Deutschland Politik 1987 - BRD-Sportpilot landete
auf Rotem Platz in Moskau
Das Jahr begann mit dem „Deutschlandtreffen“ der CDU,
das in Dortmund stattfand. Auf diesem Treffen sprach
unter anderem
Bundeskanzler Helmut Kohl und er sagte in
Bezug auf die DDR, es sein ein„Regime, das politische
Gefangene in Gefängnissen und Konzentrationslagern
hält“. Diesen politischen Ausrutscher ließ sich die DDR
natürlich nicht gefallen. Gefängnisse gab es, aber
Konzentrationslager war eine Formulierung, die völlig
„daneben lag“. Der Ständige Vertreter der DDR in Bonn
legte daraufhin offiziellen Protest ein.
Am 25. Januar fand die Wahl zum 11. Deutschen Bundestag
statt. Die christlich-liberale Koalition konnte sich mit
einer deutlichen Mehrheit (CDU/CSU 44,3 Prozent und FDP
9,1 Prozent) behaupten und im März hatte der Bundestag
den amtierenden Bundeskanzler wiedergewählt, der sein
Amt also fortsetzte. Die SPD war mit 37 Prozent der
Stimmen abgeschlagen und die Grünen hatten es auf 8,3
Prozent gebracht.
Parteiinterne Differenzen in SPD schlugen hohe Wellen,
die dazu führten, dass der Parteivorsitzende Willy
Brandt seinen Rücktritt erklärte.
Die Bundesregierung war nicht nur bemüht, die
Beziehungen zur DDR entspannter zu gestalten, sondern
einmal mehr auch zu Frankreich. Im Sommer trafen sich
der französische Ministerpräsident Jacques Chirac und
Bundeskanzler Helmut Kohl in Reims und
Colombey-les-deux-Eglises, um zusammen der Aussöhnung
zwischen Frankreich und der Bundesrepublik vor 25 Jahren
durch Charles de Gaulle und Konrad Adenauer zu gedenken.
Derweil beschloss die Regierung der DDR, endlich die
Todesstrafe abzuschaffen. Die letzte Hinrichtung hatte
im Jahr 1981 stattgefunden. Das war im Juli 1987.
Allerdings dauerte es noch bis zum Dezember desselben
Jahres, bis die nötige Änderung des Strafgesetzbuches
durch die Volkskammer zustande kam. Gut Ding brauchte
eben Weile. Auf jeden Fall war damit ein sehr
unrühmliches Kapitel der DDR-Geschichte beendet worden,
auch wenn es noch längst nicht völlig verarbeitet war,
weil viele Fakten erst viel später ans Licht kamen.
Ebenfalls im Sommer waren Bundespräsident Richard von
Weizsäcker und Außenminister
Hans-Dietrich Genscher nach
Moskau gereist. In Anbetracht der neuen Vokabeln
Glasnost und
Perestroika, die
Michail Gorbatschow in
Umlauf gebracht hatte, konnten die Politiker der BRD und
der Sowjetunion ihre Absicht bekräftigen, in den
deutsch-sowjetischen Beziehungen „eine neue Seite
aufzuschlagen“.
Schließlich kam es dann im September auch zu einem
Treffen zwischen
Bundeskanzler Helmut Kohl und dem
Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker, der zum
ersten Mal die Bundesrepublik Deutschland besuchte. Im
Fall der beiden deutschen Staatsoberhäupter war noch
längst keine Rede von einer neuen Seite, die
aufgeschlagen werden könnte. Aber immerhin wurden
Abkommen zum Umwelt- und Strahlenschutz sowie über die
Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik vereinbart.
Die Junge Union, die Jugendorganisation der CDU/CSU
nutzte den Besuch Erich Honeckers, um lautstark die
Verletzungen der Menschenrechte in der DDR anzugprangern
und gleichzeitig den Abriss der Mauer zu fordern.
So etwas verhallte an Honeckers Ohren. Er orientierte
sich ja auch nicht an der Offenheit, die seitens der
Sowjetunion die neue politische Linie bestimmte.
Eigentlich war das Jahr 1987 ein großes Jubiläumsjahr.
Berlin feierte sein 750-jähriges Bestehen. Honecker
hatte zwar die Einladung des Regierenden Bürgermeisters
Eberhard Diepgen zu einer Stipvisite in West-Berlin
abgelehnt. Dennoch kam es im Oktober zu einem ersten
Treffen der Oberbürgermeister von Ost- und West-Berlin.
Es war dies das erste Treffen seit der Teilung der
Stadt. Das immerhin hatte das Stadtgründungsjubiläum
bewirkt. Zwei Tage später erst fand dann in Ost-Berlin
der feierliche Staatsakt statt.
Sensationelle Schlagzeilen machten im Mai die Runde: Der
westdeutsche Sportpilot Mathias Rust hatte 700 km
sowjetischen Luftraum durchflogen und war mit seiner
geliehenen Cessna 172 anschließend auf dem Roten Platz
in Moskau gelandet. Eine glückliche Landung, ein Flug
für den Frieden mitten im Kalten Krieg und eine empörte
sowjetische Führung. Die Passanten und die Miliz
allerdings applaudierten dem Piloten, ließen sich von
Rust Autogramme geben und staunten über so viel Wagemut.
Die Sowjets fanden die Aktion in keiner Weise amüsant.
Verteidigungsminister Sergei Sokolow wurde entlassen.
Allerdings spielte dabei nicht nur der lange
unbehelligte Flug von Rust über das sowjetische
Territorium eine Rolle, für den Sokolow die
Verantwortung trug. Gorbatschow hatte durch diesen
Vorfall die Möglichkeit, sich von alten Sturköpfen in
der Armee zu trennen, die seinen Reformen kritisch gegenüber standen
oder sogar eine ablehnende Haltung einnahmen. Auch Luftabwehrchef
Alexander Koldunow wurde abgesetzt. Dazu noch weitere
etwa 2.000 Generäle und Offiziere, deren sich
Gorbatschow aufgrund dieses Vorfalls geschickt zu
entledigen wusste, um immer mehr Gegner seiner
Perestroika- und Glasnostpolitik auszuschalten. Was im
Westen und in den Ostblockstaaten mit großem Interesse
wahrgenommen wurde, fand im sowjetischen Inland durchaus
nicht derart viel Zuspruch, wie er für Reformen im
eigenen Land nötig gewesen wäre. Mathias Rust jedenfalls
ging mit seiner Aktion in die Geschichte ein, wenngleich
er zunächst einmal vom Obersten Gerichtshof in Moskau zu
vier Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Die
Anklagepunkte: illegale Einreise, Verletzung
internationaler Luftregeln und schweres Rowdytum. Nach
14 Monaten wurde Rust begnadigt und in die BRD
abgeschoben.
Im Oktober machte noch ein anderes Ereignis
Schlagzeilen: der mysteriöse Tod des zurückgetretenen
Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein,
Uwe
Barschel. Dieser wurde in einer Badewanne in einem
Genfer Hotel gefunden. Barschel war an einer
Medikamentenvergiftung gestorben. Das hatte die
Obduktion ergeben. Gewaltanzeichen waren angeblich nicht
festgestellt worden. Die Familie gab sich damit nicht
zufrieden. Sie ließen eine zweite Obduktion durchführen.
Die Ergebnisse wurden allerdings nicht öffentlich
bekannt. Dennoch wurde in Kiel ein
Landtags-Untersuchungsausschuss eingerichtet. Dieser
setzte sich mit dem Fall Barschel auseinander.
Das Jahr war unruhig. Im Juni hatte es in Ost-Berlin
schwere Ausschreitungen zwischen jugendlichen Musikfans
und der DDR-Volkspolizei gegeben. Auf der West-Seite
konzertierten internationale Rock-Größen vor dem
Reichstagsgebäude und auf der Ost-Seite wollten Fans vom
Brandenburger Tor aus zuhören. Das ging gründlich
schief. Ein riesiges Polizeiaufgebot störte die
Ost-Berliner Zuhörerschaft so lange, bis Rufe zum Abriss
der Berliner Mauer laut wurden und die ganze
Angelegenheit ein Politikum wurde.
Der Aufruhr nahm drei Tage lang gewalttätige Formen an.
Der eigentliche Grund, weswegen die Menschen zum Konzert
zusammengekommen waren, geriet fast in Vergessenheit,
weil die ganze Sache letztendlich zu einer ernsthaften
politischen Demonstration wurde, bei der auch Rufe nach
Gorbatschow, also nach Reformen, laut wurden.
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