1940
1941
1942
1943
1944
1945
1946
1947
1948
1949
Literatur 1946 Das literarische Jahr
Während der Krieg für die meisten Länder beendet war
und es an den Neuaufbau ging, verschärften sich die
Bedingungen 1946 in der Sowjetunion, die nun ganz
und gar unter Stalin die kommunistische Zukunft
aufbaute, der so viele Menschen zum Opfer fielen.
Zum ersten Mal kam der Begriff „Eiserner Vorhang“
auf.
In Nürnberg standen dreiundzwanzig NS-Ärzte vor
Gericht, um für ihre Taten unter dem Hitler-Regime
Rechenschaft abzulegen. Sieben Todesstrafen wurden
ausgesprochen, andere erhielten Haftstrafen oder
wurden sogar freigesprochen.
Iwan Bunin veröffentlichte in diesem Jahr seine
Erzählungen „Dunkle Alleen“ in Paris. Während in den
Jahren davor die meisten Emigranten vor den Nazis
nach Amerika flüchteten, beschlossen Bunin und seine
Frau weiter in Frankreich zu bleiben. Einen Tag,
bevor der Journalist Andrej Sedykh ebenfalls die
Reise nach Amerika antrat, besuchte er die beiden in
ihrer Wohnung und wurde von Bunin auf den kleinen
Erzählband aufmerksam gemacht. Er würde, so Bunin,
über die Liebe handeln, er wüsste allerdings nicht,
wie er ihn veröffentlichen könnte. Sedykh bot an,
das Manuskript mit nach Amerika zu nehmen. Dort
konnte er Bunins Erzählungen bei der russischen
Literaturzeitung „Neues Land“ unterbringen.
1946 endlich erschien das Buch dann auch in
Frankreich und hatte sofort großen Erfolg.
Ebenfalls in
Paris brachte Simone de Beauvoir „Alle
Menschen sind sterblich“ heraus, ein Buch über die
Qual der Unsterblichkeit. Der Tod war nach dem Krieg
häufiges Thema in der Kunst und
Literatur und
ereilte u. a. Gertrude Stein, die im Alter von 72
Jahren an Magenkrebs starb.
Da Jean Genet den Vorschuss für einen zweiten Roman
von seinem Verlag schon kassiert hatte, obwohl sein
erster zu der Zeit noch gar nicht erschienen war,
machte er sich an die Arbeit. Ihm tobten einige
Ideen im Kopf herum, doch 1943 wurde er erst einmal
verhaftet und musste eine Gefängnisstrafe antreten.
Die Anklage lautete auf Bücherdiebstahl.
1946 war er auf Bewährung draußen. Sein Buch „Wunder
der Rose“ konnte gedruckt werden und bildete den
Anfang zu Genets Schriftstellerkarriere.
Ein anderer Franzose machte 1946 auch auf sich
aufmerksam, obwohl er eigentlich gar kein richtiger
Schriftsteller war. Viel lieber spielte er
Jazztrompete oder arbeitete als Schauspieler,
verkehrte jedoch bald schon im intellektuellen Kreis
um Sartre, bis dieser mit seiner Frau anbändelte.
Boris Vian wurde mehr durch einen Skandal bekannt,
der um sein erschienenes Buch „Ich werde auf eure
Gräber spucken“ aufkam.
Vian hatte gewettet, den Roman als „Pastiche“ zu
verfassen, was bedeutete, dass er ihn als Imitation
eines anderen Künstlers anlegte. Er hatte schon
zuvor mit verschiedenen Techniken herumgespielt,
seine Werke waren oftmals durch Witz, Parodie und
Wortspielereien gekennzeichnet. Hier nun verwendete
er übertriebene Gewalt und Ungereimtheit und gab an,
sein Roman wäre eine Übersetzung eines angeblichen
schwarzen Schriftstellers mit dem Namen Vernon
Sullivan.
Vian wurde wegen Unmoral verurteilt. Im gleichen
Jahr erschien auch sein bekanntestes Werk „Der
Schaum der Tage“, eine surrealistisch literarische
Verfremdung, die zwar erfolglos zu seiner Zeit
blieb, aber bald schon zum Kultbuch nächster
Generationen werden sollte.
1946 erschien auch der wunderbare Roman „Alexis
Sorbas“ des griechischen Schriftstellers Nikos
Kazantzakis. Dieses von ihm bekannteste und
buddhistisch angehauchte Werk voller Lebensfreude
und Selbstfindung wurde mit Anthony Quinn verfilmt,
der dafür wiederum einen Oscar bekam. Der Tanz und
die Musik aus dem Film wurden ebenfalls berühmt,
dabei war dem Schauspieler der wirkliche Volkstanz
der Griechen viel zu mühselig, so dass er einen ganz
eigenen und leichteren erfand, der mit Freude
nachgeahmt wurde.
Das Buch basierte auf wirklichen Umständen.
Kazantzakis hatte während des Ersten Weltkrieges den
heiligen Berg Athos besucht und dort Georgios Sorbas
kennengelernt, einen Arbeiter, der so frei und
unabhängig in seinem Wesen war wie die Figur des
Romans. Kazantzakis fühlte sich von diesem Menschen
stark beeindruckt und bot ihm eine Stelle als
Vorarbeiter in dem Braunkohlebergwerk an, das er
gepachtet hatte. Als das Bergwerk nach mehreren
Einstürzen schließen musste, reisten die zwei Männer
in den Kaukasus.
Beide verband über die Jahre eine tiefe
Freundschaft, die über Briefe aufrechterhalten
wurde. Als Sorbas starb, fühlte Kazantzakis sich an
ihn erinnert und verpflichtet, diesen Charakter
festzuhalten. So entstand sein Werk und eroberte
etliche Leserherzen.
Aber auch der Schriftsteller Kazantzakis war ein
starker Charakter und interessanter Mensch. Auf
seinem Grabstein standen die bezeichnenden Worte:
„Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin
frei.“
Eine ähnliche Einstellung zum Leben hatte auch
Hermann Hesse. 1946 erhielt er den Nobelpreis für
Literatur. Kein anderer Deutscher hatte sich zuvor
so intensiv mit der östlichen Philosophie
auseinandergesetzt, die Selbstverwirklichung und
Selbstwerdung in seinen Romanen verarbeitet und zur
Autoreflexion aufgerufen. Die bekanntesten Werke
„Der Steppenwolf“, „Siddhartha“ und „Das
Glasperlenspiel“ sind Ausdruck dieser geistigen
Vertiefung und Sinnsuche.
<<
Literatur 1945
|
Literatur
1947 >>