Die goldenen zwanziger Jahre waren in der Kunst
und in der Mode ganz sicher goldene Jahre,
wenngleich es vor allem die Inflation und das
Spekulantentum waren, die der aufkommenden
Vergnügungssucht und dem übermäßigen Lebenshunger
nach dem Ersten Weltkrieg ihren modischen Stempel
aufdrückten. Mode war immer mehr zu einem
einträglichen Geschäft geworden. Längst bekleidete
sie nicht mehr nur den Status der herrschenden und
begüterten Klasse, sondern wurde hauptsächlich von
der wohlhabenden Mittelschicht beeinflusst. Zudem
entwickelte sich die Textilindustrie schnell weiter
und konnte ihren Absatz vergrößern. Das
Selbstbewusstsein, mit der die Frauen, bedingt durch
den Krieg, ihre Männer in den meisten
Lebensbereichen ersetzten, zu denen sie vordem nur
selten oder gar keinen Zugang hatten, war zum Beginn
der zwanziger Jahre noch stark genug, um die
einstige Prüderie weiter zu verdrängen. Besonders
Intelektuelle und Bohemiens zeigten sich als
zeigefreudige Vertreter dieser Zeit. Es war Mut zum
Schockieren gefragt. Kleiderreglements wurden über
den Haufen geworfen. Tabus wurden gebrochen und
Frauen trugen genau das, was sie zum Gegenteil einer
sittsamen Gefährtin des Mannes machten. Hosen im
Stil von Marlene Dietrich, Kurzhaar-Frisuren
anstelle von langen, gefälligen Haaren und
Accessoires, die nicht unbedingt durch ihren Wert,
aber durch Größe und Auffälligkeit die Blicke auf
sich zogen, waren angesagt. Das Lebensgefühl der
Goldenen Zwanziger war geprägt von Partys, Dekadenz
und dem Drang der Frauen, sich gleichwertig und
emanzipiert zu präsentieren. Wirkte nicht nur der
kurze Bubikopf-Haarschnitt aggressiv, so löste auch
die Tatsache, dass Frauen öffentlich rauchten,
Empörung bei der älteren Generation aus.
Typisch für die Mode waren locker fallende
Kleiderschnitte, für die ein Korsett nicht mehr
nötig war. Die Hemdkleidchen hatten kaum eine
Betonung der Taille. Sie wurde gegebenenfalls sehr
tief sitzend angedeutet, lässig, so als wollte Frau
zeigen, dass ihr das Hervorheben der Weiblichkeit
egal war. Doch ganz egal war es durchaus nicht, denn
die röhrenförmigen Kleider zeigten viel Rücken,
ließen die Schulter sichtbar werden und reichten nur
bis maximal zu den Knien. Abends kam das Mondäne
dieser Mode erst richtig zur Geltung.
Spaghetti-Träger hielten diese Kleidchen und nicht
selten war der Rückenausschnitt ebenso tief wie das
vordere Dekolletee. Gewagt und provokativ - der
Abend läutete eine Nacht zum Feiern ein.
Dementsprechend musste das textile Äußere einen
Hauch von Verruchtem haben. Diese Kleider, die
letztendlich ganz schlicht waren, konnten in ihrer
Länge variieren, so dass auch halblange Röcke mit
unsymmetrischem Saum in Betracht kamen. Meistens
wurden jedoch die knielangen Modelle bevorzugt. Mit
ihnen konnte man am besten Charleston oder Tango
tanzen. Unerlässlich waren zu diesem Trend lange,
überlange Perlenketten. Es war nicht wichtig, dass
es sich dabei um echte Perlen handelte. Es war
wichtig, dass die Kette sehr lang und bei den wilden
Bewegungen des Tanzes mitschwingen konnte.
Immer mehr sportliche Betätigung, die auch von
Frauen favorisiert wurde, machte einen knabenhaften
Körper zum Idealbild der modernen Frau von Welt.
Jungenhaft war auch das modische Verlangen. Die
Damen trugen nach männlichem Vorbild Krawatten,
zogen Hemden den femininen Blusen vor und scheuten
sich auch nicht davor, Sakkos zu tragen. Das
Männliche in der Frau, das Androgyne, wurde zum
Leitbild und verlieh Männern und Frauen der jungen
Generation etwas Aufmüpfiges. Wenn es sich gerade
nicht im Alltag zeigte, dann auf alle Fälle in der
Sportkleidung, die zunehmend an Bedeutung gewann.
Doch lässig und salopp sah letztendlich auch die
Garderobe im Alltag aus. Strickpullover in
Überlänge, die sich wie die Kleider röhrenförmig an
den Körper schmiegten, einen geraden Schnitt hatten,
betonten das Knabenhafte der Damenfigur. Diese Mode
war den schlanken Frauen und Mädchen vorbehalten,
weil sie es sich leisten konnten, auf das Korsett zu
verzichten, was die Damen der älteren Generationen
noch längst nicht taten, gar nicht tun wollten.
In der Oberbekleidung waren natürlich nicht nur
Sakkos gefragt. Wer sich nicht dem androgynen Trend
anschließen wollte, trug zumindest schnittgerade
Mäntel, deren Schulter etwas verbreitert waren. Ein
leicht um den Hals geschwungener Schal komplettierte
das Aussehen ebenso wie der unverzichtbare Hut, der
Topfhut. Der wurde tief ins Gesicht gezogen. Umso
mondäner wirkte der Augenaufschlag, der sich
darunter zeigte. Besonders keck war die Baskenmütze,
die nicht nur die Herren trugen. Diese
Kopfbedeckung, die aus Frankreich nach Deutschland
kam, machte den weiblichen Stil frecher. Gerade das
war in jener Zeit das Wichtigste, was junge Leute
mit der Kleidung zum Ausdruck bringen wollten – ein
gewisses Maß an Schamlosigkeit gepaart mit
selbstbewusster Geschlechterlosigkeit. Dennoch war
Frau keineswegs vollständig zum Manne geworden.
Spitze Schuhe mit hohen Hacken waren ebenso modern
wie Spangenschuhe und waren eine deutliche Betonung
des Femininen. Die Beine sollten zur Geltung kommen,
es sei denn, Frau verbarg sie unter der
Marlene-Dietrich-Hose, die mehrfach eine Renaissance
erlebte und inzwischen zum Klassiker geworden ist.
Eine enorme Veränderung hatte sich durch den
Mode-Einfluss aus England und aus Amerika auch in
der Männermode gezeigt. Sportliche Kleidung
verdrängte auch im Alltag die steife Garderobe.
Pullover und Sporthemden waren durchaus
alltagstauglich geworden. Anzüge konnten kombiniert
werden. Ein Sportsakko oder eine gegürtete Jacke sah
man zu Knickerbocker-Hosen. Der klassische Anzug
hingegen – er wurde ja zu gewissen Anlässen nach wie
vor getragen – veränderte sich in seiner Form kaum.
Der Frack blieb für die Abendgarderobe ebenso
unerlässlich wie der Smoking. Daneben trug Mann den
sogenannten „Stresemann“, einen zweiteiligen Anzug,
der aus einer schwarz-grau gestreiften Hose und
einem schwarzen Sakko bestand. Das modische Vorbild
dafür war der Politiker Gustav Stresemann, nach dem
der Zweiteiler auch benannt wurde. Schirmmützen
waren für die sportlichen Varianten der
Alltags-Kleidung bei den Herren charakteristisch,
ansonsten auch weiche Filzhüte mit eingekniffenem
Kopf. Krawatten waren in der Männerkleidung nur
wegzudenken, wenn der Herr einen Sportpullover trug.
Ansonsten fehlte sie zu kaum einer Anzugvariante.
Das Farbspektrum der Materialien wurde vielfältiger.
Während das leuchtende Weiß die Sportkleidung
dominierte, gab es für die Herren zunehmend blaue
und braune Stoffe. Die Damen hatten ohnehin eine
breitere Farbpalette zur Auswahl. Die Muster in den
Stoffen waren für die Herren dezent. Wenn schon
Karos und Sprenkel, dann waren diese nicht
vordergründig. Auch Streifen und Fischgrat oder
Salz- und Pfeffernoppen waren für Männermode zur
Normalität geworden. Filmische Vorbilder gaben
Trends vor. Mann wollte aussehen wie Clark Gable
oder Richard Tauber. Ähnlich war es bei den Damen,
die ihre Modevorbilder in Marlene Dietrich oder
Greta Garbo suchten, aber auch in Stummfilm-Größen
wie der kanadischen Schauspielerin Mary Pickford.