Literatur 1956 - Das literarische Jahr 1956
Unter
U begann 1956 die
Entstalinisierung, zumindest musste Chruschtschow
den Anschein erwecken und dementsprechend handeln,
versprach die Ahndung der Verbrechen. Dass weiterhin
Menschen verhaftet wurden, die Angst keinesfalls
nachließ, zeigte die spätere Samisdat-Literatur zu
Genüge. Die Menschen wurden nicht mehr erschossen,
sondern mussten u. a. den Aufenthalt in einer
Irrenanstalt in Kauf nehmen. Neben bekannten
russischen Emigranten wie Alexander Solschenizyn
oder Lew Kopolew schrieben viele über die Zustände,
die sich nicht gerade besserten, darunter Viktor
Nekrassow, Wladimir Bukowski, Abram Terz alias
Andrej Sinjawski oder Valerij Tarsis.
Offiziell vertrat die Sowjetunion eine friedliche
Grundgesinnung. Währenddessen wurden in Georgien und
Ungarn blutig Aufstände niedergeschlagen, die
unzählige Opfer forderten. Über die ungarische
Tragödie schrieb z. B. Sandor Kopacsi.
Am ersten Weihnachtstag, den 25. Dezember 1956,
brach mitten im Schnee auf einer Waldlichtung der
Schriftsteller Robert Walser zusammen und starb.
Seit längerer Zeit war er aufgrund von
Angstzuständen und Halluzinationen Insasse einer
psychiatrischen Klinik, hatte aber die Möglichkeit,
sich frei zu bewegen. So machte er häufig lange
Spaziergänge. Das Bild seines Todes stimmte auf
schauerliche Art mit einer Szene aus seinem Roman
„Geschwister Tanner“ überein.
Nach seinem Tod fanden sich jene berühmt gewordenen
Blätter, beschrieben mit winzigen und mit dem bloßen
Auge nicht zu entziffernden Sätzen. Sie wurden nach
und nach entschlüsselt und unter der Bezeichnung
„Mikrogramme“ veröffentlicht. Walser bevorzugte das
Geheime und erklärte, dass die Handschrift die Zeit
der Zerrüttung auflösen könnte. Heute sind diese mit
Bleistift festgehaltenen "Mikrogramme" zur Kunst
geworden, zu wertvollen Dokumenten des Zwanzigsten
Jahrhunderts. Ein Zitat aus den „Mikrogrammen" war
das von Platon. Die Schrift, sagte dieser Philosoph,
sei gefährlich und gliche damit der Malerei.
Der Franzose Romain Gary war der einzige
Schriftsteller, der den "Prix Goncourt" gleich
zweimal erhielt. 1956 wurde er zunächst einmal für
sein Werk „Die Wurzeln des Himmels“ ausgezeichnet.
Er schrieb aber auch unter dem Pseudonym Émile Ajar.
Der Roman „Du hast das Leben noch vor dir“ erhielt
den Preis ebenfalls, da nicht bekannt war, dass Ajar
und Gary ein und dieselbe Person waren. Erst nach
Garys Selbstmord, ein Jahr, nachdem sich auch seine
Exfrau, die Schauspielerin Jean Seberg, umgebracht
hatte, wurde bekannt, dass der Roman aus seiner
Feder stammte.
Er erklärte in seinem Abschiedsbrief, sein Freitod
hätte nichts mit Sebergs Tod zu tun, er hätte ganz
einfach alles gesagt, was sich literarisch
ausdrücken ließ. Wahrscheinlicher aber ist, dass
Gary ganz einfach an schweren Depressionen litt und
schließlich keinen anderen Ausweg mehr sah.
Von Albert Camus erschien „Der Fall“, ein dünnes
Buch mit grandiosem Inhalt. Camus war bekanntlich
stark von dem russischen Schriftsteller Fjodor M.
Dostojewski beeinflusst. „Der Fall“ hatte das
Schuldgefühl zum Thema, vergleichbar mit den Romanen
„Schuld und Sühne“ oder „Aufzeichnungen aus dem
Untergrund“ von Dostojewski. Bei Camus schreibt ein
einst erfolgreicher Anwalt seine Lebensbeichte
nieder und reflektiert über sein Handeln.
Auf einen Titel von Dostojewski griff auch Heimito
von Doderer zurück. 1956 erschien sein Werk „Die
Dämonen“ und ist mit tausenddreihundert Seiten das
umfangreichste des Autors. Doderer arbeitete seit
1929 an der Romanfassung, die er als sein Hauptwerk
ansah und die ihren Titel während des
Schaffensprozesses häufiger wechselte. Er beschrieb
darin das angespannte Verhältnis zwischen Juden und
Nichtjuden innerhalb der Wiener Gesellschaft.
Der Nobelpreis für Literatur ging 1956 an den
Spanier Juan Ramón Jiménez. Er wurde für sein
poetisches Werk ausgezeichnet, das sich
hauptsächlich mit der Geschichte Andalusiens
auseinandersetzte.
Jiménez führte ein schwieriges und kompliziertes
Leben, litt an schweren Depressionen und lebte nach
dem Tod seiner Frau, die im selben Jahr starb, in
dem er den Nobelpreis erhielt, einsam und
zurückgezogen in Puerto Rico. Zwei Jahre später
starb auch er und hinterließ seine berühmt
gewordenen Miniaturprosatexte „Platero und ich“,
Gespräche zwischen Mensch und Esel.
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