DDR 1972 – Die DDR etablierte sich auf
internationalem Parkett
Die DDR stand nach dem Machtwechsel im Jahr 1971
inzwischen als gefestigter Staat im sozialistischen
Staatengefüge da und hatte sich auch international
etabliert. Es gab
Veränderungen, die zum
gutnachbarlichen Verhältnis beispielsweise mit der CSSR
weiter beitrugen. Für Reisen in die Tschechoslowakei
benötigten DDR-Bürger nur noch den Personalausweis.
Ansonsten herrschte Pass- und Visafreiheit. Mit Polen
war dies ebenfalls beschlossen worden. Immerhin war das
ein kleiner Schritt in Richtung Reisefreiheit,
wenngleich es nur in Richtung Osten möglich war. Doch
das nutzten die DDR-Bürger gern und ausgiebig.
Kulturell wurde der Bevölkerung ebenfalls stetig mehr
geboten. Aus dem Berliner Friedrichstadtpalast wurde im
Deutschen Fernsehfunk die erste Sendung von „Ein Kessel
Buntes“ gesendet, die sich zu einer
Unterhaltungs-Kult-Sendung entwickelte und sehr beliebt
wurde, zumal die Zuschauer immer auch mit dem einen oder
anderen Gast aus dem westlichen Ausland überrascht
wurden. Übrigens erfuhr der Deutsche Fernsehfunk kurz
nach der ersten Sendung von „Ein Kessel Buntes“ eine
Namensänderung. Ab dem 11. Februar hieß er nur noch
„Fernsehen der DDR“. Und im August flimmerte im 1.
Programm des Fernsehens der DDR die erste Farbsendung
über den Bildschirm.
Die DDR strahlte immer mehr politisches
Selbstbewusstsein aus. Dazu gehörte es auch, dass das ZK
der SED, der Vorstand des Freien Deutschen
Gewerkschaftsbundes und der Ministerrat zahlreiche
sozialpolitische Verbesserungen für beruftstätige
Mütter, für kinderreiche Familien und für Rentner
beschlossen. Für die Rentner wurde die Mindestrente
angehoben. Außerdem waren für Neubauwohnung teilweise
Mietpreissenkungen beschlossen. Auch in Sachen
Schwangerschaftsabbruch hatte die Volkskammer eine
Fristenlösung verabschiedet, die besagte, dass eine
Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate erlaubt sei.
Dieser Beschluss allerdings wurde zum ersten Mal nicht
einstimmig gefasst. Es gab 14 Abgeordnete, die sich
dagegen aussprachen und acht Enthaltungen. Ein absolutes
Novum in der Geschichte der Volkskammer!
Ein friedliches, gleichberechtigtes nachbarliches
Verhältnis zur Bundesrepublik wurde gleichfalls
vorangetrieben. Im Mai hatte der Staatssekretär Egon
Bahr für die BRD und der Staatssekretär Michael Kohl für
die DDR einen Verkehrsvertrag unterzeichnet. Zudem gab
es erste deutsch-deutsche Gespräche über einen
Grundlagenvertrag. Die offiziellen Verhandlungen
zwischen der DDR und der BRD über einen
Grundlagenvertrag begannen im August 1972. Zudem hatte
der Bundestag der BRD die Ratifizierung der Ostverträge
(auch Grenzverträge) beschlossen, die die
Oder-Neiße-Grenze betrafen.
Im Oktober 1972 hatte die DDR-Regierung dann noch eine
Amnestie für politische und kriminelle Straftäter in
Kraft gesetzt. Es waren rund 32.000 Personen aus den
Gefängnissen entlassen worden. Etwa 2.000 wurden in die
BRD entlassen. Um insgesamt Ordnung ins DDR-Gefüge zu
bekommen, hatte die DDR-Regierung noch ein „Gesetz zur
Regelung von Fragen der Staatsbürgerschaft“ erlassen.
Aufgrund dieses neuen Gesetzes wurden Personen, die vor
dem 1. Januar 1972 die DDR verlassen hatten, aus der
DDR-Staatsbürgerschaft entlassen.
Als Folge des visafreien Reiseverkehrs zwischen der DDR
und Polen wurde der Geld-Umtausch für Besucher aus Polen
auf nur noch 200 Mark festgelegt. Damit sollte
Großeinkäufen vorgebeugt werden, die von den polnischen
Besucher getätigt wurden.
Für die DDR gab es im Weihnachtsmonat noch ein
politisches Geschenk: Die Schweiz erkannte die Existenz
der DDR als souveränen Staat an.
Flugzeugkatastrophe in der DDR 1972
Alle Ereignisse in der DDR 1972 wurden von einer
dramatischen Flugzeugkatastrophe im August überschattet.
Nach dem Start vom Flughafen Berlin-Schönefeld war eine Iljuschin IL-62 (DM-SEA) der DDR-Fluggesellschaft
Interflug über Königs Wusterhausen abgestürzt. Bei dem
Unglück waren alle 148 Passagiere und die acht
Besatzungsmitglieder ums Leben gekommen.
Die Olympischen Sommerspiele in München, die vom 26.
August bis zum 11. September stattfanden, waren
ebenfalls von einer durch eine Katastrophe in die
Schlagzeilen geraten. Ein folgenschweres Attentat, bei
dem acht Mitglieder der palästinensischen
Terrororganisation „Schwarzer September“ in das
olympische Dorf eindrangen, um in das Appartement der
israelischen Olympiamannschaft zu gelangen, erzwang eine
Unterbrechung von einem Tag, dann hatte IOC-Präsident
Avery Brundage die Spiele mit dem Satz: „The games must
go on!“ fortführen lassen. Insgesamt waren in München
bei der Geiselnahme und in Fürstenfeldbruck bei dem
Befreiungsversuch 17 Menschen umgekommen, darunter
zahlreiche israelische Sportler. Die Terroristen hatten
die Freilassung von 232 Palästinensern sowie von den
deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike
Meinhof und des japanischen Terroristen Kozo Okamoto aus
israelischen Gefängnissen geFordert. Die Mannschaft der
DDR hatte an den Spielen mit einer Delegation von 299
Sportlern teilgenommen. Insgesamt holte die DDR in 18
Sportarten bei 161 Wettkämpfen 66 Medaillen und belegte
damit den dritten Platz im Medaillenspiegel.
Ebenfalls im Jahr 1972 wurde die DDR in die UNESCO
aufgenommen und sie wurde wenig später auch Mitglied in
der Wirtschaftskommission für Europa der UNO (ECE).
Und zum Ende des Jahres kam es dann noch zur
Unterzeichnung des Grundlagenvertrages zwischen
der BRD
durch Bundesminister Egon Bahr und der
DDR durch
Staatssekretär Michael Kohl. Damit sollte sich nun
endgültig das Verhältnis zwischen beiden deutschen
Staaten entspannen. Mit dem Beginn des
Versöhnungsprozesses blieb der BRD die Anerkennung der
faktischen Teilung Deutschlands.
Und die West-Berliner konnten seit dem
Passierscheinabkommen
1965 erstmals zu Weihnachten in
den Ostteil der Stadt reisen.