Musikchronik 1976 - Boney M. aus der Retorte
1976 war unbestritten ein
Abba-Jahr. Die vier
schwedischen Musiker waren endgültig zu
Göttlichkeiten des Pop-Himmels geworden. Mit
„Fernando“, „Money, Money, Money“ und dem groove-mäßig von George McCreas Disco-Hit „Rock You
Baby“ inspirierten „Dancing Queen“ stammten drei
1976er Welthits von Agnetha, Björn, Benny und
Anni-Frid. Abba widmete „Dancing Queen“ am 18. Juni
der Deutschen Silvia Sommerlath, die am folgenden
Tag durch Heirat mit Carl XVI. Gustav „tanzende“
Königin von Schweden wurde.
Solche Artigkeiten in Richtung royales Establishment
konnte von den Exponenten einer 1976 mit Macht in
die Musikwelt drängenden Bewegung nicht erwartet
werden. Die sich seit Anfang
der 1970er als betont
minimalistische und normverachtende Anti-Strömung
entwickelnde Punk-Bewegung hatte im September eine
Art Weiheveranstaltung beim zweitägigen „100 Club
Punk Special“ in
London gehabt. Hier waren bald zu
den bekanntesten Vertretern der Szene gehörende
Gruppen wie
Sex Pistols, Damned, Clash und Siouxie &
The Banshees aufgetreten. Mit dem Ende 1976
herausgebrachten „Anarchy in the U.K." schufen Sex
Pistols eine rüde Hymne der stachelhaarigen und
schwarz gekleideten Sicherheitsnadel-Träger und
Pogo-Tänzer. Da hatten Sex Pistols mit der
Unterschrift beim Plattenlabel EMI in den Augen
vieler Punk-Puristen bereits ihre Seele dem Kommerz
verkauft.
Punk wurde in den folgenden Jahren nahezu ähnlich
vermarktet wie die Kommerz-Musikrichtung
schlechthin: Disco. Die in der zweiten Hälfte der
1970er ihren Höhepunkt feiernde Disco-Musik
vermischte Philly-Sound und klassischen Pop zu
leicht tanzbaren Rhythmen. Neben Abba („Dancing
Queen“) forderten 1976 die
Bee Gees mit „Should Be
Dancing“, die Britin Tina Charles mit „I Love To
Love“, Real Thing mit „You To Me Are Everything" und
KC and the Sunshine Band („Shake Your Booty“) zum
Disco-Tanz auf. Aus deutscher Produktion machte 1976
erstmals die Retorten-Gruppe Boney M. mit dem
Disco-Hit „Daddy Cool“ international von sich reden.
Zu den erfolgreichsten Produktionen beim Mainstream
Pops zählten 1976 „Save Your Kisses for Me" von
Brotherhood of Man, das bereits 1975 erfolgreiche
Queen-Bombast-Stück „Bohemian Rhapsody“ und Rod
Stewarts „Tonight´s The Night“ sowie Elton Johns
zusammen mit Kiki Dee präsentiertes „Don't Go
Breaking My Heart“. Ideal zum
Große-Hundeaugen-Bekommen waren
der Chicago-Hit „If
You Leave Me Now“, Smokies „Living Next Door To
“, Harpos „Horoscope“ und „Let Your Love Flow“
von den Bellamy Brothers. Tränenrührig war auch das
Johnny-Mathis-Lied „When A Child Is Born“, aus dem
Michael Holm später „Tränen lügen nicht“ machte.
Die Boygroupler von Bay City Rollers gehörten nicht
nur bei ihrer eigentlichen Zielgruppe - Mädchen im
Alter von 12 bis 16 Jahren - zu den großen Stars.
Mit „Saturday Night“, „Money Honey“, „Rock´n Roll
Love Letter“, „I Only Want To Be With You“ und „Don´t
Worry Baby“ gelang den Schotten ein standardisierter
Hit nach dem anderen. Ihre Kollegen von
Showaddywaddy bedienten mit „Under The Moon Of Love“
einen vergleichbaren Geschmack. Sehr schlicht und
sehr erfolgreich waren auch die eher verkleidet
wirkenden Herren von „Sailor“ mit ihren beiden Hits
„A Glass Of Champagne“ und „Girls, Girls, Girls“.
Der deutsche Top-Hit 1976 war die Cover-Variante von
„Let Your Love Flow“, mit der
Jürgen Drews zum Star
wurde („Ein Bett im Kornfeld“).
Marianne Rosenberg
besang erfolgreich die „Lieder der Nacht“, Peter
Alexander brach eine Lanze für „Die kleine Kneipe“,
bei Costa Cordalis drehte sich alles um „Anita“ und
Gunter Gabriel forderte tatsächlich zu “Komm unter
meine Decke“ auf, obwohl Roland Kaiser ihm mit
„Frei, das heißt allein“ den Weg gewiesen hatte.
Peter Maffays gekonnte Betroffenheits-Schnulzen „Und
es war Sommer“ und “Josie“ kontrastierten mit dem
dünnsinnigen und weichbeinigen „Schmidtchen
Schleicher“ von Nico Haak.
Neuerscheinungen und Bandgründungen
Gianna Nannini bringt mit mäßigem Erfolg
ihr Debüt-Album gleichen Namens auf den Markt. Die
Band Blondie
debütierte ebenfalls im Musikjahr 1976 mir ihrem
selbstbetitelten Album. In England gründen sich "The
Clash". In Hamburg gründet sich die
Band
Running Wild.
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