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DDR Chronik 1984 - Prager Botschaft zeigte die
ganze Krise der DDR
Auf sportlicher Ebene war die DDR weltweit in aller
Munde, denn sie ging als erfolgreichste Mannschaft aus
den Olympischen Winterspielen hervor, die im
jugoslawischen Sarajevo stattgefunden hatten. Getreu dem
Sprichwort, wenn es dem Esel zu bunt wird, geht er aufs
Eis tanzen, holte
Katarina
Witt (*1965) eine Medaille nach der anderen,
wurde nicht nur Olympiasiegerin in Sarajevo, sondern
holte für die DDR auch den Weltmeistertitel in Ottawa
(Kanada). Ihre Leistungen und ihr „Tanz auf dem Eis“
entsprachen dem Sprichwort wohl kaum, denn zu bunt war
es der Eiskunstläuferin sicher nicht geworden. Sie
gehörte ja zu den
privilegierten
Persönlichkeiten des Landes. Wohl aber war es anderen
Bürgern der DDR zu bunt geworden.
Gleich zu Jahresbeginn waren die oppositionelle Malerin
Bärbel Bohley (1945-2010) und die Bürgerrechtlerin
Ulrike Poppe (*1953) in den Hungerstreik getreten,
nachdem die Staatssicherheit die beiden Frauen im
Dezember des Vorjahres verhaftet hatte. Mit dem
Hungerstreik untermauerten sie ihren Willen, sich nicht
in den Westen abschieben zu lassen. Proteste aus dem In-
und Ausland, die sich gegen die Inhaftierung richteten,
bewirkten schließlich, dass man die Beiden bald wieder
freilassen musste. Die Krisenstimmung in der DDR war
nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören. Zudem
hatten sich ja auch zahlreiche Bürger des Landes in der
BRD-Botschaft in Prag und auch in Berlin verschanzt, um
ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Ihnen ging es
dabei nicht mehr um Veränderungen im eigenen Land, sie
wollten einfach nur weg. Daran konnte
auch die
glorreiche Meldung der Übergabe der zweimillionsten
Wohnung nichts mehr ändern. Dieser Erfolg im
Wohnungsbauprogramm war ein Tropfen auf den heißen
Stein, das Fass war vom Überlaufen bedroht. Das belegte
einmal mehr die Tatsache, dass selbst innerhalb der
Familien der Regierungsmitglieder nicht alles
parteikonform ablief. Die Nichte des
DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph (1914-1999) und
damit der Politiker selbst, gerieten in die
Schlagzeilen, weil die Nichte selbst zu denen gehörte,
die sich mit ihrer Familie in der Prager BRD-Botschaft
aufgehalten hatte und dann in die Bundesrepublik
ausreisen durfte. Mehr als dreißig anderen Flüchtlingen,
die in Prag den Schutz der BRD-Botschaft gesucht hatten,
wurde eine schnelle Ausreise seitens der DDR-Behörden
zugesichert.
Im Jahr 1984 hätte es beinahe zwei kulturelle Highlights
gegeben, die besonders der Jugend gefallen hätten. Die
Kölner Rock-Gruppe „
BAP“ war zu Jahresbeginn angekündigt
gewesen und der Rockmusiker
Udo Lindenberg sollte im Mai
eine DDR-Tournee beginnen. Beide Events wurden abgesagt,
weil sich die Künstler weigerten, sich nach den Wünschen
der DDR-Funktionäre zu verbiegen. Lange Gesichter der
Fans und Enttäuschung waren die Folge. In Sachen
Kulturpolitik konnte nach solchen Vorfällen auch nicht
gerade die Rede sein. Wenigstens wurde der neue
Friedrichstadtpalast spektakulär eröffnet und wurde –
wie die das alte Revuetheater – schnell zu einem
ausverkauften Haus, für das man seine Eintrittskarten am
besten durch Beziehungen erwarb – oder gar nicht. Die
Jugend, vor allem die ausgewählten
Mitglieder des
Jugendverbandes Freie Deutsche Jugend – FDJ – vergnügten
sich im Juni drei Tage lang in Berlin auf dem
„Nationalen Jugendfestival der DDR“ in Berlin. Na ja,
ein Besuch in der Hauptstadt war letztendlich auch nicht
schlecht, denn dort konnte man durchaus etwas
ertragreicher einkaufen als in der restlichen DDR.
Die DDR-Sportler, die sich schon auf eine Attraktion –
nämlich die Olympischen Sommerspiele in Los Angeles –
gefreut hatten, mussten auch eine große Enttäuschung
einstecken. Nachdem die Sowjetunion ihre Teilnahme
abgesagt hatte, folgten die anderen Ostblock-Staaten,
und natürlich auch die DDR, dem Beispiel des „Großen
Bruders“ und boykottierten diese Spiele in Amerika
ebenfalls.
Es machte 1984 der Führung des Landes vielleicht schon
Kopfzerbrechen, dass die Ständige Vertretung der BRD in
der Hauptstadt der DDR geschlossen werden musste,
wenigstens vorübergehend, weil sie mit ausreisewilligen
Flüchtlingen überfüllt war. Wie marode die
Gesamtsituation, aber hauptsächlich die wirtschaftliche,
zu jenem Zeitpunkt schon war, zeigte auch die Tatsache,
der zinslose Überziehungskredit im deutsch-deutschen
Handel auf 850 Millionen DM erhöht wurde. Zudem hatte
die Bundesrepublik wie im Vorjahr für einen
950-Millionen DM-Kredit an die DDR die Bürgschaft
übernommen. Die DDR versprach dafür Erleichterungen im
innerdeutschen Verkehr. Das betraf aber in erster Linie
die Rentner. Für alle
anderen reiselustigen oder
weltoffenen Gemüter hatten diese Erleichterungen noch
keine Konsequenz. Von Erleichterung konnte allerdings im
Fall Petra Kelly (1947-1992) von den Grünen und dem
fraktionslosen Gert Bastian (1923-1992) keine Rede sein,
denn ihnen wurde die Einreise in die Hauptstadt der DDR
verweigert. Gründe, weswegen man ihnen den privaten
Besuch versagte, wurden nicht genannt.
Der DDR-Staatsratsvorsitzende
Erich Honecker (1912-1994)
hätte die Möglichkeit gehabt, in die BRD zu reisen. Für
Mitte September war ja auch ein Besuch geplant gewesen.
Er sagte diesen Besuch kurzerhand ab, weil ihm der Stil
der Diskussionen im Vorfeld seitens der BRD „äußerst
fragwürdig“ erschien. Schließlich sei dieser Ton im
Verkehr zwischen souveränen Staaten „absolut unüblich“.
Während das Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt
als Konzerthaus neu eröffnet
wurde, schlossen
anderenorts wieder Botschaftsgebäude ihre Pforten.
Diesmal waren es die BRD-Botschaften in
Prag,
Budapest,
Warschau und Bukarest. Der Grund war erneut die
Überfüllung mit DDR-Bürgern, die ihre Ausreise aus der
DDR erzwingen wollten.
Die wirtschaftlichen Beziehungen der DDR zur
Bundesrepublik hatten immerhin 1984 einen Vertrag
ermöglicht, der mit den VW-Werken abgeschlossen worden
war und dem die Lieferung von PKW-Motoren vereinbart
worden war. Da keimte durchaus die Hoffnung bei manchem
Bürger auf, dass die Wartezeit für ein bestelltes Auto
sich vielleicht um einige Jahre verkürzen könnte.
Zu den vielen Dingen und Gebäuden, die Reparaturen nötig
gehabt hatten, gehörte u. a. auch die Glienicker Brücke.
Sie war seit 1961 nur noch von den Angehörigen der
westlichen Militärmission in Potsdam benutzt worden. Im
November 1984 fiel die Entscheidung, die Brücke gänzlich
zu sperren, weil es zu keiner Einigung über die
Finanzierung der Reparaturen gekommen war. Rettung kam
vom Westberliner Senat. Er übernahm die Kosten in Höhe
von zwei Millionen DM, die für die Instandsetzung der
zur DDR gehörenden Hälfte der Glienicker Brücke nötig
war. Dieses Ereignis löste zwar noch nicht alle Probleme
in der DDR, aber doch immerhin das Problem dieser
Brücke, die bekannt war für diverse
Agentenaustausch-Aktionen.
Das Jahr endete wie es begonnen hatte – mit einem
Hungerstreik. Hatten die beiden Bürgerrechtlerinnen
Bohley und Poppe gehungert, um nicht in den Westen zu
müssen, hungerten nun in der BRD-Botschaft 40
DDR-Bürger, um endlich ausreisen zu dürfen.
Kein gutes Jahr für die DDR. Jedenfalls wurden die
Schatten deutlicher, unter denen früher oder später die
Diktatur des Proletariats verschwinden würde.
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