Literatur 1934 Das literarische Jahr

In Deutschland hatte der Faschismus 1934 endgültig die Oberhand gewonnen. Das berüchtigte Gesetz zur Verhütung von Erbkrankheiten wurde verabschiedet, Menschen mussten sich Zwangssterilisationen unterziehen. Für Adolf Hitler war nach dem Tod Hindenburgs der Weg offen, Deutschland ganz und gar unter seine Fittiche zu nehmen und sich seine Macht zu sichern. Viele Künstler hatten sich zu Hitlers Gefolgschaft zu bekennen, um überhaupt im Land geduldet zu sein. Allein die Evangelische Kirche distanzierte sich von den Nazis.
In Frankreich erschien eines der schönsten Werke von Henry Miller, das durch seine freizügige Sprache viel Empörung hervorrief. „Im Wendekreis des Krebses“ wurde in Paris gedruckt. Darin berichtete Miller vordergründig von seinen Erlebnissen und seinem Straßenleben in Frankreich, von seinen Besuchen bei Prostituierten und Freunden. Hintergründig und tiefsinnig wehte aus den Zeilen jene Unabhängigkeit herüber, die Miller sein Leben lang und bis ins hohe Alter hinein selbst repräsentierte. Alles, was ein Mensch benötigen würde, so hieß es im Roman, wäre ein einziger gepackter Koffer und ein paar Bücher. Der Roman wies neben seiner Philosophie auch etliche sexuelle Anspielungen und Beschreibungen auf, die Miller zum pornografischen Autor abstempelten und den Roman, wie einige seiner anderen, zum verbotenen Buch machten. Sicherlich hat er zu diesem Ruf mit Freude auch einiges beigetragen, so sein Werk „Opus Pistorum“, eine Sammlung erotischer, äußerst pornografischer Texte, die aber mehr für eine Zeitschrift gedacht waren, um etwas Geld zu machen, als dass sie tatsächlich Millers Gesamtwerk verkörperten. Zu den Erlebnissen in Paris und Frankreich schrieb Miller fünf Jahre später auch die Fortsetzung in Amerika unter dem Titel „Im Wendekreis des Steinbocks“. Dort schlug sich Miller, wie in Frankreich, als mitteloser Lebenskünstler durch, gab Unterrichtsstunden und philosophierte über den Sinn des Lebens und seine Abneigung gegen Amerika.
Orwell lobte Millers Werk als eines der bedeutendsten seiner Zeit. Er selbst veröffentlichte 1934 „Tage in Burma“, ein autobiografisch geprägter Bericht über seine Zeit in Birma, wo er als Polizeioffizier gearbeitet hatte und lernte, den Imperialismus zu verabscheuen. Es ist ein Roman über die Ausbeutung und eine scharfe Kritik am Kolonialismus.
Von F. Scott Fitzgerald erschien „Zärtlich ist die Nacht“, ein herrlicher Roman über die Oberflächlichkeit und Dekadenz der höheren Gesellschaft, über das Selbstzerstörerische im Menschen, die Goldenen Zwanziger und die Probleme der Ehe. Fitzgerald war mit Zelda verheiratet. Beide neigten zu starken Alkoholexzessen und hatten auch in ihren Leidenschaften ihre Kämpfe auszutragen. Zelda hatte einige Jahre zuvor ihren ersten Nervenzusammenbruch und wurde später wegen Schizophrenie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Sie war eines jener „Flapper-Girls“, die noch heute als Erinnerung lebendig ihre verrückten, rauschdurchtränkten Tänze aufführen. Sie starb im Alter von siebenundvierzig Jahren bei einem Brand des „Highland Mental Hospitals“ in North Carolina, dennoch acht Jahre später als ihr Ehemann, der nach der Erfolglosigkeit seiner veröffentlichten Romane immer mehr dem Alkohol verfiel und seinen aufwendigen Lebensstil nicht mehr finanzieren konnte. Er starb 1940 im Alter von vierundvierzig Jahren an einem Herzinfarkt. Erst mit der Verfilmung des Romans „Der große Gatsby“ wurde der Schriftsteller wiederentdeckt. Seine Romane tun das Übrige, um die Zwanziger erneut aufleben zu lassen.
Von Dylan Thomas, ebenfalls ein starker Alkoholiker, erschienen 1934 die „18 Poems“ und Evelyn Waugh, ein Schriftsteller des makabren Humors, veröffentlichte seinen Roman „Eine Handvoll Staub“. Waugh war mit einer Frau verheiratet, die den gleichen Vornamen hatte wie er. Sie traten in der Zeit ihrer kurzen und unglücklichen Ehe auf Partys als Er-Evelyn und Sie-Evelyn auf. Der Roman war eine Verarbeitung dieses Zusammenlebens.
Vladimir Nabokov veröffentlichte seinen Roman „Verzweiflung“. Darin schuf der große Stilist eine ausgeklügelte Story über einen Mann, der in einem Landstreicher seinen Doppelgänger erkennt und durch die Begegnung auf die Idee kommt, einen raffinierten und kaltblütigen Mord zu begehen.
Den Literaturnobelpreis erhielt 1934 der Italiener Luigi Pirandello. Er wurde für sein Drama-Werk ausgezeichnet, für die Neuschöpfung der Bühnenkunst.
Im gleichen Jahr starben die Physikerin Marie Curie, der Soziologe Max Weber und der Dichter Joachim Ringelnatz. Ebenso der russische und einzigartige Symbolist Andrej Bely, der gegen Ende seines Lebens stark dem Alkohol verfallen war. Er war ein großer Anhänger von Rudolf Steiners Theorien, bis er darin den Trug entdeckte, was er seinem Vorbild nie verzieh. Bely war ein Dichter, ein Wortschöpfer und Erneuerer der russischen Literatur gewesen. Viele Russen trauerten um ihn, trotz der gefräßigen Umstände, die in Russland stattfanden und als das „Silberne Zeitalter“ in die Geschichte eingehen sollten.

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