Rudolf Heß Lebenslauf
Die Person des führenden
NS-Funktionärs Rudolf Heß wurde in der
Nachkriegszeit vor allem im Zusammenhang
mit seinem Aufsehen erregenden
„Friedensflug“ 1941 nach Großbritannien
sowie mit seiner danach lebenslangen
Haft als Kriegsverbrecher in Verbindung
gebracht. Dabei trat seine Rolle als
einer der wichtigsten Akteure bei der
für die Etablierung der Nazi-Diktatur
wesentlichen Durchsetzung des
Führer-Kults in
NSDAP und Staat in der
Betrachtung zumeist in den Hintergrund.
Heß entstammte väterlicherseits einer in
der oberfränkischen Kleinstadt Wunsiedel
und deren Umgebung alteingesessenen
Familie. Der Großvater von Heß hatte
sich im 19. Jahrhundert in Ägypten
niedergelassen und in Alexandria ein
großes Handelshaus aufgebaut, das 1888
von seinem Sohn Fritz Heß übernommen
wurde. Das älteste der drei Kinder von
Fritz Heß und seiner ebenfalls
fränkischstämmigen Frau Klara, geb.
Münch, wurde am
26. April 1894 in
Alexandria als Rudolf Walter Richard Heß
geboren. In seiner Kindheit verkehrte
Rudolf Heß fast ausschließlich mit
Angehörigen der deutschen Kolonie. Mit
den einheimischen Muslimen und Kopten
hatte er wenig Kontakt. Auch zu den
zahlreichen Briten gab es keine
wesentlichen Verbindungen in der formell
osmanischen Provinz Ägypten, die
tatsächlich aber unter britischer
Kontrolle stand. Heß lernte weder
Arabisch noch Englisch. Der von seinem
Vater extrem streng erzogene Rudolf
wurde 1908 nach Bad Godesberg auf ein
evangelisches Internat geschickt und
entwickelte dort ein starkes Interesse
für Naturwissenschaften. 1911 wechselte
Heß auf Befehl seines Vaters, der für
ihn die Kaufmannlaufbahn bestimmt hatte,
auf die Handelsschule Ecole Supérieure
de Commerce im schweizerischen
Neuchâtel. 1912 verließ Heß diese Schule
mit der Mittleren Reife und begann in
Hamburg eine praktische
Kaufmannsausbildung.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs
meldete sich der äußerlich durch seine
ausgeprägten Augenbrauen auffallende Heß
freiwillig und wurde zunächst dem 7.
bayerischen Feldartillerieregiment
zugeteilt. Ab November 1914 gehörte er
verschiedenen Infanterie-Einheiten an.
Heß nahm an zahlreichen Gefechten teil,
wurde ausgezeichnet und mehrmals
verwundet. 1918 wurde er zum Leutnant
befördert und auf eigenen Wunsch zur
Kampfpilotenausbildung zu einer
bayerischen Fliegerstaffel versetzt.
Der nach dem Krieg mittel- und
perspektivlose Heß (das Handelshaus Heß
in Alexandria war von britischen
Behörden als Feindvermögen beschlagnahmt
worden) begann 1919 in den unruhigen
Zeiten des „Nachkriegs“ und der
Räterepublik in München ein
Volkswirtschaftsstudium. Dabei kam er
mit dem als führender Exponent der
geopolitischen Lebensraum-Theorie
bekannten Geographie-Professor Karl
Ernst Haushofer in Kontakt und wurde
zeitweilig dessen Mitarbeiter. Heß
suchte und fand Anschluss an
rechtsradikale Kreise. Er war aktiv als
Mitglied des Freikorps Epp an der
blutigen Zerschlagung der Räterepublik
in München beteiligt und wurde Mitglied
einer agrarvölkischen Vereinigung, deren
Artamanen eine „Blut- und
Boden“-Ideologie pflegten, zu denen auch
der spätere SS-Reichsführer Heinrich
Himmler gehörte.
Im
Mai 1920 traf Heß bei einer
Veranstaltung der Kleinstpartei DAP
(Deutsche Arbeiterpartei, Ende
1920 in
NSDAP umbenannt) erstmals auf Hitler und
war seitdem von dem Nazi-Führer
fasziniert. Am
1. Juli 1920 in die
Partei eingetreten, gründete Heß eine
NS-Studentenvereinigung. In den
Folgejahren ordnete er sich vollständig
Hitler als Politiker und Mensch unter
und begann mit der Ausarbeitung des
Führer-Kults. Hitler belohnte Heß´
devote Haltung mit der Übertragung von
Sekretärsfunktionen.
Im Zusammenhang mit dem gescheiterten
NS-Staatsstreich („Marsch auf die
Feldherrnhalle“) am
9. November 1923
floh Heß nach Österreich. Der
steckbrieflich wegen Geiselnahme
gesuchte Heß stellte sich in der
durchaus berechtigten Hoffnung auf eine
milde Strafe 1924 der
Polizei. Er wurde
zu 18 Monaten Haft verurteilt, die er in
der Festungshaftanstalt Landsberg
abbüßen sollte. In Landsberg saß auch
Hitler ein. In seiner Haftzeit ließ sich
Heß als Sekretär von Hitler dessen
Programmschrift „Mein Kampf“ diktieren,
ohne dabei Einfluss auf den Text
genommen zu haben.
Im
Dezember 1924 vorzeitig aus der Haft
entlassen, wurde Heß, der sein Studium
abgebrochen hatte, offiziell
Privatsekretär bei Hitler. Heß wurde der
zuverlässige, im Hintergrund stehende,
etwas linkisch auftretende Aktenträger
und Ordnungshalter für Hitler. Um
kursierende Gerüchte um eine angebliche
Homosexualität von Heß zu unterbinden,
heiratete Heß auf Befehl Hitlers 1927
seine ehemalige Kommilitonin und
langjährige Bekannte Ilse Pröhl
(1900–1995). Das Paar bekam zehn Jahre
später ihr einziges Kind: Sohn Wolfgang
Rüdiger (1937–2001).
Auf Heß´ Initiative wurde beim Aufbau
des Führer-Kults 1926 der für
Parteimitglieder obligatorische
„Deutsche Gruß“ („Hitler-Gruß“)
offiziell eingeführt. 1932 wurde nach
der Parteikrise („Straßer-Krise“) Heß
die Leitung der Politischen
Zentralkommission der
NSDAP übertragen.
Damit stieg er in der Parteihierarchie
hinter Hitler auf Platz 2 auf.
Nach der Machtübernahme 1933 wurde Heß
am
21. April 1933 zum Stellvertreter
Hitlers auf Parteiebene ernannt und
wenig später auch zum Reichsminister
ohne Geschäftsbereich. Bei der
Niederschlagung des angeblichen „Röhm-Putsches“
engagierte sich Heß an exponierter
Stelle bei der Durchführung der
Mordaktionen durch die Parteispitze. Heß,
dem auch das Rassenpolitische Amt der
NSDAP direkt unterstellt war, war
federführend bei der propagandistischen
und gesetzgeberischen Vorbereitung der
Judenverfolgungen im Reich und in den
seit 1939 besetzten Gebieten.
Heß´ unter Historikern umstrittene
Bedeutung an Einfluss und faktischer
Macht in Hitler-Deutschland erreichte
1936 ihren Höhepunkt. Danach schwand
sein Einfluss im Zusammenhang mit den
Vorbereitungen zum Zweiten Weltkrieg
erheblich. Der bei den Partei-Granden
weder beliebte noch von
ihnen allzu gefürchtete „Stellvertreter
des Führers“ war innerhalb der NSDAP
weitgehend isoliert, zumal die
tatsächliche Arbeit in der
Parteizentrale zunehmend von seinem
brutal-zupackenden Stabsleiter Martin
Bormann übernommen wurde.
Heß kränkelte seit Mitte der 1930er
Jahre zunehmend und beschäftigte sich
intensiv mit Alternativmedizin und
Esoterik. Bei Ausbruch des Krieges 1939
bat er vergeblich Hitler um Erlaubnis,
sich zur Luftwaffe melden zu dürfen.
1941 machte Heß weltweit durch eine
Aktion auf sich aufmerksam, deren
Hintergründe nie wirklich ganz
aufgeklärt wurden. Am
10. Mai 1941 flog Heß mit einem
Messerschmitt-Kampfflugzeug nach
Schottland und sprang mit einem
Fallschirm über Lanarkshire ab. Er
wollte dem ihm flüchtig bekannten Duke
of Hamilton, den Heß für einen
friedensbereiten Gegner Churchills
hielt, einen Friedensplan unterbreiten.
Heß kam sofort in Haft. Kurzfristig saß
er dabei auch im Tower von London ein.
Hitler und seine Presse bezeichneten die
mysteriöse Aktion als verräterische Tat
eines Geisteskranken. Nach zwei Monaten
in Haft versuchte Heß sich das Leben zu
nehmen.
Der in britischer Haft zunehmend von
Depressionen und anderen psychischen
Problemen betroffene Heß wurde nach
Kriegsende bei den
Nürnberger Prozessen
angeklagt.
1946 erfolgte seine
Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen
Verschwörung gegen den Weltfrieden und
Planung eines Angriffskrieges. Von 1947
an bis zu seinem Tod verblieb er im
alliierten Militärgefängnis Berlin-Spandau. War er zunächst als
„Häftling Nr. 7“ einer von mehreren dort
einsitzenden ehemaligen Nazi-Größen, wie
Speer, Raeder und Dönitz, verblieb er ab
1966 als der einzige „Gefangene von
Spandau“. Erst 1969 stimmte er einem
ersten Besuch seiner Frau und seines
Sohnes zu.
Unter anderem war es das verbohrte
Festhalten an seinen NS-Überzeugungen in
der Haft, das Heß zu einer Ikone der
Neonazi-Bewegung werden ließ. Mehrere
Vorstöße, Heß aus gesundheitlichen
Gründen zu entlassen, scheiterten am
Veto der sowjetischen Gewahrsamsmacht.
Am
17. August 1987 erhängte sich der
93-jährige mit einem Elektrokabel. Er
wurde in Wunsiedel, der Stadt seiner
Vorfahren, bestattet. Um einen weiteren Heß-Kult zu verhindern, wurde das Grab
2011 nach Ablauf des Grabpachtvertrages
aufgelöst. Die exhumierten sterblichen
Überreste von Heß wurden verbrannt und
deren Asche auf See verteilt.
Rudolf Heß Seiten,
Steckbrief etc.
n.n.v.