglich 19 Sitze (4,4, %
der Stimmen) erhaltenen Partei. Bei den vier
zwischen 1920 und
1928 folgenden Reichstagswahlen
konnte die Stresemann-Partei mit Wahlergebnissen von
neun bis vierzehn Prozent erheblich zulegen und sich
so als gewichtige politische Kraft etablieren.
Stresemann entwickelte sich vom Republik-Ablehner
zum republikverteidigenden Realpolitiker, der eine
Zusammenarbeit der gemäßigten Links-Mitte-Parteien
SPD, Zentrum, DDP und DVP als einzige Option zu den
auf Konfrontation und Spaltung abstellenden Kräften
der Radikalen auf der linken und rechten Seite
erkannte.
Am
13. August 1923 nahm er das Angebot des
Reichspräsidenten Ebert (SPD) an, die
Regierungsführung zu übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt
befand sich die Weimarer Republik in einer ihre
größten Krisen. Der von der Reichsregierung und der
deutschen Öffentlichkeit unterstützte passive
Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebiets durch
französische und belgische Truppen (“Ruhrkampf“)
hatte eine Hyperinflation ausgelöst. Die Inflation
ruinierte das Sparvermögen der Bevölkerung und ließ
die deutsche Wirtschaft beinahe kollabieren. Zudem
bedrohten linke beziehungsweise rechte
Aufstandsentwicklungen in
Sachsen und
Thüringen
(„Deutscher Oktober“) sowie in Bayern die Einheit
des Reiches.
Den Ruhrkampf beendete Stresemann durch Aufgabe des
passiven Widerstands (26.9.1923). Der dafür von der
Rechten als „Volksverräter“ verunglimpfte Kanzler
konnte danach auch die Währungssituation durch
Einführung der Rentenmark, die 1924 durch die
Reichsmark ergänzt wurde, entscheidend verbessern.
Die Einführung der Rentenmark führte zu einer nahezu
schlagartigen Erholung der wirtschaftlichen
Situation und damit zum Beginn der bis zum
Börsencrash 1929 dauernden „
Goldene Zwanziger
Jahre“.
Mithilfe der Reichswehr wurde der Deutsche Oktober
in Sachsen und
Thüringen unterdrückt, ein
KPD-Aufstand in Hamburg niedergeschlagen. Im
Gegensatz zum Einsatz gegen Linke war die
Reichswehrführung unter General von Seeckt nicht
bereit, in einer Reichsexekution gegen das
abtrünnige, von rechten Kräften regierte Bayern
vorzugehen. Im Zusammenhang mit dem gescheiterten
Hitlerputsch am 9. November 1923 löste sich die
Bayernkrise schließlich vor allem wegen der inneren
Zwistigkeiten im rechten Lager. Das ungleiche
Vorgehen der sich gegenüber der verfassungswidrig
eine eigene Politik verfolgenden Reichswehr machtlos
gezeigten Regierung Stresemann führte zum Konflikt
mit Koalitionspartner
SPD. In Folge stellte
Stresemann am 22. November 1923 im Reichstag die
Vertrauensfrage. Die für Stresemann negative
Abstimmung beendete seine wenig mehr als 100 Tage
währende Reichskanzlerschaft.
In den Kabinetten der ihm folgenden Reichskanzler
Marx (
Zentrum), Luther (parteilos) und Müller (SPD)
blieb Stresemann durchgängig bis zu seinem Tod für
das Auswärtige Amt, das er schon als Kanzler in
Personalunion geleitet hatte, als Minister
verantwortlich.
Stresemanns im Ruhrkampf deutlich gewordene
Überzeugung, nur dann außenpolitisch für Deutschland
wirksam werden zu können, wenn die Standpunkte der
anderen Mächte ehrlich mitberücksichtigt werden,
hatte ihm den Respekt ausländischer Politiker
eingebracht. Insbesondere in
Frankreich setzten sich
Stimmen wie die von Aristide Briand vermehrt durch,
die auf Kooperation mit Deutschland statt auf
unversöhnliche Revanche abstellten.
Erster Meilenstein auf dem Weg zur
deutsch-französischen Annäherung war der Dawes-Plan
(1924), durch die Deutschlands
Reparationsverpflichtungen vermindert wurden. Es
folgte
1925 das Vertragswerk von Locarno mit
Frankreich und Belgien (1925), in dem Deutschland
die Abtretung von Elsass-Lothringen sowie
Eupen-Malmedy anerkannte und beide Seiten
Gewaltverzicht vereinbarten. Im Gegensatz zur
Aussöhnung mit den Westmächten lehnte Stresemann
allerdings eine Anerkennung der durch den Versailler
Vertrag veränderten Ostgrenzen ab. Briand und
Stresemann bekamen für Locarno gemeinsam den
Friedensnobelpreis
1926 verliehen. Im selben Jahr wurde
durch einen Freundschaftsvertrag die Beziehung zur
Sowjetunion verbessert.
Weiterer Höhepunkt 1926 war die Aufnahme des
Deutschen Reiches in den Völkerbund. Stresemann war
es sogar gelungen eine Vermehrung der Sitze im
Völkerbundrat, dem obersten Gremium des
Völkerbundes, zu erreichen und Deutschland dort
einen ständigen Sitz zu sichern. 1928 war Stresemann
dann maßgeblich am Zustandekommen des im
Völkerstrafrecht große Bedeutung erlangenden
Kriegsächtungs-Abkommens Briand-Kellogg-Pakt
beteiligt.
Der äußerlich robust wirkende, aber chronisch unter
gravierenden Herz- und Stoffwechselerkrankungen
leidende Gustav Stresemann starb wohl im
Zusammenhang ständiger Arbeitsüberlastungen am
3.
Oktober 1929 in seiner Geburtsstadt an einem
Schlaganfall. Stresemann hinterließ Frau Käthe
geborene Kleefeld und zwei Söhne.
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Steckbrief
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n.n.v.