Musikchronik 1921 - Eine Big Band aus den USA
1921 hatte das Paul-Whiteman-Orchester einen
erheblichen Anteil am Sound der globalen U-Musik.
Paul Whiteman & His Orchestra gehörten in den
Zwanzigern zu den populärsten Big Bands. In der Band
des 1890 geborenen, aus Denver stammenden
Musiker-Sohns Whiteman spielten bis zu 35 Musiker.
Die in den frühen zwanziger Jahren übliche Größe von
Jazzbands lag bei etwa acht bis zehn Musikern.
Whitemans groß dimensionierte Musikgruppe weißer
Musiker wurde berühmt für ihren Mix aus Musik im
Stil schwarzer Jazzbands und orchestraler Symphonik.
Dem massigen, überaus produktiven und
geschäftstüchtigen Bandleader verlieh die Presse den
Beinamen „King Of Jazz“, obwohl er wegen seines
Verzichts auf die eigentlich jazz-typischen
Improvisationselemente bei Puristen als „Jazz-Verschlechterer“
galt. Dem breiten
Publikum jedenfalls gefielen
Whitemans Arrangements, von denen die 1920
aufgenommenen Stücke „My Mammy“ und „Wang Wang
Blues“ sowie die 1921er Produktionen „Song Of India“
„Cherie“ und „Say It With Music“ zu den Nr.1.-Hits
des Jahres 1921 gehörten.
Der merkwürdigen Atmosphäre der durch Unsicherheit,
Neuorientierung und Lebensgier nach dem Werte und
Weltbilder zerstörenden Ersten Weltkrieg geprägten
Zeit entsprechend hatten hektische, gern ins
Komisch-Groteske abgleitende Musikproduktionen viel
Erfolg. Zu diesen Produktionen zählten unter anderem
der flotte „Home Again Blues“ der Original Dixieland
Jazz Band und
der im September 1921 die US-Charts anführende
Foxtrot-Hit „Ain't We Got Fun?“ von dem
Vaudeville-Sänger-Duo Van and Schenck (Gus Van,
Joseph Schenck). Der Text gab ein
trotzig-sarkastisches Bekenntnis zum Recht der
„kleinen Leute“ auf Spaß in Zeiten, in denen „nichts
sicher ist, außer dass die Reichen immer reicher
werden und die Armen Kinder bekommen“.
Ted Snyder war in dem Jahr, in dem Rudolph Valentino
mit dem Film „Der Scheich“ massenhaft Mädchen der
Ohnmacht nahe brachte, mit seinem Klavier-Solo „The
Sheik Of Araby“ ebenfalls sehr gut aufgestellt.
Eddie „Banjo Eyes“ Cantor, ein bekannter Komiker,
verzauberte das Publikum mit dem überdreht
schmalzigen „Margie“. Der Jazz-Standard-Song wurde
nach Cantors 5-jähriger Tochter benannt und stand
1921 fünf Wochen an der Spitze der US-Charts.
Auch Ted Lewis (eigentlich „Theodore Leopold
Friedman“) war als Komiker populär geworden. Der für
seinen Standardspruch „Is everybody happy?“ bekannte
Entertainer lag 1921 mit dem optimistischen
Instrumental „All By Myself“ spurgenau im Trend des
Jahres. Ebenso der ähnlich aufgebaute „Wabash Blues“
mit dem der 27-jährige Isham Jones seinen ersten
großen Erfolg in den USA hatte.
In den offen rassistischen USA stellte die U-Musik
eine der wenigen Bereiche dar, in denen
Afroamerikaner als gleichwertig anerkannt wurden,
wenn auch nur in ihrer Funktion als Jazz-Musiker. So
wurde schwarze Musik zunehmend vom weißen
Bezahl-Publikum goutiert. Gemischt schwarz-weiße
Bands gab es nicht. Die bizarre Situation, dass
schwarze Musiker in einem Club, zu dem Schwarze als
Gäste keinen Zutritt hatten, vor rein weißem
Publikum auftraten, wurde
zur Normalität. Ein bei
Weißen und Schwarzen gleichermaßen erfolgreicher
Popsong war das tragende „There’ll Be Some Changes“
der Afroamerikanerin Ethel Waters.
Auch in Deutschland kamen die US-Klänge gut an.
Daneben wurde aber auch viel zu heimischem Liedgut
getanzt und mitgewippt. Das Top-Ereignis in der
deutschen U-Musik im Jahr 1921 war die am 15. April
in Berlin gefeierte Uraufführung der Operette „Der
Vetter aus Dingsda“. Die Musik zu der in Holland
angesiedelten, auf ein Happyend ausgerichteten
Liebesgeschichte hatte Eduard Künneke komponiert.
Sinnige Weisen wie „Ich bin nur ein armer
Wandergesell'“, „Onkel und Tante, ja, das sind
Verwandte, die man am liebsten nur von hinten sieht“
und „Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel
denken“ wurden Evergreens. Operetten-Erfolge konnten
auch Robert Stolz mit „Die Tanzgräfin“ und Walter
Kollo mit seiner „Königin der Nacht“ verbuchen.
Schwerere Kost waren da einige der wichtigen 1921
uraufgeführten Opernwerke.
Eines der Groß-Ereignisse der Opernwelt des Jahres
war die Premiere eines Werkes des 30-jährigen Russen
Sergei Prokofjew. Am 30. Dezember hatte Prokofjews
Vierakter „Die Liebe zu den drei Orangen“ in Chicago
die erste Aufführung. Der Marsch im zweiten Akt der
märchenhaft-grotesken Oper wurde zu einem der
bekanntesten Prokofjew-Schöpfungen. Das Libretto zu
der ebenfalls 1921 dem Publikum vorgestellten
expressionistischen Paul-Hindemith-Oper „Mörder,
Hoffnung der Frauen“ schrieb der Ausnahme-Maler
Oskar Kokoschka.
Sonstiges
Am 3. Januar trennt sich die Musikwelt vom
russischen Komponisten Arseni Nikolajewitsch
Koreschtschenko und dem kanadischen Organisten
Joseph-Daniel Dussault am 1. April. Außerdem vom
englischen Organisten und Komponisten Haydn Keeton
am 27. Mai und dem italienischen Opernsänger Enrico
Caruso am 2. August. Des Weiteren stirbt auch der
deutsche Komponist Engelbert Humperdinck am 27.
September und der Franzose Camille Saint-Saens am
16. Dezember, welcher als Komponist, Organist und
Pianist bekannt geworden war.
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