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Das
Modejahr 1911 Mode – Entsetzen im Vatikan
Das Jahr begann kulturell mit einem grandiosen
Ereignis. In der Dresdener Hofoper, der heutigen
Semperoper, kam „Der Rosenkavalier“ von Richard
Strauss zur Uraufführung und wurde zu einem
triumphalen Erfolg. Sogar Sonderzüge mussten
eingesetzt werden, um Zuschauer von Berlin nach
Dresden zu befördern. Anlässe dieser Art waren nicht
zuletzt eine Gelegenheit für die Damen, sich
besonders festlich zu kleiden. Das taten sie gern,
natürlich im Stile Paul Poirets. Die festliche
Garderobe sah man hin und wieder aber auch noch
einer Kleidung, die das Korsett erForderte. Doch es
waren nur Ausnahmeerscheinung der Hartgesottenen.
Alltags war dieses schmerzende Unterwäsche-Teil
schon fast verschwunden. Allerdings waren die engen
Röcke, die Poiret kreierte, auch nicht der
Mode-Weisheit letzter Schluss. Das hatte wohl selbst
ihr Schöpfer verstanden und stellte die Damenwelt
erneut auf die Probe. Er erfand einen sehr bequemen
Rock, dessen Zweiteilung durch die Weite um die
Beine herum kaum auffiel. Frau musste einen
besonders großen Schritt machen, damit man erkannte,
dass es sich um eine Hose handelte, bzw. um einen
Hosenrock. Poiret war mit dieser Kreation nicht
allein. Auch aus dem Salon von Christoph Drecoll
kamen Hosen für die Damen, die unter dem Begriff
Jupe-Culottes bekannt wurden. Diese zweigeteilten
Röcke fanden die Zustimmung der Frauen, jedenfalls
die der modernen, emanzipierten Frauen. Der Vatikan
stand Kopf und lehnte diese Mode strikt ab. Sie
konnte keineswegs von Gott gewollt sein. Wer weiß?
Eines war sicher: Als Alternative zum Humpelrock war
das geteilte Kleidungsstück eine gute Alternative,
egal, wie der Papst dazu stand. Schließlich handelte
es sich ja um eine Frage der Mode und nicht um eine
Glaubensfrage. Der Papst selbst war ja wahrlich
nicht vom Fach, denn er war seit Jahrhunderten
keiner Mode unterworfen.
Der Franzose Poiret, der wegen der Hose geliebt und
gehasst wurde, durfte dennoch eines für sich in
Anspruch nehmen: das Lob, das Korsett abgeschafft zu
haben. Selbst die zögerlichsten Damen waren ihm
letztendlich dankbar. Seine Kleider waren dem Empire
nachempfunden. Sie waren sogenannte Hemdkleider,
auch Empire-Chemisen genannt. Sie zeichneten sich
durch die typische, hoch angesetzte Taille aus.
Meist wurden sie zusätzlich unter der Büste durch
ein Zugband oder eine kleine Schärpe betont. Daran
schloss sich dann der locker fallende Rock. Die
Ärmel waren angeschnitten.
Poiret beeinflusste die Mode nicht nur für die
wohlhabenden Damen. Auch im Alltag versuchten die
Frauen, sich an seinem Stil zu orientieren. Doch
nicht nur die Mode Poirets sorgte für Schlagzeilen.
Auch seine pompösen Feste erreichten Kultstatus.
Lange war das Sommerfest in aller Munde, dem er den
Titel „1002. Nacht“ gegeben hatte. Hier konnte er
seinem Hang zum Orientalischen nach Herzenslust
frönen.
Er selbst war wie ein Sultan gekleidet, seine Frau
in den Gewändern einer Haremsdame. Sie trug einen
Zweiteiler aus Chiffon und einen Turban. An
Extravaganz konnte das Fest kaum übertroffen werden.
Jedenfalls nicht in jener Zeit.
Die Damen passten sich Poirets Mode jedoch nicht
kritiklos los an. Sie ließen sich beispielsweise die
unpraktischen, riesigen Hüte nicht nehmen. Es ist
wohl nicht falsch, wenn man feststellt, dass diese
Hüte größer waren als die Polizei erlaubte. Denn
tatsächlich äußerte sich der Berliner
Polizeipräsident dazu, wies auf die Gefahren hin,
die mit den überdimensionalen Hüten und besonders
deren Befestigungsnadeln verbunden waren. Zu einem
Verbot kam es natürlich nicht.
Die Herrenmode richtete sich nach englischem
Vorbild. Korrekt und zu jeder Gelegenheit passend;
das war die Vorgabe. Gelegenheiten gab es viele. Von
der Geschäfts- und Morgenkleidung über die Zeit des
Fünf-Uhr-Tees bis hin zu Herrengesellschaften und
Banketten musste jeweils eine andere Kleidung
getragen werden. Wer sich in dieser
Gesellschaftsschicht bewegte, konnte sich das
leisten. Cutaway, Jackett, Gehrock, Frack und
Smoking gehörten zur Grundausstattung des Herrn.
Individualität konnten die Männer dabei nur in
Details zeigen. Das Material der Manschetten- und
Frontknöpfe machte den Unterschied. Die Herrenmode
erregte seitens der Polizei keinen Anstoß, auch
nicht seitens des Vatikans. Immerhin.
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