Das Modejahr 1990 - Vereintes Deutschland, vereinte
Mode
Nun war sie also offen – die Grenze zwischen Ost und
West. Die Wiedervereinigung rückte in greifbare Nähe und
die Jugend zeigte sich in textiler Fröhlichkeit. Typisch
waren Farben, die knalliger nicht hätten sein können.
Besonders Leggins fielen auf, was allerdings nicht für
jede Trägerin von Vorteil war. Doch die meisten waren
jung und da drückte man durchaus einmal ein Auge zu,
nicht, ohne vorher die
Augen groß aufgerissen zu haben.
Modische Kleidung sollte auffallen. Gerade das war für
die jungen Konsumentinnen besonders wichtig. Dass
Leggins bereits in den 80er Jahren aktuell waren, störte
die Mädchen und Frauen nicht. Im Gegenteil. Sie
favorisierten diese Beinbekleidung. Leggins wurden als
Basis-Bekleidung getragen, unabhängig davon, ob die
restlichen Textilien mit ihnen harmonierten. Ein
saloppes Aussehen war längst Ausdruck eines veränderten
Selbstbewusstseins. Angeboten wurden Leggins nicht nur
in den unterschiedlichsten Farben, sondern auch in den
unterschiedlichsten Materialien.
Nicht ganz so sorglos gingen die Models und Supermodels
mit der Mode um. Die Mode des Catwalk war weniger
lässig. Und die Damen, die den Laufsteg als Wegweiser
ihrer eigenen Mode ansahen, mussten sich manchen
kulinarischen Leckerbissen verkneifen, wenn sie den
Vorgaben gerecht werden wollten. Das Maß der Dinge war
eine tadellose Figur, egal welche der beiden empfohlenen
Silhouetten bevorzugt wurde.
Da war einerseits die bequeme Weite, die für die
Kleider- und Rockformen typisch war, die in

Quelle Katalog 1990
Wadenlänge
auf den Laufsteg kamen. Lange Beine bekamen damit
sozusagen ihr modisches Gesicht, umso mehr, da diese
lange Rock-Variante gern mit einem hohen Seitenschlitz
getragen wurde. Andererseits machte der krasse Gegensatz
Furore: der kurze, enge Schnitt. Kleider aus Lycra waren
hier angesagt.
Die Mode war eine willkommene Gelegenheit – speziell für
die Jugend – eine neue Identität zu finden. Die Modelle
der Fashion-Weeks waren eher eine Anregungen für die
Damen, die dem Teenager-Alter entwachsen waren. Junge
Mädchen ahmten kritiklos ihre Idole aus der
musikalischen Szene nach. Die Pop-Diva
Madonna war
Vorreiter für Exzentrisches. Ihre Bekleidung, mit der
sie die Bühnen „unsicher“ machte, wurde von
Jean-Paul
Gautier entworfen. In seiner Branche als Avantgardist
anerkannt, machte er Mieder oder auch Büstenhalter
salonfähig, die nun auch als Oberbekleidung getragen
werden konnten.
Gianni Versace zog nach, versetzte
Brassière-Kleidung und Leggins-Anzüge mit einem
glamourösen Hauch, in dem er Strass, Flitter und üppige
Stickereien aufbrachte. Metallbeschläge und Nieten
gehörten ganz selbstverständlich zum Aufputz der
Modelle. Schließlich kamen auch Jeans nicht mehr ohne
diesen dekorativen Schmuck aus. Die Jugend wollte auf
diesen Anstrich von Luxus nicht
verzichten. Was die
Stars auf der Bühne trugen, wollten auch die Fans
anziehen.
Wie vielfältig Zeitgeschmack sein konnte, zeigte sich
auch in der immer größer werdenden Vielfalt der
Schnittformen für die Jeans. Längst war sie kein
Stiefkind der Mode mehr. Im Gegenteil. Was im 19.
Jahrhundert noch als Arbeitshose getragen wurde, fand
nun Eingang in die Haute Couture, legitimierte diese
Hose sogar für die Abendkleidung. Da war der dekorative
Steinchenschmuck dann mitunter echt und die Hose nur
noch für Auserwählte bezahlbar.
Der japanische Designer Yohi Yamamoto machte sich einen
Namen durch puristische Kleidung. Seine Modelle waren
nicht nur einfach und bequem; sie waren vor allem
meistens in „freundlichem“ Schwarz gehalten. Er kreierte
Zeitloses. Seine Kollegen präsentierten dagegen
Asymmetrie und überschwemmten den Markt mit
vergänglichen Wickelkleidern- und Röcken.
Mäntel war en vogue, wenn sie einen breiten Schalkragen
oder einen Tunnelzug im Saum hatten, ebenso, wenn sie
mit großen Rautenmustern versehen waren. Sie waren
bequem geschnitten und wurden in vielen Farben und
Materialien offeriert. Hier waren Naturfaserplüsch und
Chemiefasern angesagt. Echter Pelz wurde ökologisch
korrekt verschmäht.
In Erinnerung ist heute vielleicht nicht mehr die Mode
des Jahres 1990; doch dass die Mannschaft von
Franz
Beckenbauer in Italien Fußball-Weltmeister wurde, wissen
heute noch viele. Und dabei hatte sich an der Kleidung
der Spieler kaum etwas geändert.
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