Die Nürnberger Prozesse
Als die deutsche Wehrmacht gegen die Alliierten
Kräfte kapitulieren musste, war nach sechs Jahren
endlich der
verheerende Zweite Weltkrieg zu Ende. Er
hatte am 1. September 1929 begonnen, als Deutschland
Polen überfiel. Der anfängliche siegreiche
Eroberungszug der Deutschen konnte erstmals im
Winter 1941/1942 vor
Moskau gestoppt werden. Nach
der Schlacht bei Stalingrad war es der Roten Armee
gelungen, die Deutsche Wehrmacht und ihre Invasion
erfolgreich zurückzudrängen und dem Krieg eine
Wendung zu geben. Viele Millionen Menschen auf
Seiten der verbündeten Kräfte und auf deutscher
Seite waren in den Schlachten und auch in deutschen
Konzentrationslagern ums Leben gekommen, bzw.
systematisch vernichtet worden.
Die alliierten Kräfte, die zur Niederschlagung der
deutschen Truppen in den Krieg eingetreten waren,
bestanden u. a. aus dem
Vereinigten Königreich
Großbritannien, der
Sowjetunion ab 1941,
Frankreich
und den
USA, ebenfalls ab 1941 und anderen
europäischen und asiatischen Ländern. Mit der
bedingungslosen Kapitulation wurde das Ende des
Zweiten Weltkrieges besiegelt. Was vertraglich am 7.
Mai 1945 in Reims (Frankreich) zur Unterschrift kam,
trat einen Tag später in Kraft. Mit dieser
Kapitulation wurde seitens der deutschen Staats- und
Wehrmachtsführung den Siegermächten das Recht
zugestanden, die Obliegenheiten das Deutsche Reich
auf allen Gebieten zu regeln.
Die Menschen waren einerseits froh, dass das Grauen
des Krieges vorbei war und andererseits bestand
das
dringende Bedürfnis, die Kriegsverbrecher einer
gerechten Strafe zuzuführen. Dreizehn Prozesse
fanden im Nürnberger Justizpalast statt, der als
Austragungsort des US-amerikanischen
Militärgerichtshofes in die Geschichte einging.
Hauptkriegsverbrecherprozess
In demselben Plenarsaal des Nürnberger
Justizpalastes, in dem noch im Juli 1944
Widerstandskämpfer vor dem Volksgerichtshof
gestanden hatten, standen 1945 Kriegsverbrecher vor
Gericht. Das Blatt hatte sich endlich gewendet und
auch wenn die Sowjetunion Berlin als Ort des
Prozesses vorgezogen hätten, so erwies sich doch
gerade Nürnberg als sehr viel geeigneter. Erstens
hatte der Nürnberger Justizpalast den Zweiten
Weltkrieg so gut wie unbeschadet überstanden und
zweitens grenzte direkt ein großes Gefängnis
(Zellengefängnis Nürnberg) an. Symbolischen
Charakter hatte zudem die Tatsache, dass die
einstigen Reichsparteitage der
NSDAP in Nürnberg
durchgeführt worden waren.
Am
20. November 1945 begann der der erste Prozess
gegen die Hauptkriegsverbrecher, also gegen die
Nationalsozialisten, die sich vor und während des
Zweiten Weltkrieges in führenden Positionen befunden
hatten. Diesem Prozess gegen das Dritte Reich hatte
sich im Vorfeld der
Reichsführer Adolf Hitler
(1889-1945) durch Selbstmord am 30. April 1945
entzogen. Ebenso hatte Reichsinnenminister Heinrich
Himmler (1900-1945) sich durch Suizid am 23. Mai
1945 aller Verantwortung entledigt und auch
Propagandaminister Joseph Goebbels (1897-1945) hatte
am 1. Mai 1945 seinem Leben ein Ende gesetzt. Wieder
andere waren nicht auffindbar.
Angeklagt waren Personen aus dem Oberkommando der
Wehrmacht (OKW) wie beispielsweise der Chef des OKW,
Wilhelm Keitel (1882-1946), Vertreter der
Kriegsmarine, der Chef des Sicherheitsdienstes bzw.
der Sicherheitspolizei und u. a.
Albert Speer
(1905-1981) auf dem Gebiet der Kriegswirtschaft. Aus
der nationalsozialistischen Führung saßen u. a.
Reichsmarschall Hermann Göring (1893-1946), der
Stellvertreter Hitlers in der NSDAP Rudolf Heß
(1894-1987) und
Außenminister Joachim von
Ribbentropp (1893-1946) auf der Anklagebank.
Über diese und weitere Kriegsverbrecher saßen als
Hauptrichter des
Militärgerichtshofes die
US-Amerikaner Francis Beverley Biddle (1886-1968)
und John Johnston Parker (1885-1958), die Briten Sir
Geoffrey Lawrence (18802-1971) als Vorsitzender des
Gerichts und Norman Birkett (1883-1962), aus
Frankreich Henri Donnedieu de Vabres (1880-1952) und
Robert Falco (1882-1960) und aus der
UdSSR Iona
Nikittschenko (1895-1967) und Alexander Woltschkow
(1902-
1978) zu Gericht.
Nachdem Sir Lawrence die Anklageschrift verlesen
hatte, hielt der Chefankläger Robert Jackson
(1892-1954) aus den USA eine Rede, die in der
Rechtsgeschichte Berühmtheit erlangte. In dieser
Rede rief er dazu auf, an die Aufgabe mit so viel
innerer Überlegenheit und mit ebenso viel geistiger
Unbestechlichkeit heranzutreten, dass der Nachwelt
dieser Prozess als die Erfüllung menschlichen
Sehnens nach Gerechtigkeit erscheine.
Im
Zweiten Weltkrieg war eine derartige Fülle von
Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden,
dass dieser erste Nürnberger Prozess weltweit enorme
Beachtung fand. Von Beginn an waren sich die
Alliierten und die Gemeinschaft aller betroffenen
Länder darin einig, die Fehler der Leipziger
Prozesse, die nach dem Ende des
Ersten Weltkrieges
gemacht worden waren, nicht zu wiederholen. Eine
Vergeltung wurde ausgeschlossen. Stattdessen sollten
diejenigen, die in der Verantwortlichkeit dieser
Kriegsverbrechen standen, zur Rechenschaft gezogen,
verurteilt und ihrer Strafe zugeführt werden.
Ursprünglich hatte sich Cordell Hull (
1871-
1955),
der von 1933 bis 1944 US-amerikanischer
Außenminister war, im Jahr 1943 auf der Moskauer
Konferenz der alliierten Außenminister dafür
ausgesprochen, die Kriegsverbrecher mittels
Standgerichten zu verurteilen. Dieser Vorschlag war
von der UdSSR gutgeheißen worden. Seitens des
Vereinigten Königreiches wurde die Forderung laut,
stattdessen einen Prozess durchzuführen. Im Januar
1945 konnten sich die Alliierten tatsächlich dank
des Betreibens der USA darauf einigen, es zu einem,
bzw. mehreren Prozessen kommen zu lassen. Selbst
Josef Stalin (1871-1953) hatte seine Meinung
dahingehend geändert. So kam es zur Bildung eines
dafür eingerichteten Internationalen
Militärgerichtshofes, der mit der Untersuchung der
Kriegsverbrechen, mit der Beweisführung und
schließlich mit der Urteilsfindung betraut worden
war. Die Rechtsgrundlage für dieses juristische
Verfahren fußte auf dem Londoner Viermächteabkommen
(8. August 1945).
Der Hauptkriegsverbrecherprozess, der am 20.
November 1945 begonnen hatte, endete nach fast einem
Jahr am 30. September 1946 mit der Verkündung der
Urteile. Es wurden zwanzig Politiker, Militärs und
Personen aus der Wirtschaft zu langen oder
lebenslangen Haftstrafen bzw. zum Tod verurteilt.
Von französischer und sowjetischer Seite war für
alle Angeklagten die Todesstrafe eingefordert
worden, wogegen der Ankläger Großbritanniens für
eine differenzierte Verurteilung plädiert hatte.
Berichterstatter aus der ganzen Welt waren bei
diesem öffentlichen Prozess anwesend und berichteten
in Printmedien und im Rundfunk über die
Verhandlungstage. Das organisatorische Aufgebot –
vor allem auch die Verständigungsgewährleistung
durch zahlreiche Dolmetscher – war enorm und bis
dato in der Rechtsgeschichte einmalig. Dem Prozess
folgten vor Ort auch berühmte Persönlichkeiten aus
Politik und Literatur nicht nur aus Deutschland, die
eigens dazu eingeladen worden waren, um ihrerseits
die Eindrücke schildern zu können. Die
Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957), sein
französischer Kollege Louis Aragon (1897-1982),
Erich Kästner (1899-1974), der US-amerikanische
Autor John Steinbeck (1902-1968) und viele andere
waren anwesend und haben ihr Erleben später
literarisch oder journalistisch an die
Öffentlichkeit weitergegeben. Fotografische und
filmische Dokumente wurden ebenfalls zu Zeugnissen
eines Prozesses, der Massenmorde und Vernichtung,
Eroberung und Zerstörung aufzuarbeiten versucht
hatte.
Die Nachfolgeprozesse
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