Die Nachfolgeprozesse von Nürnberg

Der Haupt-Prozess war der Beginn einer Reihe von weiteren zwölf Folgeprozessen gewesen. Diese fanden ebenfalls im Nürnberger Justizpalast statt. Doch aufgrund der weltpolitischen Lage, in der sich der Kalte Krieg bereits abzeichnete, waren es nun ausschließlich amerikanische Militärgerichte, die sich damit befassten anstelle des Internationalen Militärgerichts wie beim Hauptkriegsverbrecherprozess.
Zwölf Verfahren – benannt von Fall I bis Fall XII – kamen zur Verhandlung, die sich vor allem mit den Verbrechen von Ärzten, Juristen und auch den wirtschaftlichen und rassenpolitischen Vergehen beschäftigten.

Fall I
Der erste Nachfolgeprozess begann am 9. Dezember 1945 und ging als „Ärzte-Prozess“ in die Rechtsgeschichte ein. Er wurde zweisprachig geführt (Englisch und Deutsch) wie alle nachfolgenden auch. Die Urteilsverkündung für die 23 Angeklagten erfolgte am 20. August 1947. Es wurden sieben Todesurteile verhängt, darunter für den SS-Hauptsturmführer und Lagerarzt des KZ Buchenwald, Waldemar Hoven (1903-1948). Zu den außerdem verhängten langen und lebenslangen Haftstrafen kam es auch zu sieben Freisprüchen.

Fall II
Am 2. Januar 1947 begannen die Verhandlungen im sogenannten „Milch-Prozess“, dessen Bezeichnung auf Generalfeldmarschall und Staatssekretär des Reichsluftfahrtministeriums, Erhard Milch (1892-1972), zurückging, der in diesem Prozess als einziger Angeklagter vor Gericht stand. Die Dauer der Verhandlungen bis zur Urteilsverkündung war deshalb auch vergleichsweise kurz (bis 17. April 1947). Milch wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Fall III
Der Fall III war der „Juristen-Prozess“ Beginn war der 17. Februar 1947. Richter und Justizbeamte des NS-Regimes – insgesamt 16 Personen – hatten sich u. a. wegen des Erlasses der NS-Terrorgesetze zu verantworten. Dieser dritte Prozess, der am 14. Dezember 1947 endete, war der einzige der Nürnberger Prozesse, in dem kein Todesurteil verhängt worden war und dessen Ergebnisse, zu denen vier Freisprüche gehörten, deshalb auch international als ungerechtfertigt und zu milde kritisiert wurden.

Fall IV
Am 13. Januar 1947 wurden die Verhandlungen zum vierten Prozess aufgenommen, der sich gegen 18 Angeklagte des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS (WVHA) richtete. Hierzu gehörte u. a. das Amt D, das unter dem SS-Gruppenführer, Richard Glücks (1889-1945) für die Inspektion der Konzentrationslager zuständig war. Glücks selbst hatte am 10. Mai 1945 Selbstmord begangen. In diesem Verfahren wurde erstmals ein Zeichen gesetzt und der internationalen Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass Schreibtischtäter eine ebenso große Schuld auf sich geladen hatten und die es deshalb auch unerbittlich zu ahnden galt. Als der Prozess am 3. November 1947 abgeschlossen war, sahen zwei der Angeklagten der Todesstrafe entgegen, drei wurden freigesprochen und alle anderen Verbrecher waren zu langen bzw. lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden.

Fall V
Der deutsche Unternehmer und Rüstungs-Großindustrielle Friedrich Flick (1883-1972) stand ab dem 18. April 1947 mit fünf seiner führenden Mitarbeiter vor dem amerikanischen Militärgericht. Dieser Fall V wurde als „Flick-Prozess“ bezeichnet. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Deportation zur Zwangs- und Sklavenarbeit waren u. a. Teil der Anklage. Die Verhandlungen mündeten am 22. Dezember 1947 für Flick in einer siebenjährigen Haftstrafe, die allerdings nach drei Jahren für ihn endete und ihm damit in der Folgezeit der Weg geebnet wurde, zu einem der reichsten Industriellen Deutschlands zu werden.

Fall VI
Der „I.G.-Farben-Prozess“ begann am 14. August 1947. Vor Gericht standen 23 leitende Mitarbeiter des Konzerns „I.G. Farbenindustrie AG“. Für zwölf der angeklagten Verbrecher wurden am 30. Juli 1948 Gefängnisstrafen verhängt, elf Angeklagte gingen mit einem Freispruch aus dem Gerichtssaal. Diejenigen, deren Urteil eine Haftstrafe beinhaltete, kamen vor dem Ablauf derselben auf freien Fuß, fanden sich bald darauf bereits auf lukrativen Posten in Aufsichtsräten wieder.

Fall VII
Der „Geiselmord-Prozess“, der als Fall VII bzw. als Prozess der Generäle in Südosteuropa am 15. Juli 1947 seinen ersten Verhandlungstag hatte, dauerte bis zum 19. Februar 1948. Von den zwölf ranghohen Wehrmachts-Offizieren hatte der Bevollmächtigte Kommandierende General, der in Serbien verantwortlich für Massaker an der Zivilbevölkerung gewesen war, Franz Böhme (1885-1947), am 29. Mai 1947 Selbstmord begangen und der Hauptangeklagte, Generalfeldmarschall Maximilian von Weichs (1881-1954), entging jeglicher Verurteilung wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung. Für die als sogenannte Geisel-Erschießungen verschleierten Massenmorde, die u. a. Serbien zum ersten Gebiet machten, das als „judenfrei“ von den Deutschen ad acta gelegt wurde, verhängten die Richter zwei Freisprüche und acht Haftstrafen unterschiedlicher Länge bis lebenslänglich. Diese Urteile stießen international auf Unverständnis.

Fall VIII
Der Prozess gegen das Rasse- und Siedlungsamt der SS, der als Fall VIII zur Verhandlung kam, wurde vom 1. Juli 1947 bis zum 10. März 1948 durchgeführt. Es wurde gegen 14 Kriegsverbrecher, allen voran Ulrich Greifelt (1886-1949) verhandelt, die sich im Rahmen des sogenannten Germanisierungsprogramms der NS, der brutalen „Eindeutschung“ der Zivilbevölkerung in annektierten Gebieten schuldig gemacht hatten. Der SS-Obergruppenführer Greifelt wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, in der er am 6. Februar 1949 verstarb. Der Kriegsverbrecher SS-Obergruppenführer und Leiter des Rassen- und Siedlungshauptamtes (RuSHA), das zuständig für Rassenuntersuchungen und Ehegenehmigungen war, Richard Hildebrandt (1897-1951 od.1952), bekam eine Freiheitsstrafe von 25 Jahren, wobei er nach der Auslieferung nach Polen und einem dortigen weiteren Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Fall IX
Vom 15. September 1947 bis zum 10. April 1948 verhandelte das US-amerikanische Militärgericht im „Einsatzgruppen-Prozess“ gegen 24 einstige SS-Führungskräfte, die zur Verantwortung gezogen wurden für die Ermordung von insgesamt mindestens 600.000 jüdischer Menschen, zu denen auch ziellos ausgewählte andere Opfer aus der Zivilbevölkerung kamen, so dass die Zahl bis auf mehr als eine Million hochgerechnet werden konnte. In dieser Verhandlung kam es bei der Urteilsfindung zu keinem Freispruch. Es wurden 14 Todesurteile gefällt.

Fall X
Der zehnte Folgeprozess, der „Krupp-Prozess“ begann am 8. Dezember 1947 und verhandelte Verbrechen, die auf wirtschaftsrechtlichem Gebiet begangen worden waren. Als Hauptangeklagter stand Alfred Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967) vor Gericht, zusammen mit zwölf weiteren Konzernmitarbeitern. Da die Anklage u. a. den Punkt Angriffskrieg und Verschwörung beinhaltete, das Gericht die Angeklagten in diesem Punkt aber sehr schnell freisprach, kam es zu harscher Kritik, so dass das US-Kriegsministerium empfahl, auf diesen Punkt in der Anklage zu verzichten. Übrig blieben die Punkte Plünderung und Sklavenarbeit, die letztendlich die Grundlage für die Urteile am 31. Juli 1948 bildeten. Es kam zu einem einzigen Freispruch und zwar für Karl Pfirsich (1877-1967), dem man in keinem der Anklagepunkte ein Verbrechen nachweisen konnte. Krupp selbst wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und der Einziehung seines Vermögens verurteilt.

Fall XI
Der „Wilhelmstraßen-Prozess“, bei den Amerikanern auch unter dem Namen „Ministerien-Prozess“ bekannte elfte Fall, der das Auswärtige Amt und andere NS-Ministerien im Deutschen Reich betraf, fand vom 4. November 1947 bis zum 13. April 1949 statt. Es wurde gegen 21 Führungskräfte des Auswärtigen Dienstes verhandelt, gegen Banker und Industrielle sowie gegen Vertreter der Reichskanzlei und anderer Ministerien. Dieser Prozess erwies sich mit 169 Tagen, an denen verhandelt wurde, mit der Anhörung von 323 Zeugen und der Sichtung von mehr als 9.000 Beweisdokumenten als der Nachfolgeprozess mit dem umfangreichsten Potenzial, wobei hier bereits Beschuldigte unterschiedlicher Ämter und Behörden zusammengefasst worden waren. Es hatte sich im Zuge des Wiederaufbaus und der Situation des sich entwickelten Kalten Krieges und vor allem der Zuwendung der Menschen zu friedlichen Angelegenheiten eine gewisse Prozess-Ermüdung gezeigt, so dass man bestrebt war, diesen elften und den noch ausstehenden zwölften Prozess baldigst zu Ende zu bringen. Unter den Angeklagten befand sich u. a. Ernst von Weizsäcker (1882-1951), den das Gericht zwar für schuldig an der Deportation französischer Juden ins KZ Auschwitz ansah, ihm dennoch die Nähe zum politischen Widerstand strafmildernd anerkannte. Sein Urteil, das ursprünglich auf sieben Jahre Haft angesetzt gewesen war, wurde im Dezember 1949 – einige Monate nach Prozessende – auf fünf Jahre verringert. Es kam außerdem zu zwei Freisprüchen. Ansonsten wurden über alle anderen Angeklagten mehrjährige Haftstrafen verhängt, die durch ein Berichtigungsurteil am Jahresende 1949 für die meisten in kürzeren Freiheitsentzug umgewandelt wurden.

Fall XII
Der letzte Nachfolgeprozess – Fall XII – der „OKW-Prozess“, bei dem allerdings nur über drei Angehörige des Oberkommandos der Wehrmacht auf der Anklagebank saßen, alle anderen waren entweder einstige Truppenführer oder ehemalige hochrangige Befehlshabe von Heerestruppen, war wie der vorherige Prozess ein lang andauernder Prozess. Er dauerte vom 30. Dezember 1947 bis zum 14. April 1949. Insgesamt mussten sich 14 Befehlshaber für ihre Verbrechen verantworten. Durch seinen Selbstmord am 15. Februar 1948 entzog sich Generaloberst Johannes Blaskowitz (1883-1948) den Verhandlungen. Als Verhandlungsschwerpunkt wurden die Befehle von 1941 bzw. 1942 angesehen, die die Tötung von Polit-Kommissaren der Roten Armee zur Folge hatten, bzw. die Ermordung von Kriegsgefangenen der verbündeten Streitkräfte nach sich zogen. Als die Urteile gefällt wurden, gingen Generaladmiral Otto Schniewind (1887-1964) und Generalfeldmarschall Hugo Sperrle (1885-1953) als freie Männer aus dem Gerichtssaal. Alle anderen Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen unterschiedlichen Ausmaßes.

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