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Literaturjahr 1918
Literatur in Deutschland
1918 war ein Jahr, in dem der Literaturnobelpreis
nicht verliehen wurde. Ein Nobelpreis wurde alleine
auf dem Gebiet der Physik an Max Planck und auf dem
Gebiet der Chemie an Fritz Haber vergeben.
Dafür kündete sich das Ende des Ersten Weltkrieges
an. Zehn Millionen Menschen waren auf dem
Kriegsschauplatz gefallen, die Folgen waren
gravierend. Das deutsche Kaiserreich brach zusammen,
Österreich-Ungarn ebenso. Die Weimarer Republik
wurde ausgerufen, Kaiser Wilhelm II. dankte ab und
der Freistaat Bayern entstand.
In Russland wiederum wurde die gesamte Zarenfamilie
erschossen, während sich der Bolschewismus weiter
durchsetzte, und in den Vereinigten Staaten
verkündete Präsident Wilson sein 14-Punkte-Programm.
Während die Revolutionstage in Russland andauerten,
war die Literatur dort immer noch vom russischen
Symbolismus bestimmt, entstanden 1892 durch eine
Vorlesung von Dmitri Mereschkowski, weitergeführt
durch Waleri Brjussow, der die Anthologie „Russische
Symbolisten“ veröffentlichte. 1918 brachte der
Schriftsteller Alexej. M. Remissow, ein Vertreter
dieser Richtung, mehrere Stücke, darunter „Zar
Maximilian“ oder „Die Tragödie von Judas“, und eine
Dichtung über die ihn umgebenden, traurigen Umstände
in Russland heraus mit dem Titel „Das Lied vom
Untergang des russischen Landes“.
Der ewige Symbolist Andrej Bely wiederum saß bereits
an seinem berüchtigten, vernebelten und schönen
Roman „Petersburg“ und der lautstarke Dichter
Wladimir Majakowski, der später desillusioniert
Selbstmord beging, rezitierte in den Straßen St.
Petersburgs Matrosen-Gedichte wie „Linker Marsch“
und steigerte damit seine Popularität beim
„proletarischen Publikum“ der Sowjetunion.
Thomas Mann wiederum war zu dieser Zeit ein starker
Befürworter des Ersten Weltkrieges, im Gegensatz zu
seinem Bruder Heinrich, der immer ein überzeugter
Pazifist war. Während des Krieges verfasste Mann
seine „Betrachtungen eines Unpolitischen“, ein
sechshundertseitiges Buch, das die
Kriegsanstrengungen in verschiedenen Essays
verteidigte und 1918 veröffentlicht wurde. Nach dem
Krieg distanzierte Thomas Mann sich von diesem Werk.
Heinrich Mann wiederum war 1918 gleichfalls nicht
untätig und brachte sein Werk „Der Untertan“ heraus.
Abgeschlossen war der Roman bereits 1914 und führte
bei seiner Veröffentlichung zu vielen Kontroversen,
hauptsächlich darum, weil darin die wilhelminische
Epoche persifliert wurde. Sein Bruder reagierte auf
dieses Werk verärgert und warf ihm Ästhetizismus
vor, andere, wie Kurt Tucholsky, lobten Heinrich
Manns Mut. Nicht nur im Schreibstil, auch in den
Überzeugungen unterschieden sich die beiden
Schriftsteller und Brüder Mann dann eben doch
erheblich.
Im Jahr 1918 entdeckte André Breton ein Werk, das im
Grunde den Surrealismus einleitete. Es waren die
„Gesänge des Maldoror“, verfasst durch die Hand des
Comte de Lautréamont, ein Pseudonym von Isidore
Lucien Ducasse, der bereits 1870 im Alter von
vierundzwanzig Jahren verstarb. Seine Gesänge waren
befremdlich, radikal, eine Komposition aus Exzess,
Romantik und poetologischem Traktat. Lautréamont
hatte hier eine Liebes- und Schauergeschichte
entworfen, die nicht nur den Menschen in Frage
stellte, sondern auch von einem kalten und
gefühlslosen Gott sprach, geprägt durch eine
schizophrene und halluzinatorische Vision. Die
Sprache war gleichzeitig poetisch und zügellos.
Breton war beeindruckt, begeistert, fast süchtig
nach diesem Werk. Anfang des Jahres 1918 stimmte der
historische Hintergrund samt der Gefahr durch die
Deutschen, die sich der französischen Hauptstadt
näherten, mit diesem radialen Werk auf eigenartige
Art und Weise überein. Der Mensch, schrieb einst
Blaise Pascal, sei nur ein Halm, der schwächste der
Natur, jedoch „ein denkender Halm“. Es bedurfte
keines ganzen Universums, um ihn zu zermalmen, es
genügte ein Hauch, ein Tropfen Wasser, um ihn zu
töten. Die Auswirkungen des Krieges erweckten
mitunter diesen Eindruck und verstärkten ihn.
Während in Russland der zukünftige
Literaturnobelpreisträger und für Russland viel
bewirkende Alexander Solschenizyn geboren wurde,
starb im November, in der Zeit, als der Erste
Weltkrieg endgültig endete, Guillaume Apollinaire an
der in Paris grassierenden Spanischen Grippe.
Eine Anekdote dieser Tage berichtete davon, dass,
als Apollinaire starb, die Menschen unter seinem
Fenster „Nieder mit Guillaume!“ schrien, womit sie
die Abdankung des deutschen Kaisers meinten.
Apollinaire soll im daliegenden Fieberdelirium
diesen Ruf auf sich selbst bezogen haben und im
Glauben gestorben sein, das Volk wolle seinen Sturz.
Er hinterließ ein lyrisches Gesatmterk, das zu den
bedeutendsten der französischen Literatur des
zwanzigsten Jahrhunderts zählt.