Das Modejahr 1957 Mode – Die Kluft der
Generationen
Von einem Jahr der Experimente
konnte keine Rede sein. Die Erfolge, die das
Wirtschaftswunder erbracht hatte, wollten behütet
werden. Im Vorjahr hatte man die 45-Stunden-Woche
bei vollem Lohnausgleich eingeführt. Endlich bekam
der kleine Mann auch ein paar Krümel vom großen
Kuchen ab. Risikofreudigkeit war der Deutschen Sache
nicht. Neuerungen, wie die Einführung elektronischer
Technologien in Form von Computern und Automaten,
stand man noch ablehnend gegenüber. Auch kulturell
waren es fast immer Klassiker, die auf den Bühnen
gezeigt wurden. Die Schlager besangen Sehnsucht,
Geborgenheit und priesen die gutbürgerlichen Werte.
Die heranrollende Welle der aufmüpfigen Klänge wurde
mit Argwohn betrachtet, nicht mit Offenheit.
Ganz anders im Bereich der Mode. Da war die Neugier
groß und man schaute nach Paris, das immer noch
unangefochten das Sagen in Sachen Mode hatte. Nicht
so die Jugend. Sie hob sich ohnehin schon von der
älteren Generation ab. Die jungen Männer kamen mit
Jeans, spitzen Lederstiefeletten und Lederjacke
daher. Sie hatten ihre Vorbilder in der Musik des
Rock’n’Roll gefunden und waren nicht auf Designer
aus renommierten Modehäusern angewiesen. Die
Modeindustrie nahm diese Zeichen der Zeit zur
Kenntnis. Es dauerte nicht lange, da konnten junge
Leute – inzwischen nannten sie sich Teenager – ihre
Mode auch in Versandhaus-Katalogen bestellen. Vor
allem die jungen Mädchen konnten auf diese Weise mit
den noch am Anfang des Jahrzehnts skandalösen Hosen
punkten, die die Hausschneiderinnen nicht so gern
fertigten, weil sie keinen Ärger mit den Müttern als
gute Kundinnen bekommen wollten. Die Kluft zwischen
Jung und Alt wurde zunehmender größer.
Die reiferen Frauen orientierten sich an den
Kollektionen, die Paris vorgab. Da war
beispielsweise die neue Sacklinie. Sehr weite
Kleider ohne jegliche Figurbetonung, dafür mit
weiten Raglanärmeln und runden Schultern, gaben auch
der etwas fülligeren Frau die Möglichkeit, damenhaft
zu erscheinen. Dazu kam die sogenannte Tonnenform,
deren abgerundete Schnittform der Röcke ihrem Namen
alle Ehre machte. Die Kleidsamkeit war strittig,
doch die Linie war neu und wurde angenommen. Die
Krönung brachte schließlich Hubert de Givenchy auf
den Markt. Er kreierte den Ballon-Look. Weite Röcke
wurden am Saum derart zusammen gezogen, dass sie wie
aufgebläht aussahen und tatsächlich einem Ballon
ähnelten. Unglaublich, aber diese Silhouette gefiel.
Dass sie schnell verschwand, hatte seine Ursache
lediglich darin, dass diese Kleider leicht
knitterten. Wie bügelte man einen Ballon?
Die deutschen Modemacher hatten im Jahr 1957 mehr
damit zu tun, die Pariser Kreationen im Sinne der
Tragbarkeit zu variieren und sie damit vielen Frauen
zugänglich zu machen, als selbst neue Trends zu
setzen. Dessen ungeachtet hatte Heinz Oestergaard,
der bereits 1952 einen führenden Haute-Couture-Salon
in Berlin unter seinem Namen eröffnete, eine
spezielle College-Linie vorgestellt und damit den
Zeitgeschmack der jungen Frauen getroffen, die nicht
ausschließlich in lässiger, sondern auch in
eleganter Kleidung ihr Selbstbewusstsein zeigen
wollten. Ansonsten richtete sich die modische
Orientierung junger Frauen nach den gängigen
Filmstars. Allen voran war es Brigitte Bardot, deren
Pferdeschwanz und Schmollmund wie ein
komplettierendes Accessoire zum Petticoatrock schon
fast Kult war. Die Freizeitmode war immer noch durch
die beliebte Caprihose geprägt. Inzwischen gab es
dazu auch einen Wickelrock, der sie je nach Anlass
mehr oder weniger verdeckte.
Hatte im Vorjahr eine leichte Taillierung des
Herrenanzugs eingesetzt, so blieb es in diesem Jahr
unverändert dabei. Schließlich musste Mann diese
Änderung erst einmal annehmen. Nach wie vor aktuell
waren weiße Nylonhemden. Die dazugehörige Krawatte
war unauffällig, sehr schmal und fast nicht
gemustert. Man musste es ja nicht gleich
übertreiben. Wollte Mann tatsächlich modisch
ausscheren, gab es ja noch die Jugendmode. Aber so
mutig war Mann ja nun doch nicht, auch wenn es
manchen reifen Herrn vielleicht gereizt hätte, ein
Jugendgefühl auf diese Art wieder zu erlangen. Die
eigene Jugend hatten ja fast nur Uniformen geprägt.
Einen herben Verlust erlitt die Modewelt am 23.
Oktober. Der Modezar Christian Dior starb
überraschend im Alter von 52 Jahren.
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