Während die Westmächte bemüht waren, eine gemeinsame
Basis zu finden, eine Verteidigungsgemeinschaft
einzugehen und sich in vielen Bereichen
zusammenzuschließen, hielt in der DDR die
Flüchtlingswelle an. Berlin (West) brach aus allen
Nähten, denn dort war der größte Sammelpunkt all derer,
die ihr Leben im Westen des Landes fortsetzen wollten.
Für die Menschen, die in der DDR blieben, wurden die
Forderungen, die Produktion zu steigern, immer
unerträglicher. Die Führung der SED-Regierung ging mit
Ignoranz über die Sorgen ihrer Arbeiterklasse hinweg und
veröffentliche stattdessen eine Propaganda des Grauens
über das Elend der Flüchtenden, das sie im Westen
Deutschland erwartete. Die marode DDR-Wirtschaft musste
auf Vordermann gebracht werden, wofür jeder Einzelne
gebraucht wurde. Die Anlehnung an die Politik der
Sowjetunion wurde immer enger und die SED-Führung
schreckte nicht davor zurück, diese Bruderbeziehung, die
letztendlich eine politische Abhängigkeit war, immer
wieder als das Wichtigste herauszustellen. Klare Freund-
und Feindbilder wurden in den Printmedien der Partei
gezeichnet. Kritiklos, wenn es den Blick auf die
Sowjetunion betraf.
Der Lohn für die ständig steigenden Produktionsnormen
bestand in Versorgungsengpässen und Parolen in der
Zeitung, die die Bevölkerung motivieren sollten. Das
taten die Parolen nicht. Im Gegenteil. Die
Unzufriedenheit mit dem Regierungsstil wuchs, auch wenn
es offensichtlich war, dass die Wirtschaft nicht von
einem Tag zum anderen eine Wunder-Wirtschaft werden
konnte. Die Parteiführung ging rigoros vor.
Mittelständischen und Kleinbetrieben wurde das Leben
besonders schwer gemacht in der Hoffnung, sie durch
erhöhte Abgaben zur endgültigen Aufgabe zu zwingen. Wie
knallhart man den sozialistischen Aufbau vorantreiben
wollte; darüber hatte die Parteikonferenz der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Vorjahr
bereits deutliche Aussagen gemacht.
Zum planmäßigen Aufbau gesellte sich die
„Sowjetisierung“ der DDR. Daran hatte auch der Tod des
Diktators Josef W. Stalin (1878-1953) nichts geändert.
Der war zwar ein Schock für die UdSSR und die Länder,
die sich dem Sozialismus verschrieben hatten, doch die
Veränderungen, die sich in der Sowjetunion anbahnten,
wurden von der DDR ignoriert. Von einer
Entstalinisierung war die DDR noch weit entfernt.
Stattdessen machten Arbeitervorbilder die Runde. Was der
Bergmann Adolf Hennecke (1905-1975) bereits mit seiner
Höchstleistungsschicht im Oktober 1948 bewirkt hatte und
womit er zum Begründer der Aktivistenbewegung geworden
war, machte in diesem Jahr die Weberin Frida Hockauf
(1903-1974) auf ihre Weise noch einmal, als sie sich im
September 1953 verpflichtete, eine Übererfüllung des
Plans zu leisten und 45 laufende Meter Stoff mehr zu
weben, als der Plan es vorsah, ein Vorhaben, das weit
über das normale Maß hinausging, ihr aber von Seiten der
Regierung viel Anerkennung einbrachte. Ihre berühmte
Losung „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen
leben.“ – egal, ob sie sie tatsächlich selbst so gesagt
hatte oder ob man ihr das Zitat angedichtet hatte –
wurde oft und dauernd zitiert, zur Vorbildwirkung und
als Maßstab herangezogen. Ihr folgten viele, aber nicht
alle. Frida Hockauf wurde einerseits bewundert für ihr
Engagement, andererseits verteufelt als Normbrecherin.
Ein Übermaß an Einsatz bei bescheidenem Lohn und
Knappheit der Versorgung war für viele Menschen Grund
genug, mit Streiks auf sich und ihre Nöte aufmerksam zu
machen. Diese Vorboten einer Revolte übersahen die
Funktionäre.
Noch bevor Menschen wie Frida Hockauf sich um den
alltäglichen Kampf um den Aufbau des Sozialismus
verdient machten, war für andere im Juni eine
Schmerzgrenze erreicht. Zu dem beschleunigten Kurs zum
wirtschaftlichen Aufbau des Landes kam noch hinzu, dass
die SED keinen Hehl daraus gemacht, dass sie eine
Wiedervereinigung beider deutscher Staaten vollkommen
ablehnte.
Als am 28. Mai erneut die Arbeitsnormen um 10,3 % erhöht
wurden, drohte das Fass überzulaufen. Die Menschen
begannen, sich öffentlich zur Wehr zu setzen. Proteste
wurden laut und Demonstrationen zeugten von dem Unwillen
der Werktätigen. Das Prinzip „Mehr Arbeit für gleichen
Lohn“ sorgte für zunehmende Spannungen.
Nachdem die Sowjetunion dem harschen Kurs der
DDR-Regierung Einhalt geboten hatte, da die Führung in
der UdSSR durchaus sah, wohin eine solche Politik führen
würde, beschloss die DDR, ein wenig Lockerung walten zu
lassen. Viele Inhaftierte wurden freigelassen, der Kampf
gegen die „Junge Gemeinde“, die als Tarnorganisation der
USA hingestellt und schändlicher Missbrauch des
christlichen Glaubens vorgeworfen worden war, wurde
gemäßigt. Man ließ Christen aus der DDR mit Sonderzügen
zum 5. Evangelischen Kirchentag“ nach Hamburg reisen,
gab mittelständischen Bauern ihre Landmaschinen zurück
und Inhaber von konfiszierten Betrieben durften einen
Antrag auf Rückgabe stellen. Nur für die Arbeiterklasse
änderte sich nichts. Für die galt immer noch die erhöhte
Norm bei schlechtem Lohn.
Auf zwei Berliner Großbaustellen kam es am 16. Juni 1953
zu Arbeitsniederlegungen. Ein Protestzug formierte sich,
um beim Haus des FDGB (Freier Deutscher
Gewerkschaftsbund) seine Forderungen vorzubringen. Die
Gewerkschaftsführer ließen sich auf keine Gespräche ein,
sondern verweigerten den Protestierenden ihr Gehör. Die
Demonstranten gingen weiter bis zum Gebäude der
Regierung. Dort teilte man ihnen seitens des Politbüros
mit, dass die drastischen Normerhöhungen zurückgenommen
werden würden. Doch die Forderungen der Arbeiter gingen
längst weiter. In ihrem Unmut Forderten sie u. a. auch
den Rücktritt der Regierung und verlangten freie Wahlen.
Über diese Ereignisse wurde über den Westberliner
Rundfunksender „RIAS“ den ganzen Tag berichtet und
landesweit hatte die Menschen in anderen DDR-Städten und
Gemeinden Kenntnis über die Berliner Proteste. Am Morgen
des 17. Juni kam es in allen DDR-Betrieben zu Streiks
und Demonstrationen. Der Schwerpunkt des Aufstandes lag
in Berlin und in den großen Bezirkshauptstädten.
Staatliche Einrichtungen wurden besetzt, auch die
einiger Polizei-Kreisämter ebenso wie zwei Gebäude der
Staatssicherheit. Die Revolte hatte keine klare Führung,
überall geschahen die Aktionen spontan, angespornt von
den Ereignissen in Berlin. Hunderttausende waren
beteiligt, andere Angaben sprechen von mehr als einer
Million Aufständischer. Die Wut der Menschen uferte
mancherorts aus und es gab viele Zerstörungen,
Brandlegungen und schweren Gewalttätigkeiten.
Die Polizei war mit dem Ausmaß der Ereignisse heillos
überFordert, zumal auch Polizisten zu den Demonstranten
übergelaufen waren. Der Schreck innerhalb der
DDR-Regierung saß tief. Sie floh aus der Innenstadt
Ostberlins nach Berlin-Karlshorst, wo sie den Schutz der
sowjetischen Streitkräfte genoss. Über zahlreiche
Landkreise und über Ostberlin wurde der Ausnahmezustand
verhängt. Mit dieser Aktion der sowjetischen Behörden
übernahm die Sowjetunion ganz offiziell die Macht in der
DDR. Sie schickte seit dem Vormittag Truppen und Panzer,
die zusammen mit der kasernierten Volkspolizei recht
schnell dem Aufstand seinen wütenden Schwung nahmen. Es
kam zu mehr als 6000 Verhaftungen von sogenannten
Provokateuren. Im Prinzip wurde jeder Beteiligte als
Provokateur angesehen. Allein die Anwesenheit von
Panzern auf den Straßen war für die Menschen acht Jahre
nach dem Ende des Krieges so ein Schreckensbild, dass
sie kaum Widerstand leisteten. Im Rundfunk der DDR wurde
vom Ministerpräsidenten Otto Grotewahl (1894-1964) mit
Nachdruck die Rücknahme der Normerhöhungen erklärt. Den
Aufstand bezeichneten die SED-Funktionäre als ein Werk,
das ausländische, klassenfeindliche Provokateure und
faschistische Agenten angezettelt hätten, die es galt zu
ergreifen und an die staatlichen Organe zu übergeben,
damit sie ihren „gerechten“ Strafen zugeführt werden
konnten.
Der Aufstand des 17. Juni war kein von außen gesteuertes
Werk. Der Aufstand war unorganisiert und entsprang der
maßlosen ÜberForderungen der Werktätigen seitens der
DDR-Regierung. Einfluss von außen könnte lediglich dem
Berliner Sender „RIAS“ zugeschrieben werden, der mit
seiner Berichterstattung und seinen befürwortenden und
sogar anspornenden Kommentaren für eine schnelle
Verbreitung des Aufstandes innerhalb der DDR gesorgt
hatte. Im Laufe des Tages waren die Unruhen unter
Kontrolle gebracht worden, es gab mancherorts an den
darauffolgenden Tagen noch kleinere Demonstrationen und
Arbeitsniederlegungen, die nicht annährend das Berliner
Ausmaß erreichten.
Für die Regierung der DDR war die Revolte gerade noch
einmal „gut gegangen“. Doch sie hatte das Vertrauen
ihrer Arbeiterklasse, auf die sie beim Aufbau eines
sozialistischen Landes angewiesen war, verloren. Sie
hatte zwar die gewaltigen Erhöhungen der
ArbeitsForderungen zurückgenommen, doch das geschah im
Zuge einer Vertuschungspolitik, in der sie diesen
„Putschversuch“ allein auf westlichen, also feindlichen
Einfluss schob, dem Einhalt geboten werden müsse.
Versorgungsmängel und andere Defizite wurden weiter
ignoriert. Die Rede war auch von „irregeleiteten
Werktätigen“.
Es war durch die Niederschlagung deutlich geworden, dass
die DDR ein Bestandteil des sowjetischen Imperiums war.
Die Forderung, die DDR-Regierung solle zurücktreten, war
hinfällig, weil das einer Ablehnung der UdSSR-Politik
gleichgekommen wäre, gegen die man nichts ausrichten
konnte. Die Worte von Wladimir Iljitsch Lenin
(1870-1924) „Die Menschen halten alles aus, wenn um sie
herum Wahrheit herrscht“, hatten für die DDR-Führung
keine Bedeutung. Die Kluft zwischen dem gedruckten Wort
in der Zeitung und der Alltäglichkeit im Land blieb groß
und erschreckend. Die Versorgungslage ebenfalls.
Die Sowjetunion war die einzige ausländische Macht, die
in den Aufstand eingegriffen hatte, da es den anderen
Siegermächten des Zweiten Weltkrieges nicht möglich war,
in das Gebiet der DDR einzudringen. Die Folgen wären
verheerend gewesen. Auch die BRD musste zuschauen, ihre
Siegermächte (Frankreich, Großbritannien und vor allem
die USA) hielten sich aus den Unruhen heraus. Beide
deutsche Staaten hatten in ihrem politischen Tun keine
freie Hand, sondern mussten sich nach wie vor nach den
Vorgaben ihrer Besatzer richten.
Der 17. Juni 1953 hatte in der Bevölkerung eine große
Betroffenheit hinterlassen, zumal es auch Todesopfer
gegeben hatte. Erfolg hatte sie mit ihrem Aufbegehren
nicht gehabt. Zum großen Teil waren die Menschen
eingeschüchtert. Wer sich weiterhin gegen die Politik
der DDR-Regierung stellte, musste mit schweren
Repressalien rechnen, die sich auf alle Lebensbereiche
erstreckten.
Die Situation, die unterschwellig noch sehr angespannt
war, konnten auch die schmusigen Lieder von der
Leipzigerin Irma Baltuttis (1920-1958) oder dem
Schlagersänger aus Halle, Fred Frohberg (1925-2000),
nicht so recht entschärfen. Die Musikszene war seicht
und immer mit einem optimistischen Touch. Zudem ließen
es sich viele Menschen nicht nehmen, die Schlager des
„Klassenfeindes“ zu hören. Die niederländische Gruppe „Kilima
Hawaiians“ traf mit ihrem Lied Herz-Schmerz-Titel „Es
hängt ein Pferdehalfter an der Wand“ den sentimentalen
Nerv aller Deutschen.
Auch in Sachen Mode orientierte sich die DDR nicht am
internationalen Maßstab und an westlichen Trends. Hosen
waren im Straßenbild noch kein Thema für die Frauen.
Noch sahen die ohnehin meist berufstätigen Frauen noch
ein wenig bieder aus. Angesagt waren Kleider, die
entweder einen weiten Rock hatten und mit sehr breiten
oder auch sehr schmalen Gürteln verziert wurden oder
knielange enge Röcke und Kleider. Vieles war selbst
genäht, denn das Angebot in den Geschäften war mehr als
dürftig. Auch Stoffe waren nicht in allzu großer Auswahl
vorhanden. An echte, gute Materialien war ohnehin nicht
zu denken. Die Chemiefaser sollte die Naturseide
ersetzen, doch die Produktion gab noch nicht genügend
her trotz der Normvorgaben. Damenmäntel waren meist
gerade geschnitten. Dazu gehörte ein kleines Hütchen,
das von fast jeder Frau getragen wurde. Und am Arm hing
die Handtasche. Frau winkelte den Arm an, um sie zur
Schau zu tragen. Das war ein typisches Accessoire der
fünfziger Jahre. Auch die Farbenvielfalt befand sich
noch in den Anfängen. Mut zur Farbe in düsterer Zeit
hatten die Modemacher in der DDR nicht. Aber immerhin
organisierte man Betriebsmodenschauen, die von den Damen
zahlreich besucht wurden. Das Interesse an Mode ging –
wie überall auf der Welt – an den politischen
Ereignissen vorbei, bot eine willkommene Abwechslung und
tat dem Selbstbewusstsein gut.
Das 1953er Jahr in der DDR war aufregend, es hatte aber
auch gezeigt, dass sich die Menschen nicht alles
gefallen lassen, selbst wenn sie anschließend großteils
wieder in ihren Alltag zurückkehrten, in dem sie
immerhin Arbeit und Brot hatten.
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