Wilhelm von Humboldt Lebenslauf
Im Zuge der Teilung Berlins in vier
Besatzungszonen wurde die älteste Universität
der preußischen und deutschen Hauptstadt, die
1809 gegründete, seit 1828 nach Preußenkönig
Friedrich Wilhelm III. benannte
Friedrich-Wilhelms-Universität, dem sowjetischen
Sektor zugeordnet. Im offiziellen Sprachgebrauch
der maßgeblichen Sowjetischen
Militäradministration und der ihnen
unterstellten deutschen Dienststellen von 1945
bis 1949 schlicht als „Universität Berlin“
bezeichnet, erhielt die Hochschule im Februar
1949 ihren bis heute gültigen Namen
„Humboldt-Universität“. Namensgeber waren also
nicht, wie zu erwarten nicht abwegig gewesen
wäre, Helden der sozialistischen Geschichte wie
Rosa Luxemburg oder
Karl Marx. Stattdessen
wurden zwei adlige Geistesgrößen des 19.
Jahrhunderts zu Namenspatronen: die Brüder
Alexander und Wilhelm von Humboldt. Der
Naturforscher Wilhelm von Humboldt (1769 –
1859), der „preußische Kolumbus“, war durch
seine Arbeit unter anderem zum Begründer der
modernen Geographie geworden. Sein zwei Jahre
älterer Bruder Wilhelm ist vor allem als das
deutsche Bildungswesen nachhaltend mitprägender
Reformer in die Geschichte eingegangen. Mit dem
Hinweis auf Wilhelm von Humboldt wurde versucht,
den Bogen von als positiv eingestuften
Geistesleistungen der Vergangenheit zum Aufbruch
in die neue Welt des real existierenden
Sozialismus zu schlagen.
Der so geehrte Friedrich Wilhelm Christian Carl
Ferdinand Freiherr von Humboldt kam am
22. Juni
1767 in der preußischen Residenzstadt Potsdam
zur Welt. Die Humboldts waren damals sehr junger
Adel. 1738 war Wilhelm von Humboldts Großvater,
der Offizier Hans Paul Humboldt, nobilitiert
worden. Dessen Sohn Alexander Georg (1720 -
1779) war zunächst ebenfalls Offizier gewesen
und diente ab 1764 als königlicher Kammerherr.
Im Siebenjährigen Krieg konnte er als für die
Finanzen seines Regiments zuständiger Major den
Grundstock für erfolgreiche wirtschaftliche
Unternehmungen (Tabak, Lotterie, Landwirtschaft)
schaffen. Durch seine Heirat mit der
wohlhabenden, hugenottischen Witwe
Marie-Elisabeth von Holwede (1741 – 1796) kamen
das nordwestlich des damaligen Berliner
Stadtgebiets liegende Schlossgut Tegel in den
Humboltschen Familienbesitz.
Wilhelm von Humboldt und sein Bruder wuchsen in
Berlin und Tegel auf. Sie erhielten eine
exzellente Ausbildung durch Privatlehrer, zu
denen auch der aufklärerische Verleger und
Pädagoge Joachim Heinrich Campe zählte. Während
dieser Zeit wurden die Brüder auch systematisch
mit bedeutenden Persönlichkeiten der Berliner
Gelehrtenwelt und der literarischen Salons in
Kontakt gebracht. Nach Willen der nach dem Tod
von Alexander Georg von Humboldt für die
Ausbildung ihrer Söhne allein verantwortlichen
Mutter sollte Wilhelm im Staatsdienst Karriere
machen. Dementsprechend studierte Humboldt von
1787 bis 1789 Recht. Zunächst ein Semester im
preußischen Frankfurt/Oder und danach im
Kurfürstentum Hannover an der Göttinger
Georg-August-Universität. Die Jura-Studien
absolvierte er aber lediglich als
Pflichtstudium, inspirierender für ihn war der
Besuch geisteswissenschaftlicher und
altsprachlicher Lehrveranstaltungen. Zusätzlich
erweiterte er seinen Horizont durch mehrere
Bildungsreisen, von denen ihn eine 1789 in das
Paris kurz nach Erstürmung der Bastille führte.
1790 erhielt von Humboldt eine Anstellung im
preußischen Justizwesen. Er qualifizierte sich
dort sowohl für das Richteramt als auch für den
diplomatischen Dienst. Bereits ein Jahr später
schied er wieder aus dem Staatsdienst aus. Er
hatte im Juni 1791 die thüringische Adelstochter
Caroline von Dacheröden geheiratet. In den
Folgejahren beschäftigte sich der wirtschaftlich
unabhängige Humboldt intensiv als
Privatgelehrter mit der Geisteswelt der
griechischen Antike. In seiner
1793
veröffentlichten Schrift „Über das Studium des Alterthums und des Griechischen insbesondere“
wurde seine der Geistesströmung des
Neuhumanismus zugerechneten Überzeugung
deutlich, durch Beschäftigung mit der Antike den
Weg zur musterhaften Menschbildung finden zu
können.
Insbesondere die Jahre
1794 bis 1797 waren
wesentlich durch intensive persönliche Kontakte
mit den Dichterfürsten Schiller und Goethe
geprägt. Nach einem vierjährigen Aufenthalt in
Paris und weiteren Bildungsreisen unterbrach
Wilhelm von Humboldt sein Privatier-Leben. Von
1802 bis
1808
vertrat er sein Land als Resident beim Heiligen
Stuhl in Rom. Der Arbeitsaufwand als preußischer
Diplomat am päpstlichen Hof war überschaubar. So
konnte sich von Humboldt darauf konzentrieren,
seine Studien fortzusetzen und daneben sein
Wohnhaus, den Palazzo Tomati, zu einem der
wichtigsten Treffpunkte der kulturinteressierten
Gesellschaft Roms werden zu lassen.
In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt im
Oktober 1806 war Preußen von Napoleon I.
vernichtend geschlagen worden. Nur knapp war das
zur in Folge zur Mittelmacht abgesunkene
Königreich der vollständigen Liquidierung
entgangen. König Friedrich Wilhelm III. sammelte
als Reaktion auf diese dramatische Zäsur der
preußischen Geschichte an seinem zeitweiligen
Regierungsplatz im ostpreußischen Königsberg ab
1807 eine Gruppe von Männer um die Minister
Heinrich Friedrich Karl vom Stein und Karl
August von Hardenberg um sich, um der durch die
Niederlage drastisch offenbar gewordenen
Reformbedürftigkeit des preußischen Staates zu
begegnen. Zu den dann als „Preußische Reformen“
in die Geschichtsbücher eingegangenen Vorhaben
auf Verwaltungs- und Wirtschaftsebene gehörte
auch eine umfassende Bildungsreform. Ziel dieser
Reform sollte die Erziehung zu staatstreuen,
aber selbstverantwortlich handeln könnenden
Bürgern sein. Mit dieser Aufgabe wurde auf
Wunsch des Freiherrn vom Stein der 1808 aus Rom
zurückbeorderte Wilhelm von Humboldt betraut.
Im
Februar 1809 zum Leiter der „Sektion des Kultus
und des öffentlichen Unterrichts“ ernannt,
stürzte sich Humboldt mit Begeisterung auf die
anspruchsvolle Aufgabe. Obwohl er bereits im
April 1810 um seinen Rücktritt bat, hat Humboldt
während seines Jahres als Reformer
Bemerkenswertes auf den Weg gebracht.
In seiner 1809 ausgearbeiteten Denkschrift
„Königsberger Schulplan“ legte er die Kernmarken
der Erziehung fest, die seiner Meinung nach zum
Ideal des dem Neuhumanismus verpflichteten
Bürgers führen würden. Demnach sollte in einem
dreigegliederten Bildungssystem einer
dreijährigen Elementarschule ein zehnjähriger
Gymnasialkurs mit anschließender Reifeprüfung
folgen. Danach sollten die Absolventen der
Gymnasien auf sich selbst verwaltende
Universitäten wechseln. An den Universitäten
sollte anders als bis dahin üblich Lehre und
Forschung miteinander verbunden sein.
Im Zentrum der Schul- und Universitätsausbildung
sollten nicht konkrete, berufsqualifizierende
Fertigkeiten vermittelt werden, sondern die
Erziehung zur Humanität. Ferner würden nach
Humboldt durch die Beschäftigung mit den als
Hauptfächer geltenden alten Sprachen, Mathematik
und Geschichte die Fähigkeiten eingeübt, auch in
anderen Bereichen Kenntnisse erlangen zu können
(„Das Lernen lernern“). Erst nachdem das Ziel
der allgemeinen Menschenbildung und
grundsätzlichen Lernfähigkeit erreicht worden
war, sollte die eigentliche Fachausbildung
beginnen. Humboldt schwebte das Ideal des
Griechisch lesenden Schreiners vor. Allerdings
war er Realist genug, um nicht ernsthaft an die
Möglichkeit zu glauben, auch die breiten
Unterschichten in ein flächendeckendes
humanistisches Bildungssystems einzubinden. Sein
Bildungsangebot bezog sich aber immerhin darauf,
Bürgerliche und Adlige jenseits von
Standesgrenzen gemeinsam „gelehrt“ zu machen.
Neben der Schülerausbildung betonte Humboldt die
Wichtigkeit qualitativ hochwertiger
Lehrerausbildung sowohl im Elementar- als auch
im Gymnasialbereich.
Unmittelbare konkrete Folgen der Humboldtschen
Bildungsvorstellungen waren unter anderem die
Gründung der Berliner Universität, die
Festschreibung von Examina für Gymnasiallehrer
sowie die Einführung von Reifeprüfungen von
Gymnasiasten. Das preußische Schulsystem wurde
zwar unter anderem aus finanziellen Gründen
nicht völlig nach Humboldts Vorstellungen
umgebaut, doch stieß Humboldts humanistischer
Ansatz bei vielen Zeitgenossen auf große
Begeisterung. Die Humboldtschen humanistischen
Gymnasien haben wesentlich zu einer
Verbreiterung der
preußischen und deutschen
Bildungseliten beigetragen. Allerdings stand
Humboldts Geringschätzung der praktischen
Ausbildung stets auch in Konkurrenz zu anderen,
sich ebenfalls behauptenden Ansätzen (z. B.
Bürgerschulen, Realgymnasium).
Nach der kurzen, aber bedeutenden Episode als
Reformer kehrte
Humboldt 1810 in den
diplomatischen Dienst zurück. Er wirkte unter
anderem als Gesandter am Wiener Hof und gehörte
zur preußischen Delegation beim Wiener Kongress
(1814/15). Anfang 1819 wurde er zum Minister für
Ständische Angelegenheiten ernannt. In dieser
Position kam es zum Konflikt mit Staatskanzler
von Hardenberg über die Frage der
Liberalisierung der preußischen Verfassung. Ende
1819 wurde Humboldt dann auf Betreiben
Hardenbergs wieder entlassen.
Humboldt zog sich auf sein Schlossgut Tegel
zurück, das er von Friedrich Schinkel umbauen
ließ und zum Teil als Museum der Öffentlichkeit
zugänglich machte.
Am 8. April 1835 ist der 1829 verwitwete Vater
von acht Kindern Wilhelm von Humboldt auf
Schloss Tegel gestorben.