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DDR Chronik 1983 - Strauß und der Millionenkredit für die DDR

Ausgerechnet der Name des bayerischen CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß (1915-1988) machte 1983 in den politischen Diskussionen der DDR-Bürger am Stammtisch immer wieder die Runde. Natürlich erst recht auf Regierungsebene. Strauß – der Name stand für einen Milliarden-Kredit aus dem Westen, der in der Wirtschaft der real existierenden DDR viele Löcher stopfen musste. Von diesen Löchern stand in den Zeitungen nichts, aber unterschwellig kroch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung auf allen Ebenen aus ihren Winkeln. Die Menschen orientierten sich schließlich nicht nur an der „Aktuellen Kamera“, der politisch korrekten Nachrichtensendung im DDR-Fernsehen, sondern weit mehr an der „Tagesschau“. Beide Informationsquellen spiegelten in ihrer Gegensätzlichkeit eine Situation im Land wider, die unbefriedigend war. Trotz des Milliarden-Kredits vom „Klassenfeind“.
Inzwischen war die DDR 34 Jahre alt und die Mauer stand schon 22 Jahre, trennte Familien, verschloss den Menschen eine eigene Sicht auf die Welt und hatte bereits zahlreiche Todesopfer gefordert.
Dass sich in jenem Jahr erstmals ein Regierender Bürgermeister von Berlin (West) zu einem offiziellen Besuch beim Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker (1912-1999) einfand, erhöhte nur partiell die Hoffnung auf eine echte Polit-Öffnung. Dennoch war das Treffen Honeckers mit Richard von Weizsäcker (*1920) ein kleines Zeichen der Annäherung der beiden Berliner Stadtteile, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Dessen ungeachtet hatten mehrfach Todesfälle von Transitreisenden an der DDR-Grenze Schlagzeilen gemacht, die für die Regierungen beider deutschen Staaten in ihrer politischen Zusammenarbeit nicht gerade förderlich waren. Erich Honecker sagte wegen derartiger Vorfälle und den darauf folgenden Auseinandersetzungen einen Besuch in Bonn ab und als das Mitglied des DDR-Politbüros und ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen der DDR-Planwirtschaft, Günter Mittag (1926-1994), nach Bonn reiste, hielt Bundeskanzler Helmut Kohl (*1930) wegen derselben Vorfälle die Türen verschlossen, ohne den DDR-Politiker zu empfangen. Es herrschte auf vielen Ebenen eine Stimmung der Gegensätze und der Unversöhnlichkeit, die den Gedanken an eine Wiedervereinigung längst unvorstellbar gemacht hatte. Doch der Wunsch nach einer Veränderung in Richtung Freiheit gärte, vor allem in der jungen Generation. Für sie war Freiheit durchaus nicht nur die „Einsicht in die objektive Notwendigkeit“, wie die Begriffsdefinition in der Schule gelehrt wurde.
Einen Hauch von kultureller Freiheit brachte Udo Lindenberg (*1946) ins Land. Auch wenn das Publikum im Palast der Republik, dem Prunkpalast, der von der Bevölkerung auch als „Lampenladen“ benannt wurde und dessen Grundsteinlegung zehn Jahre her war, aus ausgewählten und politisch überprüften Zuschauern bestand, wurde der Auftritt des westdeutschen Rockstars Aufsehen erregend. Unglaublich, dass der direkte Appell an den Staatsratsvorsitzenden Honecker in seiner ganzen Ironie gleichsam eine politische Botschaft war, die sich die DDR-Regierung gefallen lassen hatte. Der „SONDERZUG NACH PANKOW“ war ein Highlight, mit dem Lindenberg die Herzen der Ostdeutschen wärmte.
Ein kleines Highlight war auch, dass Honecker im Oktober, zwei Tage vor dem Geburtstag der DDR, ankündigte, die Selbstschussanlagen an der deutsch-deutschen Grenze abbauen zu lassen, was tatsächlich innerhalb von vier Wochen realisiert worden war.
Auf sportlicher Ebene war es wieder eine DDR-Eiskunstläuferin, die international Schlagzeilen machte – Katarina Witt (*1965). Es war nach DDR-Meistertiteln ihr großer Aufstieg auf die Siegerpodeste, den sie 1983 mit der Goldmedaille bei der Europameisterschaft begann. Die Kontinuität auf dem Eis und die Erfolge der Läufer waren schon fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Dass die DDR-Sportler ihr Land auch in eisfreien Disziplinen erfolgreich zu vertreten verstanden, zeigte sich im Sommer bei den 1. Weltmeisterschaften der Leichtathletik in Helsinki. In der Länderwertung hatte die DDR mit zehn Goldmedaillen, sieben Silbermedaillen und fünf Bronzemedaillen die Nase vorn. Die BRD hatte den 5. Platz in der Länderwertung erreicht und da die DDR ihre sportlichen Erfolge wie ein Politikum würdigte, schien die Regierung nach dieser Weltmeisterschaft milde gestimmt zu sein. Personenkult um Sportler war ohnehin an der Tagesordnung.
In den Theatern war eine erstaunliche Entwicklung zu beobachten, nicht erst seit dem Jahr 1983. Was vordem fast ausschließlich die Kabarettbühnen anboten, das konnte man auf ausgefeilte Weise nun auch auf der Theaterbühne erleben – nämlich ernsthafte, kritische Auseinandersetzungen mit dem real existierenden Sozialismus, wie der Zustand im Land politisch korrekt hieß. Dramatiker wie Heiner Müller (1929-1995), Volker Braun (*1939) und Peter Hacks (1928-2003) polarisierten mit ihren Stücken, füllten die Häuser und hatten längst auch über die DDR-Grenzen hinaus, in der Bundesrepublik Aufmerksamkeit erregt. Allerdings auch bei den SED-Funktionären und den Mitarbeitern der Staatssicherheit. Es war bezeichnend, dass auf Grund der wachen und durchaus positiv gemeinten Kritik der Künstler, in den Reihen der Parteigenossen eher Ängstlichkeit als konstruktives Mitdiskutieren zu erleben war. Doch das änderte nichts daran, dass die Theater sich zu Kulturstätten gemausert hatten, die wegen ihrer teilweise sehr mutigen Inszenierungen ins Visier der Herrschenden gerückt waren.
Einfacher und für die Regierung besser überschaubar waren dagegen große Ereignisse, aus denen sich ein Zusammenhang mit der Diktatur des Proletariats basteln ließ wie beispielsweise der 500. Geburtstag des Reformers Martin Luther (1483-1546). Das Ergebnis war immerhin eine neu restaurierte Wartburg, die Burg bei Eisenach, die im April in neuem Glanz ihre Besucher empfing. Auch der in hochkarätiger DDR-Besetzung produzierte Fünfteiler „Martin Luther“ kam anlässlich des Jubiläums ins Fernsehen und war ein Pendant zu der gleichnamigen BRD-Produktion, die bereits im April des Jahres 1983 ausgestrahlt wurde. Zwei Filme, zwei Länder, zwei Sichtweisen.
Die DDR-Mode in jenem Jahr hatte längst neben der Orientierung an internationalen Trends auch eine eigene Umsetzung erfahren. Nicht Glamour und Exklusivität waren der Hingucker, sondern insgesamt immer noch eine Bekleidung, die aus pflegeleichtem Material gefertigt war. Allerdings war die Konfektionsindustrie nicht schnell genug. Immer wieder war Einfallsreichtum gefragt oder ein tiefer Griff in den Geldbeutel, um sich schicke Mode in einem der „Exquisit“-Läden zu kaufen. Während die Jugendmode immer ein wenig frech aussah, hatten die Textilien der reiferen Frauen eine breite Schultersilhouette. Schließlich hatte der Einfluss von TV-Serien wie „Dallas“ oder „Denver Clan“ nicht an
der Mauer Halt gemacht. Auch wenn durch die osteuropäischen Nachbarländer ein wenig zusätzlicher Schwung ins Modegeschehen kam, so musste sich die DDR-eigene Mode durchaus nicht verstecken. Ideen hatten die Modeschöpfer genug und bei genauem Hinsehen konnte man sogar erkennen, wie ernst es ihnen war mit der eigenen Fantasie und dem Quäntchen Mut, sich von den gealterten SED-Funktionären nicht alles vorschreiben zu lassen. Dass die Modefotografen ihre Mannequins zu todernsten Gesichtern anhielten, damit sie nicht dem Strahle-Bild der sozialistischen Norm-Frau glichen, war nur eines von vielen Details, die ein aufmerksames Auge zu sehen bekam. Auch der besondere Stil der aus Großbritannien über Westdeutschland langsam in die DDR hinüberschwappte, vor allem zunächst nach Berlin, ließ aufhorchen, bzw. aufblicken – die Punk-Kultur. Auffallen um jeden Preis, zeigen, dass man nicht mit dem Strom oder wie ein Goldfisch im Glas im ummauerten Land herumschwamm – das war sehr mutig, gerade angesichts der Tatsache, dass alle, die sich auffällig verhielten oder kleideten, mit Repressalien rechnen mussten.
Die achtziger Jahre waren eine Zeit, die landesweit auch mit dem spritzigen Humor der „Big Helga“ in einem Atemzug genannt werden. Die Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin Helga Hahnemann (1937-1991) hatte in diesem Jahr eine Langspielplatte auf den Markt gebracht („Jetzt kommt die Süße“), die heute noch Kultcharakter hat. Die Henne, wie die Berlinerin auch liebevoll bezeichnet wurde, war damit auch namensgebend für den späteren Publikumspreis „Goldene Henne“.
Rockbands (u. a. „Silly“) etablierten sich, waren mit ihrer Musik und ihren Text oft hart an der Grenze der Zensur. Das hatten sie mit den Liedermachern gemein, denn die erfuhren besonders nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann (*1936) im Jahr 1976 besondere Aufmerksamkeit von staatlicher Seite. Suspekt waren den Regierenden auch die Aktivitäten von Bärbel Bohley (1945-2010) und Ulrike Poppe (*1953), die in der Initiative „Frauen für den Frieden“ die angehenden Bürgerrechtlerinnen erkennen ließen, im Dezember verhaftet und Ende Januar 1984 nach massiven Protesten wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren.
Zu spüren war deutlich, dass die DDR erwachsener geworden war und die Diktatoren des Proletariats mit ihrem Volk großzügiger umgehen mussten, wollten sie nicht den Volkszorn heraufbeschwören.
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