Was war vor 200 Jahren
Historisch gesehen sind zweihundert Jahre eine kurze
Zeitspanne. Dennoch scheint diese Zeit sehr, sehr lange
zurück zu liegen, denn es gibt keine Zeitzeugen mehr,
deren persönliche Eindrücke verdeutlichen könnten, wie
das Leben damals war. Schade.
Um sich in das Jahr
1811 zu versetzen, sollte man zunächst die
politischen Umstände betrachten. Es hatte ein neues
Jahrzehnts begonnen, das unter dem Einfluss
Napoleons
stand. Es gab das Königreich Preußen. Es gab seit
1804 das
Kaisertum
Österreich und es gab seit
1806 den
Rheinbund, ein Gefüge vieler mitteldeutscher Länder.
Diese politisch-geografische Situation war das Ergebnis
napoleonischer
Herrschaft. Die fand ihr unwiderrufliches
Ende erst
1815,
als der selbst ernannte Kaiser der Franzosen nach der
Niederlage von Waterloo auf die Insel St. Helena
verbannt wurde. Aber noch hielt Napoleon Europa mit
seinen Eroberungskriegen in Atem. Im Jahr 1811 gab es
bereits immer heftigere Widerstände und nur zwei Jahre
später wurde Napoleon in der Völkerschlacht bei
Leipzig
eine enorme Niederlage beigebracht. Das war
1813.
Wie sah das zivile Leben aus? Wer sich 1811 von einem
Ort zum anderen fortbewegen wollte, musste viel Zeit
haben. Das Hauptverkehrsmittel war die Postkutsche.
Wollte man beispielsweise von
München
südwärts reisen, musste man die Alpen überqueren. Das
dauerte wenigstens eine Woche. Aus heutiger Sicht
erscheint das romantisch. Doch wer auf diese Art des
Reisens angewiesen war, sah das anders. Es war
beschwerlich und nicht selten kippte eine Kutsche um.
Dann mussten die Reisenden warten und froh sein, wenn
sie sich nicht verletzt hatten.
Es gab keine Alternativen zur Fortbewegung mit der
Postkutsche, denn die Entwicklung der
Eisenbahn
steckte noch in den Kinderschuhen. Das System, Räder auf
Schienen rollen zu lassen, kannte man natürlich schon.
Doch die
Geschichte der Eisenbahn hatte ja gerade erst
1804 mit der Inbetriebnahme der ersten Dampflokomotive
begonnen. Diese Lokomotive ist dem Briten Richard
Trevithick zu verdanken, der als Erfinder und Ingenieur
maßgeblich zum Fortschritt auf Schienen beitrug. Von da
an ging es Schlag auf Schlag. Die Industrialisierung war
in
Großbritannien
am weitesten fortgeschritten und jährlich machte eine
neue Verbesserung der Dampflokomotive Furore. Die erste
Eisenbahn, die außer Gütern auch Passagiere befördern
konnte, wurde
1825
in England eingesetzt. In den darauf folgenden
Jahrzehnten schritt diese Entwicklung zügig voran.
Schienennetze wurden geschaffen, Bahnhöfe errichtet –
das alles auch in
Deutschland. Vorerst aber war die Postkutsche
das Transportmittel Nummer eins auf dem Landweg. Dampf-
und Segelschiffe übernahmen die Wasserwege.
Wollte man sich 1811 über die neuesten Ereignisse
informieren, hatte man schon beachtliche Möglichkeiten.
Sieht man von den Erzählungen Reisender ab, die stets
subjektiv gefärbt waren, konnte man immerhin schon auf
Zeitungen zurück
greifen. Davon gab es mehrere in jeder Stadt und die
berücksichtigten bereits verschiedene Interessengebiete.
Allerdings waren die Informationen nicht tagesaktuell.
Sie verbreiteten sich langsam. Es war völlig normal,
dass man Neuigkeiten aus
Köln erst eine Woche später in
Berlin
erfuhr. Neben den Zeitungen sorgten auch Verleger für
die Verbreitung von Informationen in Form
Literatur
und Musikalien.
Johann Wolfgang von Goethe war im Jahre 1811
bereits 62 Jahre alt und der zu Lebzeiten
bekannteste Dichter. Seine Werke konnte man
gedruckt kaufen, seine Stücke auf der Bühne sehen. Der
vornehme Herr aus Weimar war sogar über die
Landesgrenzen hinaus bekannt.
Wer sich in seiner Freizeit mit Musik berieseln lassen
wollte, musste selbst musizieren oder dem Vortrag
anderer Künstler lauschen. Noten gab es ja zu kaufen. In
den adeligen und bürgerlichen Kreisen wurde eine
musische Bildung ganz selbstverständlich in die
Erziehung einbezogen. Gesellschaftlicher
Freizeit-Treffpunkt waren die Salons. In denen gab es
nicht nur Klatsch und Tratsch. Manche Salons wurden
wegen ihres musikalischen oder literarischen Charakters
berühmt. Ihre Anfänge nahmen derlei Salons in der Zeit
um 1811, ihre Blütezeit erreichten sie etwa 10 Jahre
später.
Der Drang, sich künstlerisch zu betätigen, war kein
Privileg der begüterten Bevölkerungsschicht. Nur war der
Werdegang bis zum Erfolg für die ärmeren Menschen
weitaus schwerer. Eine Persönlichkeit, die die Musik um
1811 prägte, war beispielsweise der 41-jährige Ludwig
van Beethoven. Mühsam drang sein Schaffen an eine
größere Öffentlichkeit. Keine Tonbänder trugen zur
Verbreitung bei. Es gab nur Noten und die musste ein
Musikalienverleger erst einmal annehmen, damit sie dann
durch Verkauf in Umlauf kamen. Die „Allgemeine
Zeitschrift für Musik“, die 1798 gegründet worden war,
sorgte für eine passable Verbreitung von Informationen
über den großen Meister. Als einen solchen hatte man ihn
bereits erkannt, wenngleich ihm das zwar Bewunderung,
aber kein einträgliches Leben bescherte. Mozart, dessen
Requiem in Paris letztmalig 1805 zu hören gewesen war,
hatte das Glück, dass seine Opern gespielt wurden,
obwohl er bereits seit zwanzig Jahren tot war. Und
allmählich sickerte auch die Nachricht nach Deutschland,
dass ein gewisser Niccólo Paganini ganz Italien mit
seinem Violinenspiel in Erstaunen versetzte. Bevor er
Jahre später andere Länder bereiste, war ihm durch die
Gazetten der Ruf eines Teufelsgeigers voraus geeilt und
das, obwohl es noch gar keine Sensationspresse gab.
Vielen anderen Künstlern und ihren Werke, egal, welchem
Genre sie angehörten, war oftmals kaum ein Minimum an
Erfolg beschieden. Franz Schubert, der 1811 bereits
kompositorisch tätig war, konnte die Menschen seiner
Zeit nicht von seiner großen Begabung überzeugen. Heute
genießt er weltweiten Ruhm. Leider zu spät, denn er
starb 1827 arm und erfolglos.
Im Jahr 1811 gab es bereits Visionäre, die davon
träumten zu fliegen. Ein erfinderischer Konstrukteur
ging bei seinem Versuch, sich mit einem selbst gebauten
Flugapparat in die Lüfte zu erheben, im wahrsten Sinne
des Wortes baden. Er fiel in die Donau, weil er die
Aufwinde über dem Fluss nicht beachtet hatte. Mit seinem
technischen Verstand war er seiner Zeit dennoch um
zweihundert Jahre voraus. Heute wird er nicht mehr
belächelt. Im Gegenteil. Es wurde nachgewiesen, dass
sein Gleitflugapparat durchaus flugtauglich gewesen
wäre. Damals hatte man nur Spott für Albrecht Ludwig
Berblinger, der als Schneider von Ulm in die Geschichte
einging.
Einer, dessen Nachruhm bis in die heutige Zeit reicht,
arbeitete 1811 im Alter von 24 Jahren mit größtem
Enthusiasmus als Optiker-Werkmeister in einem
Mathematisch-Mechanischen Institut in Bayern. Drei Jahre
später erfand er das Spektroskop. Als Begründer des
Fernrohrbaus ging dieser Mann namens Joseph Fraunhofer
in die Wissenschaftsgeschichte ein. Die heute nach ihm
benannte größte Forschungs-Gesellschaft Europas ehrt
seine Verdienste mit ihrer fortwährenden Arbeit.
Die Menschen um 1811 bevorzugten Lebensmittel aus der
Region. Dahinter steckte natürlich kein Öko-Gedanke,
sondern die Tatsache, dass die Transportwege umständlich
waren und Zeit kosteten. Niemand wäre auf den Gedanken
gekommen, frisches Gemüse oder Brot tagelang zu
transportieren, um es an einem anderen Ort zu verkaufen.
Gebacken wurde übrigens ohne Konservierungsmittel, Obst
kam frisch auf den Markt und Fleisch schossen sich
privilegierte Bürger selbst oder ließen es ihre Jäger
tun. Das Metzgerhandwerk gab es bereits, nur nicht die
Bandbreite an Wurstsorten. Alles bewegte sich in einem
überschaubaren Rahmen. Von einer Zeit der Fülle kann
wirklich nicht die Rede sein. Zudem war die Lagerung
schwierig. Sie beschränkte sich auf das Trocknen oder
Einsalzen von Lebensmitteln. Für den privaten Haushalt
war das ausreichend.
Für die Versorgung großer Soldatenheere war das zu
wenig. Schon am Ende des 18. Jahrhunderts hatte Napoleon
einen Preis von 12.000 Goldfranken ausgesetzt, für
denjenigen, dem es gelänge, Lebensmittel in großem Stil
haltbar zu machen. Der Preis ging 1812 an den Franzosen
Nikolas Appert, nach dessen Methode heute noch
eingekocht wird. Außerdem entstand in dieser Zeit die
Konservendose. Sie wurde 1810 patentiert. Die Vorläufer
dieser Erfindung aus Weißblech kamen aus England.
Nikolas Appert war es auch, der 1827 zum ersten Mal
Kondensmilch herstellte. Bis all das nach Deutschland
kam, vergingen allerdings noch etliche Jahre.
Es war nicht üblich, außer Haus zu essen. Die
Möglichkeiten waren weder vielfältig, noch reizvoll.
Wohl gab es Gasthäuser, deren Besitzer eine
Schankgenehmigung hatten. Dort, wo die Menschen an den
Poststationen ihre Pferde wechselten, konnte man
natürlich etwas zu essen bekommen. Diese Stationen waren
die Vorläufer der heutigen Autobahn-Raststätten. In
jener Zeit entstanden in Berlin und Wien, aber auch in
Italien und Frankreich bereits erste Kaffeehäuser. Diese
Lokalitäten wurden vorrangig von Männern besucht. Sie
waren ideale Treffpunkte zum Rauchen, Schwatzen und vor
allem zum Zeitungslesen. In Berlin eröffneten die
Kaufleute Christoph Lutter und August Friedrich Wegner
am 15. August 1811 ein Lokal, das heute noch ein
Inbegriff gehobener Gastlichkeit ist: Lutter & Wegner.
Heute gibt es Lokale von Lutter & Wegner in
verschiedenen deutschen Städten. Da sollte doch niemand
an der Weitsichtigkeit der beiden Kaufleute von 1811
zweifeln.
Normalerweise wurde in der heimischen Küche an einem
fest eingebauten Feuerherd gekocht. In besseren Kreisen
ließ man kochen. Den Beruf des Koches gab es lange
schon. Jedenfalls bei Hofe. In den privaten Haushalten
wurde das von den Köchinnen gemeistert. Die Speisen, die
man in den begüterten Haushalten zur Verfügung hatte,
waren vor allem Brot, verschiedenen Sorten Gemüse,
Milch, Eier, Kartoffeln und Mehl.
Kaffee war bekannt,
wurde aber längst nicht mit solcher Regelmäßigkeit
getrunken wie heute. Er war zudem sehr teuer. Bei Hofe
oder in den Salons wurden auch kakaohaltige Getränke
gereicht. Eine Schokolade zu trinken, galt als besonders
vornehm.
Die Menschen im Jahre 1811 hatten zwar vergleichsweise
wenige Möglichkeiten, unterhalten zu werden, dennoch
waren ihre Tage ausgefüllt. Wenn sie nicht arbeiteten
oder anderweitig geschäftlichen Tätigkeiten nachgingen,
trieben sie mitunter auch Sport. Man ging spazieren,
nicht joggen. Niemand lief in einem Park oder gar in der
Stadt, als würde er verfolgt. Doch selbst die sportliche
Betätigung hatte ihre Vordenker. Am 19. Juni 1811 wurde
in Berlin der erste Turnplatz Deutschlands eröffnet.
Friedrich Ludwig Jahn, der heute als Turnvater bekannt
ist, war dafür verantwortlich. Sein Ziel war es, die
Menschen fit zu machen, auch wenn es den Begriff noch
gar nicht gab. Die Menschen sollten körperlich gestählt
werden, damit sie den Anstrengungen in den Schlachten
Napoleons besser gewachsen waren. Später griff der
sportliche Gedanke im Zusammenhang mit der Gesundheit um
sich.
Wollte man sich von einem Ort zum anderen etwas
mitteilen, schrieb man Briefe und vertraute die der Post
an. Das Postwesen hatte sich seit seiner Gründung im
Jahre 1490 entwickelt, war aber stets abhängig von den
Bestimmungen der Regierenden. Es war ebenfalls abhängig
vom jeweiligen Land. Botendienste und eigens dafür
ausgewiesene Stellen, zu denen man seine Briefe und
Päckchen brachte, gab es vorerst nur vereinzelt. Im
Jahre 1811 begann die Verteilung von Briefkästen in
Deutschland.
Zwei Brüder, die sich heute noch großer Beliebtheit
erfreuen, waren Jacob und Wilhelm Grimm. Sie gaben 1811
ihre ersten Einzel-Werke heraus. Ein Jahr später
erschien der erste Band ihrer „Kinder- und Hausmärchen“,
die seit damals eine enorme Verbreitung fanden. Und
nicht nur Kinder gehören zu ihren begeisterten Lesern.
Zweihundert Jahre zurück liegt auch die Geburtsstunde
der
Kriminalpolizei in Deutschland. Am 1. April 1811
wurde durch das Berliner Polizeireglement entschieden,
dass zwischen Ermittlern und Leuten, die über eine
Bestrafung befinden durften, strikt getrennt werden
musste. Und das, obwohl in Deutschland noch nicht einmal
überall die Folter abgeschafft war.
Ein modernes Kanalisationssystem, wie man es heute
kennt, gab es 1811 noch nicht. Jedenfalls nicht in
Deutschland. Die einzige Stadt, die bereits seit 1737
flächendeckend kanalisiert war, war Wien. Erst Mitte des
19. Jahrhunderts folgten London, Hamburg und andere
Städte Europas. Das bedeutete, dass manche Großstadt,
deren klangvollen Namen man mit historischen Ereignissen
in Zusammenhang bringt, schlicht und einfach stank. So
eine Tatsache rückt in Ermangelung von Zeitzeugen
glücklicherweise in den Hintergrund.
Das Jahrzehnt war in Bewegung. Dem Tod des großen,
preußischen Dramatikers Heinrich von Kleist stand die
Geburt des Chemikers Robert Bunsen gegenüber. „Der
zerbrochene Krug“ ist somit der berühmteste
Scherbenhaufen aus jener Zeit. Und dass sich der 31.
März, der Geburtstag des Mannes, dessen Bunsenbrenner
jeder aus dem Schulunterricht kennt, zum 200. Mal jährt,
ist durchaus eine Erwähnung wert.
Das Jahr 1811 stand unter einem besonders guten Stern,
bzw. unter einem gewaltigen Kometen. Alles, was den
Menschen verwunderlich, bedeutsam oder bedrohlich
erschien, wurde auf die Existenz des Kometen geschoben.
Honorè Flaugergues, ein französischer Amateur-Astronom,
hatte ihn schon im März 1811 entdeckt. Der Komet war
fast während des ganzen Jahres hindurch am Himmel zu
sehen. Kein Wunder, dass man auch die Geburt von Franz
Liszt im ungarischen Raiding, das heute im
österreichischen Burgenland liegt, als etwas Besonderes
empfand. Natürlich war es mehr dessen großer Fleiß,
seine enorme Begabung und nicht das Vorhandensein des
Kometen, das diesen Mann zu einem wunderbaren
Komponisten und zum größten Klaviervirtuosen des 19.
Jahrhunderts machte.
Hätte man heute tatsächlich einen Zeitzeugen aus dem
Jahr 1811, dann würde dieser wahrscheinlich über das
Wetter plaudern, denn das war 1811 so bemerkenswert,
dass es in den Wetteraufzeichnungen große Beachtung
fand. Ein mäßig kalter Winter wechselte schon im Februar
in einen warmen Frühling und lockte die Menschen ins
Freie. Der Sommer begann im Mai mit großer Hitze. Im
Juni wurden Temperaturen um 35 Grad Celsius gemessen.
Die Gewitter waren heftig. Hagel, Blitzeinschläge und
Wolkenbrüche richteten enormen Schaden an. Nicht nur in
Deutschland, auch in den meisten europäischen Ländern
war es so. Das Wetter war zu Recht ein vorrangiges
Gesprächsthema. Dann folgte die Trockenheit. Sie dauerte
von Juli bis Oktober. Für die Getreidekörner war das
verheerend, denn sie erreichten kaum die Hälfte ihrer
normalen Größe. Der Herbst war ungewöhnlich warm. In
Deutschland und in weiten Teilen Europas blühten die
Bäume im Herbst zum zweiten Mal. Weinstöcke setzten neue
Trauben an, im Rheinland und in Frankreich wurden
Erdbeeren angeboten. Das Wetter brachte alles
durcheinander – das konnte nur am Kometen liegen. Das
jedenfalls glaubten die Menschen.
Ob die männlichen Angehörigen der adeligen und
großbürgerlichen Bevölkerungsschicht in ihrer Kleidung
ins Schwitzen kamen, ist nicht überliefert. Aber der
dunkle, nach englischem Vorbild geschneiderte Frack,
legt diese Vermutung nahe. Die Mode schrieb den Herren
damals eine helle Hose vor, die durch Stege gestrafft
wurde und dem Herrn ein schneidiges und aber nicht
strenges Aussehen gab. Für die heißen Tage war ein
Zylinder nicht unbedingt angenehm, aber er gehörte zur
vollkommenen Kleidung. Die Mode in Frankreich war noch
von höfischen Gepflogenheiten beeinflusst, während
anderswo die ersten sogenannten Dandys auch durch ihre
Kleidung auffielen. Die Damen zeigten ihren Reichtum
durch edle Stoffe, die zu langen Gewändern verarbeitet
wurden und unter der Brust lose gebunden waren. Volants
und Spitzen verzierten die hemdähnlichen Kleider und
falls doch einmal ein Windhauch zu kühl war, schützte
Frau sich mittels eines mantelgroßen Schultertuches.
Große Dekolletés und kleine Ärmel waren typisch für die
Frauen, die den langen Sommer im hauptsächlich Freien
verbrachten. Was man heute unter Urlaub versteht, gab es
damals nicht. Wer es sich leisten konnte, verbrachte den
Sommer auf dem Lande. Die einfachen Leute waren froh,
wenn sie sonntags am Nachmittag ein wenig Freizeit
hatten.
Wenngleich die Getreideernte durch das bemerkenswerte
Wetter fast am Halm zu verdorren drohte,
füllten sich
die Trauben am Rebstocke mit dem besten Aroma. Der
Wein-Jahrgang 1811 ist zwar nicht mehr geschmacklich in
aller Munde, aber er ging als der legendäre „Elfer“ in
die Geschichte der besonderen Weine ein. Und über diese
unglaublich gute Qualität waren die Winzer in ganz
Europa begeistert. Sie sprachen darum vom Kometenwein.
Glaubt man den Aufzeichnungen, so gilt er nicht nur als
der beste Wein des 19. Jahrhunderts, sondern als der
beste der letzten 300 Jahre. Von einem wahren Nektar ist
die Rede. Einige wenige Raritäten aus dem legendären
Weinjahr gibt es heute noch. Sie sollen tatsächlich
genießbar sein. Allerdings sind sie nur etwas für den
besonders gefüllten Geldbeutel. Um das Jahr 1811
schmecken zu können, muss man für einen Cognac „Roi de Rome Sazerac de Forge“ um die 4500 Euro zahlen. Was
müsste man dann erst für die Weine bezahlen? Für den
1811er „Château d´Yquem“ aus Sauternes, den 1811er
„Château Lafite“ aus Pauillac oder den 1811er „Forster
Ungeheuer“ aus der Pfalz? Aber niemand hindert den
Menschen des 21. Jahrhunderts daran, darüber im
„Westöstlichen Diwan“ von Goethe nachzulesen. Der Wein
muss so überwältigend gewesen sein, dass er Eingang in
die große Literatur fand.
In der Rückschau finden sich viele erwähnenswerte Dinge,
die im Jahr 1811 ihren Anfang genommen hatten. Und es
finden sich interessante Persönlichkeiten, die
glücklicherweise nicht in Vergessenheit geraten sind.
Würde das Jahr 1811 klingen, dann klänge es vielleicht
nach Beethoven, vielleicht auch nach dem
Schlachtgetümmel, das Napoleon noch verursachte,
vielleicht klänge es aber auch nach dem Hufschlag der
Postpferde. Ob es ein gutes Jahr war, kann niemand mehr
beantworten. Es wäre ohnehin subjektiv. Doch ein
interessantes Jahr war es auf jeden Fall. Natürlich
wegen des Kometen.
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