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Literaturjahr 1911
Literatur in Deutschland
Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene
Urbanisierung und Industrialisierung sorgte für
enorme gesellschaftliche und politische Umwälzungen.
Tradierte Vorstellungen und Konventionen mussten in
Frage gestellt werden, die Menschen hatten sich mit
einer zunehmenden Technisierung und einer damit
einhergehenden Beschleunigung ihrer Umwelt und ihres
Umfeldes auseinanderzusetzen. Großstädte und
Ballungszentren entstanden, was für
Orientierungslosigkeit und Infragestellung der Werte
sorgte.
Vor allem die Jugend sah sich konfrontiert mit einem
erstarrten Bildungsideal, sie nahm eine stetige
Diskrepanz zwischen der vermittelten Lehre und der
tatsächlichen Realität war. Die Reaktion darauf
zeigte sich vor allem an den Künsten der Zeit, die
Suche nach neuen Ausdrucksformen prägte Kunst,
Kultur und Literatur, die es sich zur Aufgabe
gemacht hatten, gegen das erstarrte Welt- und
Leitbild aufzubegehren.
Für die Tendenz, die sich seit Anfang des
Jahrhunderts in der Literatur herausbildete, prägte
Kurt Hiller im Jahre 1911 den sprechenden Begriff
"Expressionismus", der die Suche nach neuem Ausdruck
und Innovation beschreiben sollte.
Als künstlerisches Sinnbild der Epoche gilt das
Gemälde "Der Schrei" der norwegischen Malers und
Grafikers Edvard Munch; und ein Aufschrei waren auch
die literarischen Erzeugnisse des Expressionismus.
Die expressionistischen Künstler rebellierten in
neuen Wortschöpfungen, mit neuem Pathos, neuen
poetologischen Zielen und avantgardistischen
Experimenten gegen die tradierte Ordnung und
Wertvorstellung, sie wandten sich mit einem
antinationalistischen und antibürgerlichen Impetus
gegen die Welt der Väter, die ihnen überholt und
erstarrt, veraltet und verstaubt schien. Das
Weltbild der wilhelministischen Bürgerlichkeit wurde
von der jungen Generation kritisch hinterfragt und
angezweifelt, existentielle Nöte und subjektive
Fragen standen mehr und mehr im Zentrum der
Literatur. Die Interessen der Künstler galten auch
gesellschaftlichen Themen; an die Stelle des
epigonalen Gefühls des Niedergangs eines Zeitalters
trat die Suche nach einem neuen Fundament.
Auf aktuelle Entwicklungen wie die Entstehung von
Großstädten wurde mittels literarischer
Ausdrucksformen reagiert und Bezug genommen, die
Einsamkeit des Subjekts inmitten des Molochs
Großstadt, die zunehmende Isolierung des Individuums
angesichts technisierter und rationalisierter
Abläufe in der Massengesellschaft wurde zum
Brennpunkt künstlerischer Fragen und
Ausdrucksformen.
Väter und Söhne, Großstadt und Einzelmensch,
Ich-Dissoziation und Wirklichkeitsverlust waren
große Fragen und Themen in der Literatur des
Expressionismus; sie wurden umgesetzt in einer
Sprache, die nach Neuem strebte. Der mimetischen
Wirklichkeitsbeschreibung wurde radikale Verfremdung
entgegengesetzt, an die Stelle poetischer
Sprachharmonie trat, vor allem in den Gedichten
Gottfrieds Benn, eine Ästhetik des Hässlichen.
Zu wichtigen Vertretern des Expressionismus zählen
neben Gottfried Benn Dichter wie Georg Heym, Georg
Trakl, Franz Werfel, Johannes R. Becher oder die
Dichterin Else Lasker-Schüler. Auch das Drama war
neben der Lyrik eine wichtige Gattung innerhalb
dieser Epoche, herausragende Vertreter waren vor
allem Georg Kaiser und Carl Einstein.
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