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DDR Chronik 1986 - Der Reformer Gorbatschow
betrat die Polit-Bühne
Auch für die DDR war der XVII. Parteitag der
KPdSU in Moskau ein bedeutendes Ereignis. Hatte doch
Parteichef
Michail Gorbatschow radikale Reformen in
der Wirtschaft angekündigt. Nach Reformen dürsteten
auch die DDR-Bürger. Stattdessen wurde zunächst
einmal in Berlin das Marx-Engels-Forum eingeweiht.
Und um eine klare politische Linie zu untermauern,
hatte der Staatsratsvorsitzende
Erich Honecker zum
Ende Januar in einem Interview mit der „Zeit“
erklärt, dass die Diskussion über das Offenhalten
der deutschen Frage überflüssig wäre. Von einem Ende
des sogenannten real existierenden Sozialismus ging
die Parteiführung im 37. Jahr der DDR natürlich
nicht aus. Auch nicht von gravierenden
Veränderungen, obwohl der
sowjetische Außenminister
Eduard Schewardnadse
Erich Honecker und den
Vorsitzenden des Ministerrates, Willi Stoph, in
allen Einzelheiten über das Plenum des ZK der KPdSU
vom Januar 1986 informiert hatte. Darin nämlich
hatte Michail Gorbatschow die Fehler der
Vergangenheit gebrandmarkt. Außerdem hatte er
Demokratie geFordert, eine Forderung, die der
DDR-Führung so gar nicht in den Kram passte. Von
Demokratie hatten die ihre eigene Definition.
Die Jugendlichen des Landes wurden in Schach
gehalten mit dem Jugendsender „Jugendradio DT 64“,
der zwei Jahre zuvor als „DT 64“ gegründet worden
war und nun eigenständig in der Tradition des
Vorgängers seine Sendungen ausstrahlte. Ebenso wurde
das Bedürfnis nach zeitgemäßer Musik berücksichtig.
Nicht nur im Radio, sondern auch bei der Aktion
„Rock für den Frieden“, zu deren Veranstaltungen
sich zahlreiche Rockgruppen und Solisten im Palast
der Republik zusammenfanden. Die renommiertesten
Bands waren die „Puhdys“, „Karat“ und „Silly“. Mehr
als 100.000 Besucher waren zu den Veranstaltungen
gekommen und konnten für kurze Zeit ihre
alltäglichen Sorgen vergessen, denn die Gruppen
waren nicht nur sehr beliebt im Land, sie konnten
auch mit geschickt verpackten kritischen Texten die
Sorgen und Nöte der Menschen aufgreifen. Das machte
sie zu „ehrlichen“ Künstlern. Damit war allerdings
nur ein winziger Zipfel Freiheit abgedeckt. Die
grundlegenden Dinge im Land brodelten vor sich hin.
Die Führung und ihre staatlich gelenkten Medien
„sonnten“ sich in diversen Erfolgsmeldungen, die
sich fast alle auf kulturelles Gebiet einschränken
ließen.
Zwei Monate nach dem Moskauer Parteitag war der
sowjetische Parteichef Gast auf dem XI. Parteitag
der SED war, der vom 17. Bis 21. April stattfand und
auf dem Gorbatschow die Delegierten zu Selbstkritik
aufForderte. Das war eine ziemliche Sensation, denn
normalerweise hielt sich die SED für unantastbar und
hatte Kritik nicht nötig. Dachte sie zumindest,
sonst würde sie auf konstruktive Kritik nicht derart
harsch reagieren wie sie es tat. Kritische Stimmen
wurden sofort als feindliche Stimmen gewertet. Dass
die DDR im Inneren recht „krank“ war, wollten die
Oberen im Staat nicht gelten lassen. Doch die
Menschen spürten das marode System in ihrem Alltag
jeden Tag aufs Neue. Hoffnung auf Veränderung konnte
da auch nicht das Kulturabkommen bringen, das von
der DDR und der BRD unterzeichnet worden war.
Auch von umweltschützenden Maßnahmen wollte die DDR
nicht allzu viel wissen. Die Reaktion auf den
Protest von Greenpeace, von denen Angehörige vor dem
DDR-Ministerium für Umweltschutz gegen die
Salzeinleitung der Kalibergwerke der DDR in die
Werra demonstrierten, brachte das Eingreifen der
Volkspolizei mit sich. Die Greenpeace-Aktivisten
wurden nach West-Berlin abgeschoben.
Wie sicher sich die DDR in ihrer Politik war, zeigte
sie gern. So beispielsweise, als sie erstmalig
Offizieren der Bundeswehr erlaubte, gemeinsame
Manöver der Roten Armee und der NVA (Nationale
Volksarmee) bei Brandenburg zu beobachten. Damit
festigte sie auch den Beschluss des XI. Parteitages
der SED, in dem ein Beschluss über die unveränderte
Fortsetzung der bisherigen Politik gefasst wurde.
Das Jahr 1986 war auch gleichsam ein historisches
Jahr: Über alles warf der Reaktorunfall von
Tschernobyl seine radioaktiven Strahlungs-Schatten.
Die DDR machte es in dem Fall dem „Großen Bruder“
nach und verschwieg zunächst die Katastrophe. Ganz
konnte die natürlich nicht verheimlicht werden. Als
man um die Bestätigung des Tschernobyl-Unfalls nicht
mehr herumkam, wurde die Sache – auch wie in der
Sowjetunion – heruntergespielt. Die Angst und die
Zukunftssorgen der Bevölkerung wurden gewissermaßen
verniedlicht. Alles sei ja nicht so schlimm. Im
Vertuschen von bedeutenden Ereignissen war die DDR
in ihren Medien meisterhaft. Wer die Zeitung
aufschlug, hatte nie eine Garantie, dass er auf eine
wahrheitsgetreue Berichterstattung stieß.
Unverfängliche Ereignisse wurden dagegen
hervorgehoben. So zum Beispiel die Unterzeichnung
eines Kulturabkommens zwischen der DDR und der
Bundesrepublik. Dass dem Austausch von Regelungen
zum Austausch in den Bereichen Wissenschaft, Musik,
Film, Malerei, Theater, Verlagswesen, Denkmalpflege
und Sport Verhandlungen von einer zwölfjährigen
Dauer vorausgingen, stand dabei nicht in der ersten
Zeile.
Die Menschen hatten längst zu unterscheiden gelernt
zwischen dem gedruckten Wort und ihrem realen
Alltag. Besonders die junge Generation hatte es in
dieser Hinsicht schwer. Westliche Einflüsse konnten
trotz der Berliner Mauer und den Bemühungen um
politische Abschottung nicht aufgehalten werden,
zudem West-Berlin so nahe war, dass die Jugendlichen
Rock-Konzerte, die vor dem Reichstagsgebäude
(West-Berlin) stattfanden, in unmittelbarer Nähe der
Mauer versuchten, mitzuverfolgen. Bei solcher Art
sehnsüchtigem „Blick über die Mauer“ kam es
natürlich zu Ärger. Zwischen der Ost-Berliner
Polizei und den Jugendlichen äußerte sich das in
schweren Zusammenstößen. Die junge Generation wollte
in die Welt, wollte selbst entscheiden, wo und was
sie hören und sehen wollte. Diese grundlegenden
Freiheiten waren in der DDR ein Ding der
Unmöglichkeit. Wie sehr das innenpolitische Brodeln
immer stärker wurde, ignorierte die Führung des
Landes dennoch. Doch dass ihr das nicht bekannt war,
war bei der akribischen Arbeit der Staatssicherheit
nicht denkbar.
Und der Jahrestag des Mauerbaus (13. August 1961)
war für immerhin etwa 300 mutige Menschen Grund
genug, vor dem Brandenburger Tor auf der Ostseite zu
demonstrieren und zaghaften Protest zum Ausdruck zu
bringen. Das war politisch allerdings nicht
relevant. Schließlich hatten ja zwei Monate zuvor
die Wahlen zur Volkskammer der DDR ein
erwartungsgemäßes Ergebnis gezeigt. Mit einer
Wahlbeteiligung von 99,74 Prozent erhielt die
Einheitsliste der Nationalen Front 99,94 Prozent der
Stimmen. Sich nicht an der Wahl zu beteiligen, war
keine Option. Wer nicht rechtzeitig ins Wahllokal
kam, wurde abgeholt. Die Behörden achteten peinlich
genau darauf, dass die Wähler ihrer Bürgerpflicht
nachkamen. Und was hätten sie für eine Alternative
gehabt als die Einheitsliste zu wählen? Keine.
Höchstens das Ungültigmachen des Wahlzettels.
Die Stimmung in der Bevölkerung wurde zwar nicht von
den Politikern ernst genommen, aber von der Kirche.
Auch Atheisten fanden den Weg in die Gotteshäuser,
immerhin waren sie ein Ort, an dem Meinungen frei
geäußert werden konnten. Und als im Sommer der
Evangelische
Kirchentag in Ost-Berlin stattfand,
wurde die Bewegung „Kirchentag von unten“ ins Leben
gerufen. Sie entstand, weil einige Veranstaltungen
nicht ins offizielle Programm aufgenommen wurden.
Dass auch eine Umweltbibliothek scharf im Auge
behalten worden war, bewies eine Untersuchung, bei
der dieses Zentrum der Friedens-, Ökologie- und
Menschenrechtsgruppen in der Ost-Berliner
Zionskirche durchgeführt wurde. Es wurden
Vervielfältigungsmaschinen beschlagnahmt. Angst vor
Flugblättern? Außerdem wurden zahlreiche
Verhaftungen vorgenommen. Daraufhin entstand eine
Solidaritätsbewegung, die dazu führte, dass die
Kirche baupolizeilich geschlossen wurde. Auch eine
Möglichkeit, stille Proteste unter den Teppich zu
kehren.
Das Jahr endete mit einer Katastrophe, die sich nahe
des Flughafens Berlin-Schönefeld zutrug. Eine
Klassenfahrt endete für sieben Schüler einer zehnten
Klasse aus Schwerin tödlich. Die Schüler kamen aus
Minsk zurück und zwar mit einer Tupolew Tu-134.
Insgesamt befanden sich 82 Menschen an Bord, von
denen 72 ums Leben kamen, als die Maschine kurz vor
der Landung abstürzte. Die schnell eingesetzte
Regierungskommission schob das Unglück auf
menschliches Versagen zurück und so stand es dann
auch in der Zeitung. Weder die DDR noch die
Sowjetunion stellten die Technik des veralteten
Modells des Flugzeugtyps in Frage. Es war allerdings
nicht der erste Unfall dieses Typs gewesen. Im
Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe war ein
Pilotenfehler jedenfalls die einfachste Lösung.
Hatte man einen Sündenbock, dann würde gelegentlich
auch Gras über die Sache wachsen. Die DDR traute
ihren Bürgern die Wahrheiten einfach nicht zu.
Schönreden war da wohl die leichtere Alternative.
Und das betraf nicht nur die Flugzeugkatastrophe.
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