Die Literatur in den neunziger Jahren

Ende und Neubeginn, diese Begriffe lassen sich den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland gleichsam als Etikett, als Stempel aufprägen, damit lassen sich die Ereignisse überschreiben, welche Geschichte und Literatur dieser Zeit prägten.
Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung in den Jahren 1989 und 1990 konnte man nun nach so langen Jahren des Zwiespalts und der Zerrissenheit wieder von einem Deutschland sprechen, die Deutsche Demokratische Republik war endgültig aufgelöst worden und Ost und West fügten sich wieder
zu einer Nation zusammen. So waren die 90er Jahre geprägt von einem langsamen Neubeginn, von einem Anfang, von einem zaghaften Herantasten an die neue Situation. Der Neuaufbau konnte beginnen.
Neue Fundamente mussten wiederum auch für die Literatur gelegt werden. Nachdem die literarischen Erzeugnisse der 60er Jahre sich dem politischen Diskurs der Zeit zugewandt und verstärkt für Engagement und Aktivismus der Künste eingetreten waren, erfolgte in den 70er Jahren eine Wandlung nach innen, zur Ichfindung, zur Subjektivität und zum Erzählen des Privaten. Gerade in den 80er Jahren standen Kunst und Kultur unter dem Eindruck der Postmoderne, die Werke waren geprägt von Reflexionen und Einschüben, man erzählte nicht mehr, sondern erzählte davon, dass man erzählte.
Gerade diese starke Selbstreferentialität, die starke Kopflastigkeit und intellektuelle Überfrachtung der Werke jener Autoren, die in den Jahren zuvor große literarische Erfolge gefeiert hatten, wurden in den 90er Jahren zum Ausgangspunkt kritischer Überlegungen und Debatten. Vor allem der populäre FAZ-Kritiker Frank Schirrmacher regte diese Diskussion um die Literatur der 70er und 80er Jahre an. So wuchs der Bedarf an einer neuen Generation von Schriftstellern, die ihre Bücher von formalen Spielereien befreiten und sich wieder dem Ursprung dessen zuwandten, was man unter Literatur verstehen wollte: dem Erzählen von Geschichten.
Im Laufe der 1990er Jahre kam es mit dem Tod ihrer großen Vertreter zum endgültigen Ende der deutschen Nachkriegsliteratur: Schriftsteller wie Wolfgang Koeppen, Jurek Becker, Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt verstarben.
Mit dem Ableben dieser Großen der Literatur kam die Zeit für eine neue Autorengeneration, die sich, befreit und losgelöst von den Schatten der Vergangenheit, die nicht mehr die ihre war, neuen Themen zuwenden konnte. Prägend für die Schriftsteller, die im Allgemeinen als wichtige Vertreter der Literatur der 90er Jahre gelten, ist gerade ihre Jugend, ist die Tatsache, dass sie jener Generation der Nachgeborenen angehörten, die erst nach der Geschichtskatastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reichs geboren worden waren.
Im Zeichen dieses Neubeginns betraten nun Schriftsteller wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht oder Alexa Hennig von Lange die literarische Bühne und prägten die Renaissance der Popliteratur. Ihnen war es nicht mehr daran gelegen, die Welt, in der sie lebten, zu verändern, sondern davon zu erzählen, ihren Zeitgeist erzählerisch einzufangen. Dies brachte es mit sich, dass die Werke der Popliteratur geprägt sind von Lektüren der Autoren, von Film und Fernsehen, von aktuellen Medien, von Musik und Lifestyle; Drogenkonsum und Reisen galten als Bestandteil des Themenrepertoires.
Die Popliteraten der 90er Jahre brachten Elan und Innovation in die Literatur ein, frisch und jugendlich belebten sie eine neue Erzählweise, die jedoch auch frisch und jung bleiben sollte: Bereits gegen Ende der 1990er Jahre wurde es wieder ruhig um die Popliteratur.

Bücher zur Literatur der 90er Jahre

Junge deutsche Kunst der 90er Jahre aus Nordrhein-Westfalen
Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre
Kunst und ihre Diskurse. Österreichische Kunst in den 80er und 90er Jahren.
Chic Simple, Der Stil der 90er Jahre, Outfit
Lost Paradise. Rollenmuster und Handlungsfelder in der Kunst der 90er Jahre
Medienkultur der 60er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945

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