Das Musikjahr 1928 – Uraufführung von Brechts „Dreigroschenoper“

Einer der großen internationalen Hits des Jahres wurde 1928 wieder einmal von US-Sängerstar Al Jolson gelandet. Im von Lloyd Bacon in Szene gesetzten melodramatischen US-Musikfilm „The Singing Fool“ konnte Al Jolson nahtlos an seinen Welterfolg in „The Jazz Singer“, dem ersten abendfüllenden Kinofilm der Geschichte, anknüpfen. „The Singing Fool“ blieb bis 1937 der kommerziell weltweit erfolgreichste Musikfilm und machte den gern Augen rollenden und häufig schwarz geschminkt auftretenden Al Jolson endgültig zum Superstar. Die tränendrüsige Auskopplung „Sonny Boy“ hielt sich 1928 zwölf Wochen auf dem Spitzenplatz der US-Charts.
Jolsons Landsmann Gene Austin hatte mit dem Titelsong „Ramona“ aus dem gleichnamigen Abenteuer-Romantik-Film einen ähnlichen Erfolg. Das seit 1928 unzählige Male gecoverte Schnulz-Stück (unter anderem 1960 von den „Doo Woop“-Niederländer-Duo Blue Diamonds in einer deutschen Hit-Version) stand 1928 acht Wochen auf Hitparadenplatz Nr.1. Auch Paul Whiteman & His Orchestra gelangten mit einer „Ramona“-Instrumental-Version unter die Top 20 des Jahres, dort waren sie zudem mit „Ol´ Man River“, „Together“ und dem Foxtrott „My Angel“ prominent vertreten.
Zu den 1928er US-Hits, die zu einem Evergreen wurden, gehörte ferner das erstmals
von Bo Carter gesungene, schnelle „Corinne, Corrina“, das in späteren Versionen häufig zu „Corrina, Corrina“ wurde. Fats Waller war 1928 der erste Interpret, der mit dem aus dem Broadway-Musical „Whoopee!“ stammenden „My Baby Just Cares For Me“ Erfolge verbuchen konnte. Zum Welthit wurde der Jazz-Standard aber erst in der 1958er Version von Nina Simone.
Mit dem heiteren Swing „Room 1411“ überzeugte der noch vergleichsweise unbekannte Bandleader Benny Goodman zusammen mit seinen „Goodman´s Boys“ 1928 die Fachwelt. Zu den Goodman-Boys gehörten damals auch die späteren Weltberühmtheiten Tommy Dorsey und Glenn Miller. Das nach den New Yorker Hotel-Apartment, in dem Miller und Goodman Anfang 1928 abgestiegen waren, benannte „Room 1411“ war Millers erste veröffentlichte Komposition.
1928 war auch das Jahr, in dem Cole Porter mit dem Musical „Paris“ seinen ersten Broadway-Erfolg feiern konnte. Aus dem Musical „Paris“ wurde das ausgekoppelte „Let's Do It“ berühmt. Die Anfangszeile "Birds do it, bees do it" ersetzte die Originalzeile „Chinks do it, Japs do it, up in Lapland little Laps do it“, nachdem Porter bewusst geworden war, dass Chinesen, Japaner und Lappländer (Samen) sich durch diese Bezeichnungen rassistisch angegriffen fühlen könnten.
Cole Porters „Paris“ wurde eine Zeitlang häufig wegen der Namensverwandtschaft mit einer anderen Musik-Neuheit des Jahres verwechselt: Die 20-minütige George-Gershwin-Rhapsodie „Ein Amerikaner in Paris“, die zu einer der bekanntesten Werke des Komponisten wurde.
1928 veröffentliche US-Country-Sänger Jimmie Rodgers den ersten seiner bis 1933 aufgenommenen 13 „Blue Yodel“-Songs. „Blue Yodel No.1 (T for Texas)“ wurde zu einer nationalen Musik-Ikone und ein Mega-Seller.
In Berlin hatte der Sänger Harry Frommermann Ende 1927 begonnen, ein Vokalensemble zusammenzustellen. Die sich zunächst „The Melody Makers“ nennenden sechs jungen Sänger hatten nach monatelangen Anlaufschwierigkeiten endlich am 28. September 1928 ihren ersten erfolgreichen Auftritt als „Comedian Harmonists“. Ihr Sound traf den Nerv des Berliner Publikums und bald gehörten sie zu den beliebtesten Bühnenkünstlern der Reichshauptstadt. Ende 1928 nahmen die „Comedian Harmonists“ ihre ersten Schallplatten auf („Ninon“, „Ich hab ein Zimmer, gnädige Frau", "Du hast mich betrogen“).
Ebenfalls in Berlin hatte am 31. August die „Dreigroschenoper“ von Bert Brecht und Kurt Weill Premiere mit Lotte Lenya als „Jenny“, Erich Ponto als „Peachum“ und Kurt Gerron als „Polizeichef Brown“. Der mit Jazz und Jahrmarktsmusik versetzte Mix aus Schauspiel, Oper und Agitprop („Erst kommt das Fressen, dann die Moral“) ging in die deutsche Theater- und Musikgeschichte ein. Besonders bekannt wurden der „Kanonensong“ und die „Mackie-Messer-Moritat“.
Harmloser, um das Bedürfnis der Hauptstädter nach Unterhaltungskost zu befriedigen, kam 1928 die Lehár-Operette „Friederike“ mit Publikumsliebling Richard Tauber in der Hauptrolle des „jungen Goethe“ daher. 1928 gelang Tauber mit dem schwülstig gesungenen Tango „Ich küsse Ihre Hand, Madam“ daneben noch ein großer Schlager-Hit. Volkssängerin Claire Waldoff versuchte in den kriselnden Zeiten am Ende der „Goldenen Zwanziger“ mit Trotzliedern wie „Was braucht der Berliner, um glücklich zu sein?“ und „Einmal nur lebt man nur“ Mut zu machen.
Ein musikalisches E-Musik-Edelstück des Jahres war die Uraufführung des Orchesterwerks „Boléro“. Mit diesem als Tanzkomposition konzipierten viertelstündigen Stück glückte dem Franzosen Maurice Ravel eines der auf Dauer populärsten Orchesterstücke überhaupt.

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