1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846 1847 1848 1849

Politik 1840-1849 – Behaglichkeit war äußerer Schein


Die 1840er Jahre sind im kollektiven Gedächtnis, insbesondere im deutschsprachigen Raum, von Vorstellungen einer zwar etwas spießbürgerlich-langweiligen, aber im Ergebnis doch überaus behaglichen Zeit geprägt worden, in der es sich bescheiden und zufrieden lebende Bürger und Bauern in kleinformatigen Gemeinwesen unter der wohlwollenden Aufsicht gutmütiger Duodezfürsten gut gehen ließen.
Die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen und die politischen Verhältnisse im letzten Jahrzehnt der von Kulturgeschichtler häufig als „Biedermeierzeit“ und von Historiken als „Restaurationszeit“ bezeichneten nachnapoleonischen Epoche bis 1848/49 waren durch massive Spannungen und Unsicherheiten bestimmt. Die durch Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft im Zuge der sich voll entfaltenden Industrialisierung auftretenden Probleme ließen in Europa zwei gegen die bestehende Ordnung gerichtete Grundströmungen oppositioneller Einstellung entstehen. Zu einem eine sich noch in den Anfängen der Organisationsphase befindende Arbeiterbewegung, für die die „Soziale Frage“ und damit verbunden eine gerechtere Verteilung von Lasten und Profiten im Vordergrund standen. In der Rückschau steht die Veröffentlichung des zunächst nur wenig beachteten, 30 Seiten umfassenden „Kommunistischen Manifests“ von Karl Marx im Jahr 1848 als Symbol für diese Bewegung.
Daneben hatte sich aber auch eine starke bürgerliche Bewegung entwickelt, die Partizipation an den politischen Entscheidungsprozessen und die Verankerung bürgerlicher Grundrechte forderte. Beide Strömungen waren nicht heterogen und in zahlreiche, sich oft befehdende Lager gespalten. Zwischen proletarischen und bürgerlichen Kräften gab es zum Teil erhebliche Schnittmengen, zum Teil aber auch bedeutende Meinungsverschiedenheiten.
Neben der sozialen Frage und liberalen Forderungen nach demokratischen Rechten spielte ein weiteres Element im politischen Diskurs der 1840 Jahre eine wesentliche Rolle: Der Nationalismus. Nicht nur in den deutschen Ländern, aber hier wegen der staatlichen Zersplitterung des Deutschen Bundes in mehr als 40 Glieder besonders stark, gewann der Gedanke „Ein Volk, ein Land“ immer mehr an Bedeutung und wurde zu einem zentralen Anliegen der bürgerlichen Bewegung. Das 1841 auf der damals britischen Insel Helgoland von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben verfasste „Lied der Deutschen“ („Deutschlandlied“) traf genau den Zeitgeist und wurde rasch zur Hymne der Nationalbewegung.
Hoffmann von Fallersleben hatte die spätere deutsche Nationalhymne unter dem Eindruck der „Rheinkrise“ von 1840 verfasst. Frankreich, das
in den 1830er Jahren begonnen hatte, auf Kosten des schwachen Osmanischen Reiches ein nordafrikanisches Kolonialreich zu errichten (Eroberung von Algerien), schickte sich an, seinen Einfluss auf die formell zum Osmanischen Reich gehörenden Gebiete Ägypten und Syrien auszuweiten. 1840 musste das Königreich Frankreich seine Ambitionen nach einer Krise („Orientkrise“) mit den Staaten der Heiligen Allianz (Großbritannien, Österreich, Preußen) im „Viermächtevertrag von London“ aufgeben. Die französische Regierung (Ministerpräsident Thiers) versuchte von dieser als nationale Schmach empfundenen außenpolitischen Niederlage durch martialische Forderungen nach einer Verlegung der französischen Westgrenze an den Rhein abzulenken. Diese Verlegung hätte die Annexion von linksrheinischen Gebieten, darunter insbesondere die preußische Rheinprovinz, bedeutet. Die 1841 vorerst beigelegte Rheinkrise bewirkte einen enormen Aufschwung der deutschen Nationalbewegung mit eindeutig anti-französischer Ausrichtung.
Auch in anderen Ländern Europas gehörten Nationalbewegungen zu wichtigen Akteuren der politischen Szene. Italien war in habsburgische und spanisch-bourbonische Monarchien sowie in den Kirchenstaat und das Königreich Sardinien-Piemont geteilt. Die sich unter der Führung von Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi formierende italienische Nationalbewegung („Risorgimento“) unterstrich ihre Forderung nach nationaler Einheit zwischen 1842 und 1845 mit einer Reihe von Aufständen, die sämtlich scheiterten. Gescheitert war auch der „Großpolnische Aufstand“ von 1846 in der 1815 an Preußen gefallenen polnischen Provinz Posen. Ebenso der gleichzeitig im österreichischen Herrschaftsbereich ausgebrochene „Krakauer Aufstand“.
Das durch die Person des österreichischen Ministers Metternich symbolisierte restaurative System der deutschen Länder war gekennzeichnet durch Regierungen mit polizeistaatlichen Methoden (Zensur, „Demagogenverfolgung“), die versuchten, demokratische Ansätze im Keim zu ersticken. Dabei wurde selbst die Umsetzung der moderaten Selbstverpflichtung der durch den Wiener Kongress 1815 beschlossenen Einrichtung landständischer Verfassungen (Art. XIII der Bundesakte) verzögert.
1847 bewirkten die als Folge der von Großbritannien ausgehenden internationalen Wirtschaftskrise ausgelösten proletarischen und kleinbürgerlichen Hungerunruhen in Schlesien, Berlin und anderen Regionen eine deutliche Radikalisierung im politischen Diskurs.
1848 beendete die französische „Februar-Revolution“ am 24. Februar die Herrschaft des sich bei seiner Thronbesteigung 1830 als liberaler „Bürgerkönig“ gebenden Louis-Philippe. Der von Karikaturisten als „Birne“ verspottete und sich im Laufe seiner Regierungszeit als autokratischer Monarch eines korrupten Regimes erweisende letzte französische König wurde Ende Februar 1848 gestürzt. Aus den folgenden Fraktionskämpfen ging der Neffe des Franzosen-Kaiser Napoleon I., Louis Napoleon Bonaparte, als Sieger hervor und besetzte das Amt des Staatspräsidenten der II. Republik. Die Februar-Revolution wirkte europaweit als Initialzündung für weitere nationale Revolutionen.
Die deutsche März-Revolution 1848 brachte die Throne im Deutschen Bund zeitweilig so zum Schwanken, das sich der reaktionäre König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gezwungen sah, sich zur Besänftigung der aufgebrachten Berliner Bevölkerung die ihm verhasste schwarz-rot-goldene Kokarde als Zeichen seiner, vorgetäuschten, Übereinstimmung mit liberal-nationalen Zielen anzuheften. Im Anschluss der verlustreichen und zunächst auch erfolgreichen Barrikadenkämpfe versuchte die Mehrheit der Meinungsführer die Revolution von 1848 gutwillig auf legalistischen Weg zu festigen. Die wegen ihrer Zusammensetzung als „Professorenparlament“ belächelte, sich im Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche bildende, nach relativ demokratischen Vorgaben zusammengesetzte Nationalversammlung verabschiedete nach langen Debatten Ende 1848 die erste demokratische Reichsverfassung, die viel später in wesentlichen Teilen zum Vorbild des deutschen Grundgesetzes von 1949 werden würde.
Mittlerweile hatten sch die innenpolitischen Machtverhältnisse im Deutschen Bund allerdings entscheidend verändert. Breite Schichten des besitzenden Bürgertums hatten sich vor dem Hintergrund ihnen zu radikal erscheinender Forderungen von Arbeiter- und Kleinbürgervertretern nach sozialer Gerechtigkeit mit den alten konservativen Eliten von Adel und Großgrundbesitz verständigt. Nachdem der preußische König im April 1849 die ihm von der Nationalversammlung angebotene deutsche, von ihm als mit dem „Ludergeruch der Revolution“ abgewertete, Kaiserwürde ablehnte und sich die Nationalversammlung danach faktisch auflöste, war die radikal-bürgerliche Revolution trotz einiger weiterer kleinerer Aufstände von Radikal-Demokraten gescheitert. In Folge stabilisierten sich die monarchischen Systeme im Deutschen Bund unter Einbeziehung konservativ-bürgerlicher Kräfte wieder.
Außenpolitisch trat der Deutsche Bund in seiner kurzen revolutionären Phase vor allem durch die Unterstützung der 1848 begonnenen "Schleswig-Holsteinischen Erhebung" in Erscheinung. Das zum Deutschen Bund gehörige Herzogtum Holstein und das nicht zu diesem Bund gehörige Herzogtum Schleswig bildeten seit 1460 „ungedeelt“ eine altertümlich-feudale staatsrechtliche Konstruktion, die seit dem 18. Jahrhundert als Ganzes zum Dänischen Gesamtstaat gehörte. Der nationaldänische Versuch, Schleswig aus dieser Konstellation zu lösen und als integralen Bestandteil dem Königreich Dänemark einzugliedern, löste in der mehrheitlich deutschen Bevölkerung Schleswig-Holsteins eine Erhebung aus, die unter anderem den Anschluss beider Landesteile an ein neues Deutsches Reich zum Ziel hatte. Der Aufstand wurde vom Deutschen Bund und von Preußen unterstützt. Auf Druck von Großbritannien, das den Status Quo favorisierte, schlossen Preußen (1849) und der Deutsche Bund (1850) trotz militärischer Erfolge einen Sonderfrieden mit Dänemark und ließen die Schleswig-Holsteiner in ihrem Kampf allein.
Im frühviktorianischen Großbritannien hatte sich die industrielle Revolution in den 1840er Jahren voll entfaltet. Politische Reformen, die seit den 1830er Jahren breiteren bürgerlichen Schichten Zugang zum Unterhaus gewährten, trugen dazu bei, dass revolutionäre Bewegungen das Königreich anders als den Kontinent kaum betrafen. Die das zur britischen Krone gehörende Irland seit 1845 nach dauerhaften katastrophalen Kartoffelernten heimsuchende Hungersnot wurde zum nationalen Trauma der Insel. Die Weigerung der anglo-irischen Großgrundbesitzer, den Weizenexport zugunsten einer Linderung der Not in der Bevölkerung zu beschränken, führte zu einer erheblichen, die weitere irische Geschichte wesentlich prägenden anti-britischen Verbitterung und zu einer massenhaften Auswanderung. Die meisten Iren, die in diesen Jahren ihre Heimat verließen, zog es in die USA.
Das Land ihrer Hoffnung positionierte sich in den 1840er Jahren als expansive Regionalmacht. Die quasi-göttliche „Offensichtliche Bestimmung“ („Manifest Destiny“) der USA, ihre Grenze bis zum Pazifik (und darüber hinaus) verlegen zu sollen, wurde seit Mitte der 1840er fester Bestandteil der US-Politik. In diesen Zusammenhang passte auch die Aufnahme der sich 1836 faktisch von Mexiko abgelösten Republik Texas in die Union im Jahr 1845. Daraus entwickelte sich der Amerikanisch-Mexikanische Krieg von 1846 bis 1848, der mit dem Sieg der USA endete. Mexiko musste mit Kalifornien, Arizona und anderen Gebieten fast die Hälfte seines Territoriums an die USA abtreten.
1842 erschien Annette von Droste-Hülshoffs Novelle „Die Judenbuche“.
1843 entzückten der dänische Autor Hans Christian Andersen und der Brite Charles Dickens ihr Publikum mit Märchen: Andersen mit „Das hässliche Entlein“, Dickens mit „Eine Weihnachtsgeschichte“. Ein Märchen ganz anderer Art veröffentlichte der deutsche Autor Heinrich Heine im Folgejahr mit seinem bitter-satirischen Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Für Grusel sorgte ab 1845 Edgar Allan Poes Schauergedicht „Der Rabe“.
1840 starb mit Caspar David Friedrich (1776 -1840) einer der bedeutendsten Maler der deutschen Frühromantik. Ein Jahr später starb der 1781 geborene Stadtplaner und Architekt Karl Friedrich Schinkel, der Berlin mit klassizistischen Bauten ein charakteristisches Aussehen gegeben hatte. Nach dem Tod des vor allem wegen seines Zögerns in der Napoleonzeit und wegen seiner Ehe mit der zur nationalen Legende gewordenen Königin Luise bekannten preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770 – 1840) bestieg sein ältester Sohn als Friedrich Wilhelm IV. den Thron. Der sich nach dem mitteldeutschen Städtchen Stendal „Stendhal“ nennende berühmte französische Autor („Rot und Schwarz“) Marie-Henri Beyle (59) starb 1842 in Paris. Sein im selben Jahr gestorbener deutscher Kollege Clemens Brentano wurde 63 Jahre alt. 1847 starb der 1809 in Hamburg geborene deutsche Komponist Felix Mendelsohn Bartholdy in Leipzig. Die 1847 in Meersburg 51-jährig verstorbene Dichterin Annette von Droste-Hülshoff war eine der bedeutendsten Frauen der deutschen Literaturgeschichte. Die unrechtmäßige Exekution des 1807 in Köln geborenen Politikers Robert Blum am 9. November 1848 in der Wiener Brigittenau symbolisierte das Scheitern der deutschen Revolution von 1848. Als Symbol für das Scheitern der ungarischen Revolution wurde der Schlachtfeldtod des jungen Dichters Sándor Petőfi (1823 – 1849) zur Ikone der ungarischen Nationalbewegung.
<< Politik 1830-1839   |   Politik 1850-1859 >>