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Literaturjahr 1913
Literatur in Deutschland
Auf der Suche ist der Schriftsteller grundsätzlich.
Nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sein und
Nicht-Sein, nach Raum und Zeit oder eben nach der
verlorenen, wie es sich Marcel Proust zur Aufgabe
gemacht hat.
„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ war der
Titel seines Brachialwerkes, dem er sein Leben
widmete, selbst dann noch, als er in einem mit Kork
gedämpften Raum auf den Tod wartete, und der erste
Teil dieses poetischen, von etlichen Figuren, Namen
und Orten wimmelnden Buches kam 1913 in die
Buchhandlungen, nachdem Proust mit seinem Manuskript
schon etliche Kämpfe durchleben musste.
In der damaligen Zeit war In
Frankreich der
Gallimard-Verlag einer der ersten angesehenen
Verlage, der auch Schriftstellern auf die Beine
half, deren Werke für ihre Zeit riskant zu
vermarkten oder provokativ waren. Solche heutigen
Größen wie der stets schimpfende Louis-Ferdinand
Céline, der mit seiner „Reise bis ans Ende der
Nacht“ vertreten war, oder Jean Genet, der frisch
aus dem Gefängnis entlassen seine Ansichten über das
Diebes- und Vagabundenleben sowie über die
Homosexualität kundgab, waren nur einige von vielen,
die das Glück hatten, dort veröffentlicht zu werden.
Mitbegründer, neben Gaston Gallimard, waren Jean
Schlumberger und André Gide. Letzterer war dafür
verantwortlich, dass das Manuskript von Proust bei
diesem Verlag nicht angenommen wurde, wofür Gide
sich hinterher häufiger gegen die Stirn schlug. So
veröffentlichte Marcel Proust sein Werk dann eben
auf eigene Kosten bei Grasset und öffnete damit die
poetische Tür zu einer langen Geschichte der
Erinnerung, beginnend mit „Swanns Welt“.
Während sich Max Brod an seinen Essay „Über die
Schönheit hässlicher Bilder“ setzte, gab er
gleichzeitig, gemeinsam mit Franz Werfel und Kurt
Wolff, die Zeitschrift „Der jüngste Tag“ heraus, in
dem u. a. Franz Kafkas „Heizer“ erscheinen konnte.
Stefan Zweig wiederum hielt die Erstausgabe seiner
Novelle „Brennendes Geheimnis“ in Händen. Diese
setzte sich mit dem Blickwinkel eines jungen
Menschen auseinander, der zwischen Traum und
Realität hin- und herpendelte. Bis dahin erforderte
die Literatur lineare Erzählstrukturen, die sich
hauptsächlich am äußeren Geschehen bedienten,
während Zweig mit der Novelle seine Zeit prägte und
gleichzeitig ihrem Geist entsprach, da u. a. Freuds
Analysen immer mehr Bedeutung gewannen. Der in der
Erzählung behandelte Generationskonflikt und die
Auseinandersetzung mit den Spielregeln der
Erwachsenen, die ein junger Mensch durchlebte,
dienten Zweig natürlich auch als Metapher auf die
Gesellschaft.
Lyrisch war das Jahr durch Else Lasker-Schüler mit
ihren „Hebräischen Balladen“ und durch Gottfried
Benn mit seinem Gedichtband „Söhne“ geprägt. Beide
verband eine zunächst starke Liebe, dann enge und
intensive Freundschaft, durch die Lasker-Schüler zu
einigen ihrer größten Liebesgedichte inspiriert
wurde. Gleichzeitig erschien in diesem Jahr in Karl
Kraus‘ Zeitschrift „Die Fackel“ ein Aufruf, um für
Lasker-Schüler, die nach ihrer Scheidung in
schlimmster Armut lebte, Geld für die Erziehung
ihres Sohnes zu sammeln.
Benn wiederum schied im März 1913 aus dem Militär
aus und musste eine Assistentenstelle in der
Pathologie einer Klinik annehmen, in der er fast
widerwillig ca. zweihundert Obduktionen durchführte,
nur abgelenkt durch geistige Verarbeitungsprozesse,
wodurch er seinen präzisen Beschreibstil
entwickelte. Wenn einer poetisch das Hirn seziert
hat, dann war es Gottfried Benn.
Rainer Maria Rilke flüchtete währenddessen nach
Spanien und durchlebte eine seiner häufigen und
dramatischen Schaffenskrisen, bis ihm nach etlichen
Leiden und Briefeschreiben wieder einunddreißig neue
Verse der sechsten Elegie gelangen. Thomas Mann
durchwanderte in diesem Jahr geistig zum ersten Mal
verschiedene Ansätze zu einem seiner größten Werke –
den „Zauberberg“, bis zu dessen Niederschrift und
Veröffentlichung es allerdings noch mehr als zehn
Jahre brauchte.
1913 war auch der Literaturnobelpreis eine freudige
Überraschung, traf es diesmal einen Inder, nämlich
den Dichter Rabindranath Tagore, der mit seinem Werk
voller Schönheit und Tiefe zu den ersten asiatischen
Preisträgern gehörte. Von ihm stammt der Ausspruch:
„Wenn ihr einen Stein werft, wird er euch von
hinten wieder treffen – weil die Erde rund ist.“
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