Köhler wirft das Handtuch
Ein weiteres
politisches Ereignis schockte uns im
Mai 2010:
Bundespräsident
Horst Köhler trat von seinem Amt zurück
- und das ohne jede Vorwarnung. Vorausgegangen war eine
Rede Köhlers über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan,
die auf heftige Kritik stieß. Und genau hier soll auch
der Grund für den sofortigen Amtsrücktritt gelegen
haben. Denn etwas später erklärte Köhler in seiner
Rücktrittserklärung im Schloss Bellevue, dass es den
betroffenen Regierungs- und Oppositionspolitikern bei
ihren Äußerungen an dem notwendigen Respekt vor dem Amt
des Bundespräsidenten gemangelt habe. Während dieser
Begründung hielt er die Hand seiner Ehefrau Eva Luise
liebevoll fest.
Köhler sagte, dass er die Unterstellung,
er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr
zur Sicherung von Wirtschaftsinteresse befürwortet,
entbehre jeder Rechtfertigung. Die Reaktionen auf seinen
Rücktritt konnten übrigens durchaus als „politische
Unruhe innerhalb Deutschlands“ bezeichnet werden.
Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) wurde damals
vorübergehend für die Weiterführung der Amtsgeschäfte
eingesetzt.
Christian Wulff wird neuer Bundespräsident von
Deutschland.
Nach dem Sofort-Rücktritt Horst Köhlers sollte Ende
Juni
2010 der neue Bundespräsident gewählt werden. Der
Ex-DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck und der
niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU)
lieferten sich dabei ein wahres Kopf-an-Kopf-Rennen.
Letztendlich waren ganze drei Wahlgänge notwendig, um
Christian Wulff zum 10. Bundespräsidenten Deutschlands
ernennen zu können (seinen Amtseid legte er Anfang Juli
2010 ab). Hintergrundinfo: Das die Wahl so „spannend“
geworden war, brachte unter den Politikern einige
Diskussionen in Gang. Immerhin gab es in der
Bundesversammlung eine Mehrheit von Union und FDP – und
damit zeigte sich ganz klar, dass sich die Damen und
Herren Politiker(innen) der schwarz-gelben
Regierungskoalition nicht ganz einig gewesen waren. Denn
Fakt war auch, dass mehrere Politiker(innen) ihre Stimme
in den ersten beiden Wahlgängen nicht dem eigenen
Kandidaten gegeben hatten. Kein Wunder also, dass drei
Wahlgänge nötig waren, bis sich Christian Wulff endlich
gegen den von SPD und Grünen ins Rennen geschickten
Joachim Gauck durchsetzen konnte.
Und damit wurde Wulff
zum jüngsten Bundespräsidenten der deutschen Geschichte.
Gleichzeitig dauerte das gesamte Wahlverfahren über neun
Stunden und war damit zu der bislang längsten
Bundespräsidentenwahl in Deutschland geworden.
Im Oktober des Politikjahres 2010 starb
Hannelore „Loki“ Schmidt im Alter von 91 Jahren in
Hamburg. Sie war über 68 Ehejahre an der Seite von
Altkanzler
Helmut Schmidt und hatte sich nach einem
schweren Sturz, bei dem der rechte Knöchel gebrochen
worden war, nicht wieder erholen können.
Der Tod von Hannelore Schmidt – eine grenzenlose
Optimistin.
Die Trauerfeier für Hannelore Schmidt fand in der
Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg statt. Insgesamt
waren mehr als 2200 Menschen gekommen – zu den geladenen
Gästen zählten z.B. Bundeskanzlerin
Angela Merkel,
Ex-Kanzler
Gerhard Schröder, Ex-Bundespräsident
Richard
von Weizsäcker, der ehemalige Außenminister
Hans-Dietrich Genscher und der ehemalige
Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf. Info: An
diesem traurigen Tag trug Helmut Schmidt beide Eheringe
(also auch den seiner geliebten Frau).
Castor-Transport 2010
Anfang November
des Politikjahres 2010 fiel der Startschuss für den
nächsten Castor-Transport (nach einer Pause von zwei
Jahren). Dieser sollte dieses Mal über 123 Tonnen hoch
radioaktiven Atommüll aus dem französischen Valognes
nach Deutschland bringen. Insgesamt 1000 Kilometer
zählte die zurückzulegende Strecke ins niedersächsische
Gorleben. Der Atommüll des Castor-Transports 2010
stammte aus deutschen Atomkraftwerken und war in
Frankreich wieder aufbereitet worden. Bei diesem Prozess
werden hochgiftiges Plutonium und Uran aus abgebrannten
Brennelementen (ab)getrennt.
Nur zwei Stunden nach der
Abfahrt wartete die erste Blockade auf den Transport.
Rund 30 Aktivisten hatten sich an die Bahngleise
gekettet – das allerdings hielt den Transport am Ende
„nur“ drei Stunden auf – danach konnte es weitergehen.
Gleichzeitig war die zur Tradition gewordene
Castor-Auftaktdemonstration im Wendland in Niedersachsen
gestartet. Hier trafen sich dieses Mal rund 50.000
Menschen und sprachen sich gegen die Atompolitik der
Bundesregierung aus (die Demonstration war 2010 übrigens
zur größten und protestreichsten ihrer Art geworden).
Gemeinsam wollten sie sich gegen das Vorhaben der
Regierung stellen, dass Atomkraftwerke länger laufen
sollen.
Riesige Massenproteste gegen Castor-Transport ins
Atommülllager.
Insgesamt sollten im Politikjahr 2010 rund 20.000
Polizeibeamte dafür sorgen, dass die elf weißen
Castorbehälter sicher an ihr Ziel gelangen konnten.
Aufgrund des heftigen
Widerstandes (der dieses Jahr
extrem groß war), erreichte der zwölfte Castorzug erst
einen Tag später als geplant das Zwischenlager im
niedersächsischen Gorleben.
Info: Schon in wenigen
Monaten wird der nächste Castor-Transport wieder durch
Deutschland rollen. Themenwechsel: Einer, der im
Politikjahr 2010 immer wieder mit Lobeshymnen nahezu
überhäuft wurde, war Bundesverteidigungsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU). Die Medien und
Pressevertreter bezeichneten ihn immer wieder als
Superstar seines Kabinetts – und so viel Zuspruch
schafft Vertrauen und fördert scheinbar den Tatendrang
eines Ministers. So konnte zu Guttenberg etwas
erreichen, was vielen Politikern zuvor niemals gelungen
war: Die Aussetzung der Wehrpflicht. Diese war von der
schwarz-gelben Koalition kurzerhand beschlossen worden.
Ab dem 1. Juli des nächsten Jahres werden keine jungen
Männer mehr zum Dienst an der Waffe eingezogen. Ganz
klar, dass unser Verteidigungsminister die eigenen und
auch die Reihen der anderen Parteien mit dieser
Sensationsleistung in Verblüffung versetzte. Denn
Kritiker hatten zu Guttenberg keinerlei Chancen
eingerechnet – selbst nicht bei CDU und CSU. Damit
gelang ihm eine Reform, die eine beachtliche
Veränderungen in der Historie der Bundeswehr bedeutete.
Glückwunsch dazu, Herr zu Guttenberg.
Das Politikjahr 2010 – interessant, bewegend, kurz und
deutlich.
Heftige politische Diskussionen wurden auch 2010 zum
Thema Stuttgart 21 geführt. Denn auch weiterhin fühlt
sich die Öffentlichkeit nicht ausreichend über das
Projekt informiert – denn wichtige Risiken von Stuttgart
21 sollen bewusst und sogar mit politischer
Rückendeckung verschwiegen worden sein. Info: Hinter der
Bezeichnung Stuttgart 21 (kurz „S21“ genannt) steht das
Verkehrs- und Städtebauprojekt zur Neuordnung des
Eisenbahnknotens Stuttgart.
Dabei soll der Stuttgarter
Hauptbahnhof zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof
umgestaltet werden. Bauherr dieses stark umstrittenen
Projektes ist die Deutsche Bahn – weiterhin gehören u.a.
die Bundesrepublik Deutschland, das Land
Baden-Württemberg oder auch die Landeshauptstadt
Stuttgart zu den Finanzgebern.
Übrigens - aufgrund der
extremen Proteste der Bevölkerung, die teilweise mit dem
Einsatz von Polizei, Wasserwerfern und Reizgas beendet
werden mussten, wählte die Gesellschaft für Deutsche
Sprache die Bezeichnung „Wutbürger“ zum
Wort des Jahres
2010.
Ein Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 in den
Jahren 2007 und 2008 war bereits abgelehnt worden – im
Oktober und November 2010 sollte nun eine Schlichtung
für mögliche Verbesserungen sorgen. Damit wurde Dr.
Heiner Geißler (Bundesminister a.D.) als Schlichter
eingesetzt – er sollte die Befürworter und Gegner des
S21-Projektes wieder an einen Tisch bringen, um wichtige
Fragen miteinander diskutieren zu können.
Der Erfolg
blieb allerdings erst einmal aus. „Jetzt“ – so heißt es
– „hoffe man auf ein Gelingen der Schlichtungsgespräche
in 2011“. Ob das funktionieren kann!? Mehr Informationen
dazu gibt es demnächst hier bei uns – im Politikjahr
2011.
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