Das Musikjahr 1922 - Der schwarzgesichtige
„Jackie Robin“
Wie bereits im Vorjahr gehörte der US-Amerikaner
Paul Whiteman mit seinem Orchester auch 1922 zu den
ganz Großen der populären Musik. 22 Wochen lang
belegten die, zum Teil durch einen Chorus
unterlegten, Instrumentals von Paul Whiteman & His
Orchestra Platz 1 der US-Charts. Dazu gehörte der
Blues-Foxtrott „Hot Lips“, der die Befindlichkeit
eines Trompeten-Spielers beschrieb. Nach ähnlichem
Muster waren auch die Whiteman-Hits „Stumbling“ und
„Do It Again“ aufgebaut. „Three O Clock In The
Morning“ (acht Wochen lang auf dem Spitzenplatz)
dagegen war ein Whiteman-Arrangement, das der
Bandleader als Waltz komponiert hatte.
Ebenfalls Hit-Erfolge konnte der nicht zuletzt wegen
seines Augenrollens und seiner Bühnenfigur „Gus“
berühmt gewordene US-Entertainer Al Jolson 1922
feiern. Mit schwarz geschminktem Gesicht stellte Al
Jolson alias „Gus“ einen bauernschlauen
afroamerikanischen
Diener dar, der sich in den
Jolson-Sketchen regelmäßig als wesentlich
intelligenter als sein weißer Herr erwies. Die
Ad-absurdum-Führung der dumpfen, in Weißamerika
gängigen These von der „Überlegenheit der weißen
Rasse“ verpackte Jolson komödiantisch so geschickt,
dass sich auch Rassisten nicht getroffen fühlten. In
Europa wurde Sänger Jolson später vor allem durch
seine Rolle als schwarzgesichtiger „Jackie Robin“ im
ersten vertonten Spielfilm („The Jazz Singer“, 1927)
bekannt. Jolsons 1922er Hits waren „Angel Child“,
das extrem aufgekratzte „Toot, Toot, Tootsie Goodbye“
und die erstmals 1921 im Erfolgs-Musical „Bombo“
vorgestellte Auskopplung „April Showers“.
Zu den vergleichsweise wenigen Frauen, die damals in
der Top-Liga der U-Musik Präsenz zeigten, gehörte
Fanny Brice, die als eine der „Ziegfield Follies“
bekannt geworden war. Mit dem Song „My Man“, einer
Cover-Version des Chansons „Mon Homme“ der
französischen Starsängerin Mistinguett, stand sie
immerhin eine Woche lang auf dem ersten Rang der
US-Hitparade. Wesentlich länger hielt sich der
Holzhammerhumor transportierende Nonsens-Song
„Mister Gallagher And Mister Shean“ des
Vaudeville-Komiker-Paares Gallagher & Shean ( Edward
Gallagher und Groucho-Marx-Onkel Albert Schoenberg)
an der Spitze (acht Wochen). Mit einem völlig
anderen Ansatz, nämlich gefühlvoll die Schmalzgrenze
überschreitend, verzauberte Henry Burr mit „My
Buddy“ 1922 die Zuhörerschaft.
Für Begeisterung auf den Tanzböden der 1922er Welt
sorgten Trompeter Philip Napoleon, Pianist Frank
Signorelli und ihre Mit-Bandmitglieder als Memphis
Five mit den Hits „I Wish I Could Shimmie Like My
Sister Kate“ und als Jazzbo's Carolina Serenaders
mit „Chicago (That Toddlin Town)".
Auf dem Broadway hatte 1922 die Revue „Make It
Snappy“ Premiere. Der hier von Eddie Cantor
geschmetterte Gute-Laune-Song „Yes! We Have No
Bananas“ wurde zu einem der
berühmtesten Lieder der
zwanziger Jahre.
Mit dem als „Jazz Opera“ bezeichneten
Broadway-Bühnenwerk „Blue Monday“ schuf der
23-jährige George Gershwin die Blaupause für spätere
Welterfolge wie „Porgy and Bess“ oder „Rhapsody in
Blue“. Das bei der Premiere von schwarz geschminkten
weißen Sängern vorgetragene, im New Yorker
Schwarzen-Viertel Harlem verortete „Blue Monday“
wurde von Experten als eines der frühen Meisterwerke
des klassische Musik mit Elementen des
afroamerikanischen Jazz verbindenden „symphonischen
Jazz“ bewertet.
Einer der Superstars im deutschen Sprachraum war
1922 die Wienerin Fritzi Massary, die der Premiere
der Leo-Fall-Operette „Madame Pompadour“ in der
Titelrolle den Erfolg sicherte. Nicht ganz so stark
war der Premieren-Beifall für die vom
erfolgsverwöhnten Operetten-Gott Franz Lehar
komponierte Operette „Frasquita“. Immerhin wurden
die „Frasquita“-Lieder „Schatz, ich bitt’ dich, komm
heut Nacht“ und „Weißt du nicht, was dein Herz
voller Sehnsucht begehrt?“ zu Ohrwürmern zwischen
Nordsee und Alpen.
Als eine der kürzesten Opern ging die 1922 in Paris
uraufgeführte komische Oper „Mavra“ des russischen
Komponisten Igor Strawinski in die Musikgeschichte
ein. In ganzen 25 Minuten war die Opern-Umsetzung
einer Alexander-Puschkin-Erzählung über die Bühne
gebracht.
Sonstiges
Am 10. März des Jahres hat die Musikwelt den Tod des
deutschen Komponisten Hans Sitt zu beklagen, der im
Alter von 72 Jahren die Bühne der Welt verlässt.
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