Literatur 1935 Das literarische Jahr
1935 spitzten sich die Bedingungen in Deutschland
weiter zu, darunter wurden die Nürnberger
Rassengesetze verabschiedet. Jazz war im Radio
verboten und
Kurt Tucholsky war dermaßen erschüttert
über die Entwicklung innerhalb seines Heimatlandes,
dass er sich das Leben nahm.
In der Literatur hatte sich während dieser Zeit eine
neue Richtung geformt, die sich „Exilliteratur“ oder
auch „Emigrantenliteratur“ nannte. All die Werke,
die von Schriftstellern geschrieben wurden, die
politisch verfolgt oder ins Exil gingen, fielen
unter diese Kategorie. Viele setzten sich nach
Frankreich oder Amerika ab, darunter Carl Zuckmayer,
Bertolt Brecht,
Thomas Mann und sein Bruder Heinrich und
auch Lion Feuchtwanger. In
Prag
wiederum erschien die erste Zeitschrift, die gegen
den Nationalsozialismus Protest erhob.
Auch Klaus Mann wurde aktiv und brachte die
antifaschistische Zeitung „Die Sammlung“ heraus, in
der alleine sein berühmter Vater nicht erschien, da
dieser sich zunächst weigerte, die Entwicklung
innerhalb Deutschlands in ihrem völligem Ausmaß zu
begreifen. Auch befasste sich Thomas Mann zu diesem
Zeitpunkt völlig unpolitisch mit dem biblischen
Stoff um „Joseph und seine Brüder“.
Heinrich Mann erklärte, dass allein
antifaschistische Literatur tatsächlich unter den
Begriff „deutsche Literatur“ fiel. Sie diente der
weltweiten Aufklärung über die Zustände in
Deutschland und war gleichermaßen literarischer
Widerstand. So schrieb Mann den Roman „Henri
Quatre“, der im Grunde diese Bewegung verinnerlichte
und am deutlichsten ins Bild setzte.
Von Erich Kästner erschien der Roman „Die
verschwundene Miniatur“. Er fiel ebenfalls in die
Zeit der sogenannten „inneren Emigration“, denn
Kästner hatte in Deutschland längst
Publikationsverbot und stand dem Nazi-Regime
ablehnend gegenüber. Seine Werke durften nur im
Ausland verlegt, jedoch in Deutschland verkauft
werden. Dieser Roman wurde einer der meist
übersetzten von Kästner und behandelte das Thema des
Kunstraubes und der Naivität eines gutgläubigen
Fleischermeisters.
Der Literaturnobelpreis wurde in diesem Jahr nicht
verliehen. Dafür erschien von einem baldigen
Nobelpreisträger „Die Blendung“, eines der besten
Werke von Elias Canetti. Das Buch besticht durch
seine Lebendigkeit und die Charaktere, die es
schaffen, den Leser regelrecht zu verärgern. Auch
wurde dort von Canetti der Mann geprägt, der seine
gesamte Bibliothek im Kopf mit sich herumträgt.
Von Jorges Luis Borges, dem Meister des Vermischens
fiktiver und wirklicher Begebenheiten, erschienen
die Kurzgeschichten mit dem so bezeichnenden Titel
„Universalgeschichte der Niedertracht“ und John
Steinbeck veröffentlichte seinen Roman „Tortilla
Flat“, durch den er bekannt wurde. Steinbeck
verarbeitete hier seine Erlebnisse in einer
Zuckerfabrik, in der er gemeinsam mit mexikanischen
Sträflingen Arbeit gefunden hatte. 1945 schrieb
Steinbeck eine Fortsetzung des Romans, die unter dem
Titel „Die Straße der Ölsardinen“ gedruckt wurde.
Es starben 1935 Henri Barbusse, ein großartiger
Schriftsteller und Pazifist, der mit dem Werk „Das
Feuer“ bekannt wurde, und der faszinierende
Portugiese Fernando Pessoa, von dem man außerhalb
Portugals noch kaum etwas gehört hatte. Die
Lissabonner widmeten ihrem großen Schriftsteller ein
Denkmal seiner selbst, eine Statue, die auf einer
Bank vor dem Café, in dem Pessoa verkehrte und seine
tägliche Dosis Wein zu sich nahm, sitzt und bis
heute eine große Anziehungskraft auf viele Touristen
ausübt. Als Pessoa im Alter von siebenundvierzig
Jahren starb, fand man eine mächtige und verstaubte
Truhe in seiner Wohnung, die den wertvollen Schatz
seines Gesamtwerkes enthielt. Pessoa war ein
Universalgenie, hatte unter etlichen Heteronymen
geschrieben, und all diese Werke offenbarten nicht
nur einen unterschiedlichen Charakter und Stil,
sondern auch vollkommen voneinander abweichende
Ansichten und Einstellungen zu Welt und Sein. Pessoa
prägte mit seinem Werk einen neuen literarischen
Stil und inspirierte etliche andere Schriftsteller.
Viele widmeten ihm sogar ihre eigenen Werke,
darunter die Portugiesen José Saramago, der sich mit
dem Heteronym Pessoas – Ricardo Reis – beschäftigte,
und Antonio Tabucchi, der mit „Erklärt Pereira“
einen wunderbaren politischen Roman lieferte, in
einem anderen Werk dann lange über Pessoas letzte
Tage nachgrübelte. Das bekannteste Werk Pessoas war
„Das Buch der Unruhe“, die philosophische
Auseinandersetzung eines Buchhalters namens Bernardo
Soares, der seine „innere Landschaft“ einer zu
gefräßigen Außenwelt vorzieht und sich eine
Glasscheibe wünscht, durch die er zwar blicken kann,
die ihn aber wiederum auch vor dieser Welt bewahrt.
In einer anderen Landschaft kam 1935 auch T. E.
Lawrence bei einem Motorradunfall ums Leben, der
sich mit seinem historischen Werk „Lawrence von
Arabien“ einen Namen gemacht hatte.
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