DDR Chronik 1965 - Strenge Kulturkontrolle und
Suizid statt Unterschrift
Zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren
die politischen Rangeleien zwischen der Bundesrepublik
und der DDR nach wie vor vom Kalten Krieg geprägt. Beide
Seiten beäugten sich genau und jede Seite beharrte
darauf, dass ihr Staatssystem das bessere war. Im Mai
war dann von offiziellen Gremien wie Volkskammer,
Staatsrat, Ministerrat und Nationaler Front zu hören und
zu lesen, dass ein wiedervereinigtes Deutschland nur
sozialistisch sein könnte. Das war eine heftige Schlappe
für alle diejenigen, die immer noch an eine
Wiedervereinigung glaubten und diese ernsthaft
anstrebten. Selbst der „unpolitischste“ Bürger begriff,
dass diese anmaßende Forderung keine Grundlage für ein
vereintes Deutschland war.
Die Bundesrepublik war ohnehin weit davon entfernt, die
DDR als einen souveränen Staat anzuerkennen.
Beispielsweise hatte das Bundesverfassungsgericht den
Handel zwischen den
beiden deutschen Staaten – den
Interzonenhandel – weiterhin „als auf der
Rechtsgrundlage alliierter Gesetze basierender
Binnenhandel besonderer Art“ beurteilt und
dementsprechend war die Grenze zwischen beiden Ländern
keine Zollgrenze, auch wenn die DDR das anders sah.
Zu Beginn des Jahres 1965 sorgte der Staatsbesuch von
Walter Ulbricht in Ägypten für Ärger in der
Bundesrepublik. Es war Ulbrichts erster Besuch außerhalb
der Staaten des Warschauer Paktes und der
DDR-Staatsratsvorsitzende war in Kairo mit allen Ehren,
die einem Staatsmann gebührten, empfangen worden. Die
Reaktion der Bundesregierung war heftig, sie stoppte
daraufhin sofort die Wirtschaftshilfe für Ägypten.
Kulturell gab es in der DDR im März ein echtes
Highlight: Der US-amerikanische Jazzmusiker Louis
Armstrong war zu Gast in der DDR-Hauptstadt und
konzertierte im Friedrichstadtpalast. Es war dies der
erste Auftritt eines bedeutenden US-Showstars in der
DDR.
Als in West-Berlin die Bundestagssitzung abgehalten
wurde, war das in der DDR und bei den sowjetischen
Alliierten ein Eklat, den die Sowjetdüsenjäger mit dem
Überfliegen der West-Berliner Kongresshalle zu stören
versuchten. Zudem wurden die Zugänge zu Wasser und zu
Lande nach West-Berlin zeitweilig von sowjetischen und
von DDR-Soldaten blockiert, um damit Protest gegen die
Abhaltung der Bundestags-Sitzung auszudrücken.
Auf sportlicher Ebene gab es einen Lichtblick. Der
Sportverkehr zwischen der BRD und der DDR, der 1961 nach
dem Bau der Berliner Mauer abgebrochen worden war, wurde
auf Beschluss des Hauptausschusses des Deutschen
Sportbundes wieder aufgenommen. Außerdem hatte das
Internationale Olympische Komitee zwei deutsche
Mannschaften zur Olympiade 1968 zugelassen und damit das
DDR-NOK (Nationales Olympisches Komitee) anerkannt.
Immerhin war das eine Chance für die DDR, sich sportlich
eigenständig zu etablieren und nicht in einer
gesamtdeutschen Mannschaft „unterzugehen“.
Seit dem Mauerbau 1961 war inzwischen das 3.
Passierscheinabkommen unterzeichnet worden, um den
Besucherverkehr zu regeln. Der sowjetische Staatschef
Leonid Breshnew benötigte natürlich keinen
Passierschein, um der DDR im November einen Besuch
abzustatten. Sein Besuch verursachte in den
Führungskreisen der DDR große Aufregung. Man wollte es
dem Parteivorsitzenden der KPdSU, dem Machtmenschen
Breschnew in allem recht machen, wissend, dass die DDR
als Ostblock-Außenposten für die Sowjetunion wichtig
war. Nach zwei Tagen war der Besuch beendet und ein
großes Aufatmen ging durch die Regierungskreise der DDR.
Der Besuch war tatsächlich, so wie geplant, bei der
DDR-Bevölkerung und vor allem im Westen geheim
geblieben. Auch wenn das nicht lange ein Geheimnis
blieb, so drang doch über die Inhalte der Gespräche
nichts nach außen.
Im Dezember machten Schlagzeilen in der DDR und in der
BRD über den Selbstmord des Vorsitzenden der staatlichen
Planungskommission, Erich Apel, die Runde. Er hatte sich
in
seinem Dienstzimmer im Haus der Ministerien in der
Leipziger Straße erschossen. Wenngleich die
DDR-Regierung alles aufbot, um diesen Selbstmord zu
bagatellisieren, so glaubte doch niemand daran, was die
parteitreue Chefärztin des Regierungskrankenhauses in
einem Bulletin schrieb, nämlich das der Selbstmord eine
Kurzschlussreaktion wegen nervlicher Überbelastung war.
In Wahrheit aber hatte Apel die Pistole der Feder
vorgezogen. Er wollte sich damit der Unterschrift
entziehen, die er unter einen neuen Handelsvertrag mit
Moskau an diesem Tag (3. Dezember) hätte leisten sollen.
Er konnte sich trotz seines Protestes gegen diesen
Vertrag nicht gegen
Walter Ulbricht durchsetzen. Apel
befürchtete, dass sich die DDR mit diesem Vertrag zu eng
an die Sowjetunion binden würde. Deshalb hatte er seine
Weigerung bis zur letzten Minute hinausgezögert und
schließlich dem Tod den Vorrang gegeben. Am selben Tag
war der Vertrag vom Vorsitzenden des
Volkswirtschaftsrates der DDR, Alfred Neumann,
unterzeichnet worden.
Auf welch politisch engstirnigen Weg die DDR war, zeigte
sich auch an den Ergebnissen des 11. Plenums des ZK der
SED, das im Dezember die 2. Etappe des Neuen
Ökonomischen Systems sowie einen strengeren Kurs der
Kulturpolitik beschloss. Die totale Kontrolle der Kultur
hatte unter anderem das Verbot der fast gesamten
Jahresproduktion der DEFA zur Folge. Das betraf zum
Beispiel auch den Film „Spur der Steine“ mit Manfred
Krug. Insgesamt waren es 14 Filme, die im „Giftschrank“
landeten. Wie streng die Kontrolle kultureller
„Auswüchse“ war, hatte sich zuvor gezeigt, als das
Zentralorgan der SED, „Neues Deutschland“, Wolf
Biermanns Gedichtband „Die Drahtharfe“ kritisiert hatte,
der in West-Berlin erschienen war. Die Tageszeitung
hatte in diesem Zusammenhang alle Literaten vor der
Verletzung der parteioffiziellen „sozialistischen
Literaturrichtlinien“ gewarnt. Kritik richtete sich
außer an Biermann auch gegen den Schriftsteller Stefan
Heym.
Nun hatte die DDR-Regierung ihr wahres Gesicht gezeigt,
hatte gezeigt, wie diktatorisch sie wirklich sein
konnte.
Das „Modernste“, was die DDR im Jahr 1965 präsentierte,
war das neue Familiengesetzbuch. Darin wurden eheliche
und uneheliche Kinder einander gleichgestellt und bei
Scheidungen gab es kein Schuldprinzip mehr.
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