Das Musikjahr 1920 – Das erste Konzert im
Rundfunk
Zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren die bald
den Musikmarkt bestimmenden technischen Medien,
insbesondere Plattenspieler und Rundfunk, für die
Musikkultur noch weit entfernt von ihrer späteren
Bedeutung. Der Kauf eines Grammophons und der dazu
gehörenden Schelllackplatten war für die breite
Masse der Bevölkerung noch sehr teuer. Nahezu
unerschwinglich war der Kauf eines Radios, mit dem
die noch spärlichen Sendungen der ersten
Rundfunkanstalten empfangen werden konnten.
Allerdings schritt die Entwicklung 1920 voran, die
Grundlagen für eine Popularisierung der neuen
Technologie zu schaffen. So bot die Stuttgarter
Firma Albert Ebner & Co. 1920 mit ihrem „Elektromophon“
einen der ersten elektrisch betriebenen
Plattenspieler als Tischgerät an.
Als Sternstunde ging 1920 die weltweit erste
Radioübertragung eines Weihnachtskonzerts in die
Geschichte des „Hör-Rundfunks“ ein. Die Deutsche
Reichspost hatte 1919 eine ehemalige
Militärfunkstelle auf dem „Funkerberg“ im
brandenburgischen Königs Wusterhausen
übernommen und
zur Hauptsendestelle der Post ausgebaut. Von hier
wurden vor allem Presse- sowie Wirtschafts- und
Börsennachrichten gesendet. Auf Anregung der für den
später als deutscher „Pionier des
Unterhaltungsrundfunks“ geltenden
Ministerialdirektors im Reichspostministerium, Hans
Bredow, ging im Dezember 1920 erstmals in
Deutschland ein Konzert über den Äther. Fünf
Reichspost-Angestellte boten mit Klarinette,
Harmonium, Klavier und Geigen der zahlenmäßig noch
sehr überschaubaren Menge von Rundfunkteilnehmern am
22. Dezember ein Weihnachtskonzert frei Haus. In den
USA war die Entwicklung bereits weiter
fortgeschritten. Dort hatte der Rundfunkenthusiast
und Westinghouse-Ingenieur Frank Conrad am 17.
Oktober 1920 in Pittsburgh begonnen, mit seiner
Radiostation 8XK (ab November KDKA) regelmäßig
Platten- und Live-Musik zu senden. Damit legte er
den Grundstein für das Privatradio-Wesen in den USA.
Der Schwerpunkt der Musikkultur sowohl im E- als
auch im U-Musik-Bereich lag 1920 aber eindeutig noch
bei Konzert-und Musiktheateraufführungen sowie bei
der Tanzmusik. 1920 sorgte Komponist Maurice Ravel
mit seinem orchestralen Meisterwerk „La Valse“ für
Aufsehen. Zu den wichtigsten Opern-Premieren des
Jahres zählten 1920 Franz Schrekers
Mittelalter-Drama „Die Schatzgräber“, „Die tote
Stadt“ des erst 23-jährigen Brünners Erich Wolfgang
Korngold und der in Frankfurt am Main uraufgeführte,
expressionistische Tonelemente aufweisende
Zwei-Akter „Die ersten Menschen“ (Musik: Rudi
Stephan). Beschwingt-heitere Operetten-Klänge
konnten die Zuhörer dagegen bei Robert Stolz´ „Das
Sperrsechserl“ (Premiere im Komödienhaus in Wien),
bei Leo Blechs „Die Strohwitwe“ oder bei Oscar
Straus´,
später zweimal verfilmten, Romantical „Der
letzte Walzer“ genießen.
Die afroamerikanische 37-jährige Sängerin Mamie
Smith nahm 1920 als erste Sängerin überhaupt ein
Blues-Stück auf Platte auf. Ihr flottes „Crazy
Blues“ verkaufte sich insbesondere bei schwarzen
Amerikanern so gut, dass die Plattenfirmen auf diese
bis dahin nur wenig beachtete Käuferschicht
aufmerksam wurden und gezielt in Hinblick auf dieses
Potenzial Blues-Platten produzierten. Einer der ganz
großen Welthits aus den USA war das im Februar 1920
erstmals vorgestellte Instrumental „Dardanella“ von
Ben Selvin´s Novelty Orchestra. Die Platte mit
Selvins größtem Hit synkopierter Tanzmusik ging
insgesamt mehr als sechs Millionen Mal über den
Ladentisch. Ähnlich erfolgreich war der von Ted
Lewis mit einer „lachenden Klarinette“ intonierte
und von Gesang begleitete, zum ausgelassenen Tanzen
animierende Foxtrott „When My Baby Smiles At Me“.
Schmalzig und erfolgreich war Jerome David Kern mit
seinem gebrochene Frauenherzen heilenden
Optimistical „Look For The Silver Lining“. Zu Herzen
ging 1920 auch der Hit „I'll Be With You In Apple
Blossom Time“ des US-Tenors Charles W. Harrison. Die
Kriegs-Veteranen unter den Musikhörern waren von
Jazz-Sänger Al Jolsons mild antimilitaristischem „I've
Got My Captain Working For Me Now“ so begeistert,
dass das Lied ein Top-Schlager wurde.
Auch in Deutschland fand der massenkompatible
US-Jazz Anklang. 1920 gründete sich mit den
Piccadilly Four in Wiesbaden die erste deutsche
Jazz-Band. Wurde der US-Import auch von rechten
Kulturwächtern als „Negerkrach“ bepöbelt, so
eroberte er doch die Tanzsäle der Weimarer Republik.
Zum Modetanz des Jahres wurde der vom Foxtrott
abgeleitete, wild schüttelnde Shimmy. Einen der
beliebtesten deutschen Schlager 1920 lieferte Otto
Reutter mit seinem Couplet „In fünfzig Jahren ist
alles vorbei“.
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