Chronik 1887 - Grammophon und Urheberrecht,
Verdis „Otello“ und Heinrich Hertz
Großes tat sich in jenem Jahr in Paris. Gleich zu
Beginn des Jahres war mit dem Bau des Eiffelturms
begonnen worden, der zwei Jahre später eingeweiht
wurde. Am Baubeginn nahmen die Bürger der Stadt
regen Anteil. Doch es gab auch scharfe Kritiker, die
dieses Bauwerk als eine Reklame für gedankenlose
Tagediebe in Europa und Amerika ansahen. In der
Liste derer, die ihren Widerstand öffentlich
bekundeten, waren renommierte Persönlichkeiten der
Kunst- und Literaturszene. Derweil hatte in den
Vereinigten Staaten von Amerika ein 1870 aus
Deutschland eingewanderter Erfinder im Jahr 1881
seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen
und im Mai 1887 stellte jener Emil Berliner
(1851-1929) in Washington, D. C. sein Grammophon
vor. Im selben Jahr meldete er ein Patent auf den
scheibenförmigen Tonträger an. In diesen Tonträger
war von außen nach innen schneckenförmig und in
Seitenschrift eine Rille geritzt. So konnten die
Schwingungen der Aufnahmemembran analog konserviert
werden. Das Patent enthielt auch ein Aufnahme- und
Abspielgerät – den Vorläufer des Grammophons. Emil
Berliner nannte die Scheibe in deutscher Sprache
„Schallplatte“. In Sachen Urheberrecht gab es 1887
auch eine entscheidende Neuerung im Deutschen Reich.
Der bereits im Vorjahr in Bern angenommene
völkerrechtliche Vertrag – die „Berner Übereinkunft
zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst“ trat
zum Ende des Jahres in Kraft. Der Vertrag befasste
sich erstmals mit der Anerkennung des Urheberrechts
zwischen souveränen Staaten. Die Berner Vereinbarung
war auf Initiative des französischen Schriftstellers
Victor Hugo (1802-1885) zustande gekommen, der sich
massiv für ein
Urheberrecht eingesetzt hatte, teilweise
zusammen mit seinem Landsmann, dem Literaten Honoré
de Balzac (1799-1850). Das Inkrafttreten der „Berner
Übereinkunft“ erlebten beide nicht mehr. Auch wenn
der italienische Opernkomponist Giuseppe Verdi
(1813-1901) sich lange den Vorwurf gefallen musste,
ein Nachahmer Richard Wagners (1813-1888) zu sein
und ihm diese Kritik heftig zusetzte, erlebte er die
Uraufführung seines „Otello“ am 5. Februar 1887 als
einen triumphalen Erfolg. Seine Unzufriedenheit
blieb jedoch trotz des unbeschreiblichen Jubels der
Premiere an der Mailänder Scala. Wäre es nach Verdi
gegangen, dann wäre sein „Otello“ nie aufgeführt
worden. Dem Standardrepertoire der heutigen
Opernbühnen wäre etwas entgangen. Auch auf
wissenschaftlichem Gebiet wäre der Nachwelt viel
entgangen. Doch dank des deutschen Physiker
Heinrich Hertz (1857-1894), der im Jahr
1887 erstmals künstlich elektromagnetische Wellen
erzeugte und sich damit den Status erwarb, einer der
bedeutendsten Physiker des 19. Jahrhunderts zu sein,
können wir heute Radio hören. Natürlich nicht nur
das. Die künstlich erzeugten elektromagnetischen
Wellen brachten eine Entwicklung in Gang, die mit
Röntgenstrahlung, Wärmestrahlung, mit Licht und
vielem mehr ihren Verlauf nahm.
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Ereignisse & Schlagzeilen
1887
1. Januar
Im Jahre 1878
Die Firma Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft
(AEG) wird in Berlin gegründet
14. JanuarDer deutsche Reichstag wird aufgelöst, nachdem eine Vorlage der
Regierung Otto von Bismarcks, das Heer um etwa 10 Prozent aufzustocken und das
Heeresgesetz um weitere sieben Jahre zu verlängern, abgelehnt worden war. Es
kommt zu einer Reichstagswahl.
26. Januar
In der Schlacht bei Dogali besiegt ein übermächtiges äthiopisches
Heer eine 500 Mann starke, in das abessinische Hochland vorrückende,
italienische Truppe. Die Niederlage wird zur Prestigefrage für Italien und es
verstärkt seine militärischen Anstrengungen in Ostafrika, die auf eine Kolonie
Eritrea abzielen.
8. Februar
Privatisierung des Reservatlandes der US-amerikanischen Indianer
durch den Dawes Act
3. Mai
Bei dem Grubenunglück von Nanaimo, Britisch-Kolumbien, Kanada sterben
150 Bergleute, nur sieben überleben.
23. Mai
Papst Leo XIII. beendet den Kulturkampf im deutschen Kaiserreich. Die
Kirche akzeptiert unter anderem Zivilehe, staatliche Schulaufsicht und das
Politikverbot für Priester.
18. Juni
Der Rückversicherungsvertrag zwischen Deutschland und Russland wird
geschlossen.
23. Juni
In Kanada entsteht mit dem „Rocky Mountains Park Act“ die gesetzliche
Grundlage für den Banff-Nationalpark.
29. August
Reichskanzler Otto von Bismarck verfügt, dass der Zollbeamte Wilhelm
Schnäbele freigelassen wird. Der Franzose war bei einer Dienstbesprechung auf
deutschem Boden wegen angeblicher Spionage verhaftet worden. Die bei der
Schnäbele-Affäre entstandene diplomatische Krise wird damit beigelegt.
11. November
In Chicago werden Albert Parsons, August Spies, George Engel und
Adolph Fischer für den Haymarket Riot gehängt. Es gab keine Beweise für eine
Verbindung der dafür angeklagten Anarchisten zum Bombenanschlag. Internationale
Proteste gegen das Urteil bleiben wirkungslos.
13. November
Über 20.000 Arbeiter folgen in Chicago dem Trauerzug für die vier
vor zwei Tagen hingerichteten Teilnehmer eines Streiks, die ein Gericht für den
Haymarket Riot verantwortlich gemacht hat.
5. Dezember
Die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und
Kunst tritt im Deutschen Reich in Kraft.
4. März
Als George Hearst sein Amt als Senator antritt, übergibt er seinem Sohn
William Randolph Hearst das Management seiner Zeitung San Francisco Examiner.
Damit beginnt der allmähliche Aufbau eines Zeitungsimperiums.
23. Mai
Der erste fahrplanmäßige Zug erreicht das westkanadische Vancouver auf
der Canadian Pacific Railway. Damit geht diese transkontinentale Strecke nach
rund vierjähriger Bauzeit offiziell in Betrieb.
3. Juni
Der deutsche Kaiser Wilhelm I. legt bei Kiel-Holtenau den Grundstein
für den Nordostseekanal.
23. August
Großbritannien verlangt im parlamentarisch verabschiedeten
Merchandising Marks Act auf allen importierten Industrieprodukten künftig die
Angabe des Ursprungslandes. Der Begriff „Made in Germany“ entsteht. Deutsche
Erzeugnisse wurden in Britannien mit diesem Stempel versehen, um sie als
minderwertig darzustellen. Durch die Hochwertigkeit der Waren wird wider Willen
daraus ein Qualitätssiegel und der Verkauf steigt.
29. September
Emil Berliner meldet sein erfundenes Grammophon zum Patent an.
1. Dezember
Ein in
Singapur eröffneter Bungalow im Kolonialstil mit zehn
Zimmern bildet die Ausgangsbasis für das inzwischen luxuriös gestaltete Raffles
Hotel.
19. Dezember
Die Deutsche Kolonialgesellschaft wird gegründet.
Die Wicküler Brauerei wird in Dortmund gegründet.
12. Oktober
Gründung der japanischen Firma Yamaha
18. Januar
Erstsynthese des Amphetamins durch Lazăr Edeleanu an der
Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin
28. Januar
In Paris beginnt der Bau des Eiffelturms.
7. März
In Raleigh (North Carolina) wird die North Carolina State University
gegründet.
16. Mai
Emil Berliner stellt in Washington (D.C.) das von ihm erfundene
Grammophon vor.
4. Juni
In Paris wird das Institut Pasteur gegründet. Neben Forschungs- und
Beratungsaufgaben steht die Überwachung von Infektionskrankheiten im Vordergrund
seiner Tätigkeit.
26. Juli
Zuerst auf Russisch veröffentlicht Ludwik Lejzer Zamenhof unter dem
Pseudonym Doktoro Esperanto das Lehrbuch über seine „Internationale Sprache“.
Weitere Broschüren in anderen Sprachen folgen rasch. Das Pseudonym bleibt als
Name der Sprache haften.
23. September
William Muir gründet in Britisch-Indien die University of
Allahabad.
Im März
Heinrich Hertz erzeugt erstmals künstlich Elektromagnetische Wellen.
Im Februar
Svante Arrhenius veröffentlicht seine Theorie der elektrolytischen
Dissoziation.
Im August
Albert Abraham Michelson und Edward Morley führen ihr Experiment zur
Bestimmung der absoluten Geschwindigkeit der Erde im Äther durch; es geht
negativ aus, siehe Michelson-Morley-Experiment.
Im Mai
Ferdinand Tönnies veröffentlicht als erster Deutscher eine theoretische
Grundlegung der Soziologie „Gemeinschaft und Gesellschaft“.
5. Februar
Uraufführung von Otello von Giuseppe Verdi in Mailand
16. März
Uraufführung der Oper Proserpine von Camille Saint-Saëns an der Grand
Opéra Paris
7. Juni
Ludwik Lejzer Zamenhof veröffentlicht in Warschau die erste Broschüre
über die neue Sprache Esperanto.
18. Juni
Uraufführung der komischen Oper Die Musikanten von Friedrich von
Flotow in Mannheim
29. Oktober
Uraufführung der Operette Die sieben Schwaben von Karl Millöcker am
Theater an der Wien in Wien
3. Dezember
In Amsterdam gibt der Circus Carré im Theater Carré seine erste
Vorstellung. Das Theater entsteht als festes Quartier des Zirkus über die
Wintermonate.
Im Juni
Marie von Ebner-Eschenbach veröffentlicht den Roman Das Gemeindekind.
Im Juli
Gründung der National University of Fine Arts and Music in Tokio
Im August
Das Schauspiel „Der Vater“ von August Strindberg erscheint.
Im Januar
Gründung des Archäologischen Nationalmuseums in Tarent
20. Januar
An der brasilianischen Küste kollidiert das britische
Auswandererschiff Kapunda mit der Bark Ada Melmore und sinkt innerhalb von fünf
Minuten (297 Tote).
23. Februar
Die Côte d’Azur wird von einem starken Erdbeben getroffen, das etwa
2.000 Menschen ihr Leben kostet.
17. April
Der britische Passagierdampfer Tasmania strandet an der Südküste von
Korsika, 35 Menschen sterben.
Im April
Überflutung in China (Gelber Fluss) kostet 900.000 Menschen das Leben.
19. November
Im Ärmelkanal sinkt der niederländische Ozeandampfer W. A.
Scholten nach der Kollision mit einem britischen Kohlenfrachter. 132 Passagiere
und Besatzungsmitglieder sterben.
Im Mai
In Paris wird das erste organisierte Autorennen veranstaltet.
29. September
Der SC Germania von 1887 wird gegründet. Am 1. Juni 1919 entsteht
aus ihm und den Vereinen „Hamburger FC 1888“ und „FC Falke 1906“ durch
Zusammenschluss der Hamburger SV.
6. November
Der schottische Fußballclub Celtic Glasgow wird als Celtic Football
and Athletic Club gegründet.