Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl vor einer zu
schnellen Wirtschafts- und Währungsunion gewarnt. Sie
wurden jedoch nicht erhört.
Zunächst aber begann das Jahr noch vergleichsweise
„harmlos“. Der sogenannte „Runde Tisch“ in der DDR hatte
eine Große Koalition der Vernunft beschlossen, die bis
zu den Neuwahlen Bestand haben sollte. Noch im Januar
waren die Waffenkammern des Ministeriums für
Staatssicherheit geräumt worden und der Ministerrat der
DDR hatte beschlossen, dass vorerst kein
Verfassungsschutz aufgebaut werden sollte.
In der Ost-Berliner Normannenstraße im Stadtbezirk
Lichtenberg, wo die Stasi ihren zentralen Sitz hatte,
gab es eine Demonstration, die sich rasch zu einer
Besetzung des Gebäudekomplexes entwickelte. In die
Geschichte ging dieses Ereignis als „Erstürmung der
Stasi-Zentrale“ ein. Als die Bürger die Zentrale
besetzten, glich es tatsächlich einer Erstürmung.
Hintergrund der Aktion war vor allem die weitere
Vernichtung der Geheimdienstakten zu verhindern, die
schon bald nach dem Mauerfall im November des Vorjahres
begonnen hatte. An diesem 15. Januar 1990 war mit der
Besetzung der Stasi-Zentrale und die Einnahme der
Stasi-Verwaltungen auch in anderen Städten des Landes
das Ende der Staatssicherheit besiegelt worden. Zu der
Kundgebung vor der Stasi-Zentrale hatte die
Bürgerbewegung „Neues Forum“ aufgerufen. Dem Ruf waren
Tausende gefolgt und aus der Kundgebung wurde eine
Aktion, die das Ende des gefürchteten Geheimdienstes
herbeiführte. Wie gesagt, die Ereignisse überschlugen
sich.
Die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), die am
7. Oktober 1989, wenige Tage vor dem Mauerfall, in
Schwante bei Berlin gegründet worden war, hatte sich am
12. Januar 1990 in SPD umbenannt und im September
desselben Jahres kam es zur Vereinigung mit der SPD in
den alten Bundesländern. Die Partei, die in der
Wendezeit entstanden war, hatte nicht viel Zeit,
Eigenständigkeit zu entwickeln. Alles ging zu schnell.
Alle Städte des Landes, das noch immer DDR hieß,
entwickeln eine ungeahnte Emsigkeit im „Ausmisten“. Zum
Beispiel hatte die Erfurter SED-Bezirkszeitung „Das
Volk“ sich von der Partei losgesagt. Sie erschien ab dem
15. Januar als unabhängige Zeitung und hieß nun
„Thüringer Allgemeine“.
Derweil wurde die Mauer Stück für Stück weiter
abgetragen. Und weil die Mauerteile historisch wertvoll
waren, wurden sie von der Außenhandelsfirma „Limex-Bau
Export – Import“ verkauft.
Ebenfalls noch im Januar hatte die SED-Genossen Egon
Krenz aus ihrer Partei ausgeschlossen. Krenz, der seit
dem 17. Oktober 1989 als Nachfolger Erich Honeckers
SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender der DDR
für sieben Wochen gewesen war, hatte sich im Mai 1989
als Leiter der Zentralen Wahlkommission für die
Wahlfälschungen vor den Karren der einstigen Regierung
spannen lassen und war nach dem Mauerfall wegen
Wahlfälschung zur Verantwortung gezogen worden. Außerdem
hatte sich Krenz in Sachen Mauerschützen hervorgetan,
weswegen er später zu sechseinhalb Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Aber noch musste er
mit dem Parteiausschluss zurechtkommen.
Derweil wurde in der DDR volle Gewerbefreiheit gewährt.
Das bedeutete unter anderem, dass sich nach einer
Joint-Venture-Verordnung Nicht-DDR-Bürger zu 49 Prozent
an DDR-Unternehmen beteiligen konnten.
Die für den 6. Juni anberaumten Volkskammer-Wahlen waren
aufgrund einer Regierungskrise durch den Austritt von (DDR-)CDU-Ministern
auf den 18. März vorverlegt worden.
Nicht nur in der Bevölkerung waren schon Diskussionen
über ein wiedervereinigtes Deutschland laut geworden.
Und sie wurden immer intensiver geführt. Zudem hatte
Ministerpräsident Hans Modrow den Plan „Für Deutschland,
einig Vaterland“ veröffentlicht. Auch Bundeskanzler
Helmut Kohl hieb in dieselbe Kerbe. Er hatte im Februar
schon eine Währungsunion als Ziel angekündigt. Das waren
keine Pläne, die für eine schrittweise Veränderung
sprachen. Die sozialistische Planwirtschaft stürzte im
Laufe des Jahres durch den Staatsvertrag übergangslos in
die Marktwirtschaft, der die DDR wirtschaftlich
überhaupt nicht gewachsen war.
Mit der Währungsunion am 1. Juli schien für die meisten
DDR-Bürger der erste „richtige“ Schritt getan. Das
Bargeld und sämtliche Spareinlagen wurden von Ostmark in
die „harte“ und ersehnte DM umgetauscht. Die Ära der
sogenannten Alu-Chips, wie die DDR-Mark abfällig auch
bezeichnet wurde, war endgültig vorbei. Das Ost-Geld
wurde nach klaren Regeln umgewandelt. Bürger bis zu 60
Jahren konnten bis 4.000 Ostmark 1:1 umtauschen. Wer
mehr hatte, erhielt die Hälfte des eigenen Guthabens in
DM. Das gab bei vielen Menschen erneut Unzufriedenheit.
Schon im April waren in Ost-Berlin Hunderttausende auf
die Straße gegangen, um gegen Sozialabbau und den von
der Deutschen Bundesbank vorgeschlagenen Umtauschkurs
von zwei DDR-Mark zu einer DM zu demonstrieren.
Eine wirtschaftliche Veränderung war die Gründung der
Treuhand und die Umwandlung der Volkseigenen Betriebe
(VEB) in Kapitalgesellschaften. Das Haus der
Elektroindustrie am Berliner Alexanderplatz wurde der
Hauptsitz der Treuhandanstalt. Ihre Aufgabe war es, die
Betriebe nach den Grundsätzen der Sozialen
Marktwirtschaft zu privatisieren. Auch sollte die
„Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen“
gesichert werden. Wenn nichts mehr möglich war, sollten
die betreffenden Betriebe stillgelegt werden. Dabei gab
es nicht selten Fälle von Fördermittelmissbrauch und
Wirtschaftskriminalität.
Auf seiner letzten Sitzung am 12. März hatte der Runde
Tisch einen Entwurf zu einer neuen Verfassung der DDR
verabschiedet. Am 18. März wurden dann die ersten freien
Wahlen zur Volkskammer ausgetragen, bei denen die
„Allianz für Deutschland“ ein überraschend hohes
Wahlergebnis erzielte. Die Allianz für Deutschland war
ein Wahlbündnis, das sich am 5. Februar 1990
zusammenschloss und dem die ehemaligen Blockparteien der
DDR Christlich-Demokratisch Union (CDU-Ost) und die
neugegründeten Parteien Deutsche Soziale Union (DSU) und
Demokratischer Aufbruch (DA) angehörten. Zur Präsidentin
der Volkskammer war Sabine Bergmann-Pohl gewählt worden.
Von der neugewählten Volkskammer wurde der (Ost-)CDU-Politiker
Lothar de Maizière zum Ministerpräsidenten der DDR
gewählt. Er bildete eine große Koalition aus CDU, DSU,
Demokratischer Aufbruch, SPD und den Liberalen. Maizière
hatte sich in seiner Regierungserklärung zur deutschen
Einheit bekannt. Damit sprach er vielen DDR-Bürgern aus
dem Herzen. Allerdings gab es ebenso viele DDR-Bürger,
die nicht an der Einheit interessiert waren. Doch
letztendlich konnten sich diese Bürger nicht
durchsetzen, wie man weiß.
Bevor die Einheit kam, waren die
Zwei-plus-Vier-Verhandlungen notwendig, die dann zum
Staatsvertrag (Zwei-plus-Vier-Vertrag) führten.
Geschlossen wurde der Vertrag zwischen der
Bundesrepublik Deutschland, der DDR sowie Frankreich,
der Sowjetunion, Großbritannien und den USA. Der Vertrag
wurde am 12. September 1990 in Moskau unterschrieben,
womit der Weg zur Wiedervereinigung beider deutscher
Staaten frei war.
Eile war geboten, obwohl ein sanftes Zusammenwachsen
besser gewesen wäre. In den Monaten von Oktober 1989 bis
Januar 1990 waren mehr als 300.000 Menschen in die
Bundesrepublik übergesiedelt. Diese Abwanderung hätte
verheerende Folgen für den Osten Deutschlands gehabt.
Die Politik musste reagieren, auch wenn gerade von den
Wirtschaftsexperten Warnungen über Warnungen kamen.
Kaum war die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in
Kraft getreten, folgten im Juli die Gespräche beider
Regierungen über den Einigungsvertrag. Am 23. August
hatte die Volkskammer den Beitritt der DDR zum
Geltungsbereich des Grundgesetzes erklärt und am 31.
August kam er zur Unterzeichnung des Einigungsvertrages,
der am 20. September vom Bundestag und von der
Volkskammer verabschiedet wurde.
Am 3. Oktober 1990 war im Berliner Reichstagsgebäude der
erweiterte gesamtdeutsche Bundestag zu seiner ersten
Sitzung zusammengetreten. Es gab wieder ein vereintes
Deutschland.
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