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Literaturjahr 1914
Literatur in Deutschland
Es gibt wenige Romane, in denen der Leser durch eine
Stadt schlendert, die er, schlägt er das Buch zu,
auch Schritt für Schritt in der Wirklichkeit
erkunden kann. „Dubliner“ von James Joyce gehört in
diese Kategorie, wenn dieses Dublin auch direkt in
den „Ulysses“ führt und damit in ein
monologisiertes, das heißt: typisch joyce‘sches
Innenleben.
Joyce erklärte, dass man Dublin vollständig aus
seinem Werk rekonstruieren könnte. Der Erzählband
kam 1914 heraus, nachdem er von vierzig Verlagen
abgelehnt wurde. Heute darf der Leser froh sein,
dass Joyce an sein eigenes Genie glaubte und sich
durch die Absagen nicht entmutigen ließ.
Die Idee dazu packte Joyce bereits zehn Jahre
früher, als er Dublin verließ und nach Paris ging,
um zu studieren. Seine Mutter starb, was ihn dazu
brachte, wieder nach Dublin zurückzukehren, wo er
bei einer Zeitschrift zu arbeiten begann. Was der
Leser später als „Ulysses“ in Händen halten sollte,
war von Joyce eigentlich als dreizehnte Erzählung
für seinen Band „Dubliner“ gedacht gewesen. 1914
entwickelte er die Idee weiter und widmete sich der
epischen Ausarbeitung.
Später wurde das berüchtigte Hauptwerk dieses
Schriftstellers mehrfach wegen Obszönität verboten,
bis sich Sylvia Beach regelrecht ruinierte, um es zu
veröffentlichen, was Joyce ihr „dankte“, indem er zu
einem anderen Verlag wechselte, der ihm mehr Geld
und Prestige bot.
1914 war allgemein ein schwieriges Jahr, natürlich
auch in Bezug auf die Literatur. Viel konnte nicht
erscheinen, der
Erste Weltkrieg brach aus, der
Mensch stand einer gefräßigen Realität gegenüber.
Ein Literaturnobelpreis wurde nicht verliehen,
etliche Schriftsteller zogen in den Krieg, viele
Verlagshäuser mussten ihre Pforten schließen, andere
rangen mit der finanziellen Existenz.
Hermann Hesse veröffentlichte „Roßhalde“, einen
kleineren Roman über das Scheitern einer Künstlerehe,
der durchaus von autobiografischen Merkmalen geprägt
war. Hesses Sohn litt zu dieser Zeit an
Hirnhautentzündung, bei seiner Ehefrau wurde
Schizophrenie diagnostiziert. Hesse sprach in seinen
Briefen von einer unglücklichen Ehe, beschäftigte
sich auch privat mit der Frage, ob ein Künstler
überhaupt für die Heirat taugte.
Von Edgar Rice Burroughs erschien 1914 das Hauptwerk
„Tarzan bei den Affen“, der dann zu einem
Fortsetzungsroman ausartete und etliche Nachahmungen
fand. Das Thema des Menschenkinds, das von Tieren
aufgezogen wurde, hatte vor Burroughs auch schon
Rudyard Kipling in seinem Roman „Das Dschungelbuch“
behandelt. Beide Romanvorlagen wurden verfilmt.
Des Weiteren hatte ein 28-jähriger Schriftsteller
ein Jahr zuvor einen Roman beendet, der ihn berühmt
machen sollte, ohne dass er den Ruhm jemals genießen
konnte. Der Roman selbst war im Grunde nicht allzu
spektakulär, wurde dann aber durch den frühen Tod
des Autors zum Kultbuch. Er trug den Titel „Der
große Meaulnes“, erschien 1913 und wurde von
Alain-Fournier geschrieben, der im Kriegsjahr 1914
als Leutnant der Reserve eingezogen wurde. Als er
auf das Schlachtfeld musste, galt er bald als
vermisst. Sein Roman wuchs, während über ihn und
seinen Tod Unklarheit herrschte. Man fand seine
Überreste erst 1991 in einem Massengrab. Gefallen
war Alain-Fournier 1914, bei den Kämpfen um Éparges.
Auch der Dichter Georg Trakl und der deutsche
Schriftsteller Paul Heyse starben 1914, während der
Krieg erst in seinen Anfängen lag. Allein Kafka
bewies eine Art Humor oder Gefasstheit. Er notierte
Ende August in seinem Tagebuch:
„Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. –
Nachmittag Schwimmschule.“
Sieben Tage nach dieser lapidaren Feststellung saß
Kafka schon an seinem Roman „Der Prozess“, der zwar
ein Fragment bleiben sollte, jedoch eines seiner
größten und surrealen Werke wurde.
Rudolf Steiner wiederum sah dem Geschehen etwas
hoffnungsvoller entgegen als beispielsweise Oswald
Spengler, der den Untergang des Abendlandes
verkündete. Steiner erklärte in einem seiner
Vorträge, dass dort, wo das Geschaffene zur Ruine
wird, der Mensch weiß, dass aus den Ruinen neues
Leben blühen wird. Und damit sollte er dann wohl
auch Recht behalten, so traurig die Umstände auch
waren.
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