1850
1851
1852
1853
1854
1855
1856
1857
1858
1859
Politik 1850-1859 – Frankreich war an allen
Konflikten beteiligt
Nachdem in Europa die zum größten Teil
monarchistisch-restaurativ ausgerichtete Staatenwelt
der Nach-Napoleonzeit durch starke, aber im Ergebnis
letztlich zumeist gescheiterten Reform- und
Revolutionsbewegungen in den 1840er Jahren
erschüttert worden war, erlebte der Kontinent im
Folgejahrzehnt eine Phase der Reaktion. In der
Tendenz sicherten sich die alten Eliten von Thron
und Adel durch einige politische
Reform-Zugeständnisse und durch die Schaffung
wirtschaftsfreundlicher Verhältnisse die
Unterstützung der besitzenden Schichten des
Bürgertums. Forderungen der in Folge der
Industrialisierung zunehmend verstädternden
Unterschichten nach Partizipation an politischen
Entscheidungsprozessen und an Verbesserung der
sozialen Lage scheiterten in der Regel an der Macht
des Bündnisses von Staatsmacht und
konservativ-liberalem Geldbürgertum.
Eine sehr spezielle Form der Reaktion erlebte das
nach zwei Revolutionen (1830 und 1848) kurzfristig
wieder zur Staatsform der Republik zurückgekehrte
Frankreich. Der 1848 zum Präsidenten der II.
Republik gewählte Neffe Napoleons I., Louis Napoleon
Bonaparte, wurde 1852 durch Volksabstimmung zum
erblichen Kaiser gemacht. Als Kaiser Napoleon III.
versuchte er an die „Gloire“ seines Onkels
anzuknüpfen. Seine Großmachtansprüche wurden unter
anderem durch das französische Engagement zugunsten
der italienischen Einigungsbewegung („Risorgimento“)
deutlich. Dabei scheute Napoleon auch nicht vor
direkter militärischer Intervention zurück: In der
Schlacht von Solferino 1859 schlugen verbündete
französisch-piemontesische Truppen das
österreichische Heer. Österreich verlor daraufhin
die Lombardei.
Auch am wichtigsten militärischen Konflikt des
Jahrzehnts war Frankreich beteiligt. Besorgt über
die aggressive Expansion des russischen Reichs, das
sich anschickte, das vom Niedergang gezeichnete
Osmanische Reich als Hegemonialmacht auf den Balkan
abzulösen, schlossen sich Frankreich und
Großbritannien zur Stützung der Hohen Pforte
zusammen. Nach der Besetzung der osmanischen
Donaufürstentümer Moldau und Walachei kam es zum für
Russland mit einer Niederlage endenden Krimkrieg
(1853 – 1856).
Der Krimkrieg ist der letzte europäische Krieg, an
dem sich Großbritannien bis zum Ausbruch des Ersten
Weltkriegs beteiligte. Nach 1856 zog sich das
viktorianische Inselkönigreich, das 1851 in London
mit der 1. Weltausstellung in eindrucksvoller Weise
seine wirtschaftliche Spitzenposition demonstriert
hatte, in die „Splendid Isolation“ zurück und
verfolgte verstärkt überseeische Interessen. In
Indien gab sie ihr bis dahin bevorzugtes
Kolonial-Prinzip des „Indirect Rule“ auf und löste
1858 die private East India Company bei der
Herrschaft über den südasiatischen Subkontinent
endgültig ab. Gleichzeitig wurde durch die
Niederschlagung des „Großen Aufstands“ („Sepoy-Aufstand“)
(1857 – 1859) die britische Macht in Indien
gesichert. Auch in Birma und China setzte
Großbritannien seine Interessen nachdrücklich mit
Gewalt durch.
China wurde durch „Ungleiche Verträge“ (Tientsin,
1858) mit Großbritannien und anderen sich erhebliche
Privilegien sichernden europäischen Mächten zur
Halbkolonie. Ein ähnliches Schicksal schien auch
Japan bevorzustehen. Das sich seit Anfang des 17.
Jahrhunderts von der Außenwelt fast völlig
abgeschottete Feudal-Reich der Edo-Zeit war 1853
durch ein US-Flottengeschwader (Commander Perry)
gezwungen worden, seine Häfen dem Welthandel zu
öffnen.
Die USA hatten in den 1850er Jahren die „Frontier“
bis an den Pazifischen Ozean verlegen können und
waren vor allem mit Fragen der Erschließung des
riesigen Landes und der „Befriedung“ der
indianischen Bevölkerung beschäftigt. Es kamen als
Folge von Hungerkatastrophen und nach der
Niederschlagung der Revolutionen von 1848/49
vermehrt Glückssucher und mit den politischen
Verhältnissen in Europa unzufriedene Menschen als
Einwanderer in die USA. Das schwierigste
innenpolitische Problem stellte die Sklavenfrage
dar, die die US-Gesellschaft zunehmend entzweite.
Während den amerikanischen politischen Verhältnissen
in Europa in den 1850er Jahren üblicherweise nur
wenig Bedeutung zugemessen wurde, hatte eine 1857 in
den USA durch Spekulationen ausgelöste Bankenkrise
globale Auswirkungen. Die Krise entwickelte sich zur
ersten Weltwirtschaftskrise und wurde erst 1859
beigelegt.
Die als loser Staatenbund „Deutscher Bund“ in über
souveränen 40 Mitgliedsstaaten zersplitterte
politische Landschaft Deutschlands war vom Gegensatz
zwischen Preußen und Österreich bestimmt. Das
Kaisertum Österreich galt am Anfang des Jahrzehnts
in diesem Konflikt noch als überlegene Partei. 1850
konnte Wien in der „Punktation von Olmütz“ Preußen
zwingen, auf die Verfolgung seiner auf preußische
Hegemonie im Deutschen Bund abzielende
„kleindeutsche Unionspolitik“ zu verzichten.
Spätestens nach der Schlacht von Solferino 1859
hatten sich die Gewichtungen aber zunehmend
zugunsten Preußens verschoben.
Die sich seit der Napoleonzeit formierende deutsche
Nationalbewegung war in der Frage uneins, wie das
angestrebte Nationalreich gestaltet werden sollte.
Einig waren sich aber die meisten Nationalbewegten
in ihrer Unterstützung für die 1848 begonnene
„Schleswig-Holsteinische Erhebung". Die
schleswig-holsteinische Rebellen empörten sich gegen
den nationaldänischen Versuch, die mehrheitlich von
Deutschen bewohnten nordelbischen Herzogtümer, die
in einem komplizierten Real- und
Personalunions-Konstrukt miteinander und mit der
dänischen Krone verbunden waren, verfassungsmäßig
enger an Dänemark zu binden. Preußen und der die
nach Unabhängigkeit innerhalb des Deutschen Bundes
strebenden Schleswig-Holsteiner militärisch
ebenfalls unterstützende Deutsche Bund zogen sich
auf britischen Druck 1850 aus dem Krieg zurück. Die
allein weiter kämpfenden Schleswig-Holsteiner wurden
24./25.Juli 1850 in der Schlacht bei Idstedt
vernichtend geschlagen. 1852 wurde durch das
Londoner Protokoll der Status Quo in
Schleswig-Holstein wiederhergestellt.
Der US-Autor Nathaniel Hawthorne veröffentlichte
1850 mit dem Roman „Der scharlachrote Buchstabe“
eines der wichtigsten Belletristik-Werke der
amerikanischen Literaturgeschichte. Mit „Onkel Toms
Hütte“ (1851) schuf Hawthornes Landsmännin Harriet
Beecher-Stowe nicht nur einen Longseller, sondern
auch ein für die damalige Sklaven-Kontroverse in den
USA wesentliches Pamphlet. Der im selben Jahr
erschienene von Herman Melville geschriebene Roman „Moby
Dick“, heute ein Standardwerk der Weltliteratur,
hatte zunächst kaum Erfolg bei Kritik und Publikum.
Mit dem 1859 erschienenen humorvollen
autobiographischen Roman „Ut de Franzosentid“ sorgte
der mecklenburgische Schriftsteller Fritz Reuter für
eine gewisse Renaissance des Plattdeutschen in der
Literatur. Zwei Jahre vorher hatte der Franzose
Gustave Flaubert mit dem Ehebruchs-Roman „Madame
Bovary“ einen die Auflage fördernden Sittenskandal
ausgelöst.
Mit nur 51 Jahren starb der Autor der „Göttlichen
Komödie“, der französische Schriftsteller Honoré de
Balzac, 1850 in Paris. Der deutsche Komponist von
Erfolgs-Opern wie „Zar und Zimmermann“, Albert
Lortzing (1801 -1851), starb ähnlich jung wie
Balzac. Mit dem 1775 geborenen William Turner
verschied 1851 einer der größten britischen Maler.
Im Jahr darauf wurden der deutsche „Turnvater“
Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852), der englische
Sieger der Schlacht von Waterloo (1815), Arthur
Wellesley, 1. Herzog von Wellington (1769 – 1852),
und der russische Schriftsteller Nikolai Gogol („Der
Revisor“) zu Grabe getragen. 1855 starb der dänische
Begründer der Existenzphilosophie Søren Kierkegaard
(1813 – 1855) in seiner Geburtsstadt Kopenhagen. In
seiner Pariser „Matratzengruft“ beendete 1856 der
deutsche Dichter Heinrich Heine sein 58 Jahre
dauerndes Leben. Der als „zweiter Kolumbus“
gefeierte preußische Naturforscher Alexander von
Humboldt (1769 – 1859) wirkte sieben Jahrzehnte als
Wissenschaftler. Mit dem ehemaligen Staatsmann Fürst
Klemens von Metternich (86) starb im selben Jahr
eine bei vielen Demokraten verhasste österreichische
Symbolfigur der Restaurationszeit.
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