DDR Chronik 1962 - Tunnel, Trabi und Intershops
Zu Jahresbeginn zogen die Panzer vom Berliner
Grenzübergang Checkpoint Charlie ab. Wenige Tage später
wurde ein Gesetz zur allgemeinen Wehrpflicht
verabschiedet. Schlagzeilen aber machte vor allem die
Flucht von 28 DDR-Bürgern durch einen Tunnel nach
West-Berlin. Fluchttunnel gab es inzwischen mehrere und
tatsächlich gelangen mehrere Fluchtversuche durch die
Tunnel. Unter anderem war auch der Tunnel am S-Bahnhof
Wollankstraße entdeckt worden, den der
DDR-Verkehrsminister Erwin Kramer öffentlich
„vorstellte“. Angeblich sollten durch den Wollanktunnel
Agenten in die DDR-Hauptstadt eingeschleust werden.
Dieser Tunnel war jedoch kurz vor seiner Fertigstellung
eingestürzt. Von Ost nach West und umgekehrt, das Graben
von Tunneln erschien nun vielen Menschen eine gute
Möglichkeit zu sein, die DDR zu verlassen.
Die Spannungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR
nahmen stetig zu. Auch die
Sowjetunion beteiligte sich
an Störaktien gegen den Westen. In den Luftkorridoren
nach West-Berlin wurden Militärtransporter der
Westalliierten attackiert, es wurden von sowjetischen
Militärmaschinen Stanniolstreifen zur Funk- und
Radarstörung abgeworfen und im März führte die
DDR-Regierung die Visa-Pflicht für Bundesbürger ein,
wenn sie in die DDR reisen wollten. Für die DDR war die
Bundesrepublik Ausland.
Es gab die ersten Grenz-Toten, die beim Versuch, in den
Westen zu gelangen von den DDR-Grenztruppen erschossen
wurden. Wohlwissend, dass sie ihre Leben riskierten,
wollten sich viele Menschen dennoch nicht der
Bevormundung unterordnen. Über derartige
Befindlichkeiten in der Bevölkerung schien die
DDR-Regierung unbeirrt hinwegzugehen. Ihre Art von
Demokratie war ganz offenkundig ein andere.
Es gab seitens der Führung auch „wichtigere“ Dinge zu
bewältigen. Zum Beispiel die prekäre wirtschaftliche
Situation. Zur Devisenbeschaffung gründete man deshalb
zum Ende des Jahres die Intershop-Handelsorganisation.
In den Intershops war das Einkaufen nur ausländischen
Kunden gestattet, die konvertierbare Währung besaßen.
Der Rest der Bevölkerung, der keine Verwandten im Westen
hatte, konnte sich die Nasen an der Tür plattdrücken und
das Ostgeld verfluchen, das schwer verdient und dennoch
kaum etwas wert war. Durch die Intershops erhielt das
Bedürfnis nach Westgeld einen ganz neuen Stellenwert.
Heimlich wurde auch Ostgeld in Westgeld getauscht. Doch
das Tausch-Verhältnis von einer Westmark zu zehn Ostmark
(im besten Fall) war für viele Bürger dennoch nicht
realisierbar. In der
DDR gab es nun alles, was es im
Westen auch gab, aber nur für wenige und nur für
Westgeld. Was für eine
Grundlage zu einem gerechten
Leben im angestrebten Sozialismus!
Bei aller Bemühung, große politische Zusammenhänge zu
begreifen und das Land nicht zu verlassen, so gab es
doch auch stillen Unmut, sogar bei linientreuen Bürgern.
In offiziellen Meldungen der DDR-Führung wurde deutlich
gemacht, dass der Übergang vom Kapitalismus zum
Sozialismus im wesentlichen vollzogen war. Inwieweit die
„Diktatur des Proletariats“ aber einem wirklich
demokratischen Staatsgefüge gleichzusetzen war, blieb
unklar.
Auch wenn Wolf Biermann in Berlin seine Gedichte in der
Akademie der Künste vortragen durfte, so blieb es
dennoch eine risikoreiche Angelegenheit, Kritik an der
Führung zu üben. Selbstkritisch waren die Oberen im Land
kaum. Doch noch erregte der Biermann-Auftritt keinen
Ärger bei der DDR-Führung.
Dafür waren sie stolz auf ihren großen wirtschaftlichen
Erfolg, der ab Dezember 1962 allerdings noch in den
Kinderschuhen steckte: In Zwickau (Sachsen) , im VEB
Sachsenring Automobilwerke hatte die Produktion des
Trabant P 60 begonnen.
Die Autoindustrie kam in der DDR nur sehr langsam voran.
Das änderte sich auch nicht mit dem P 60, der zweiten
Trabant-Variante, dem Nachfolger des P 50, der von
1957/58 bis 1962 gebaut wurde. Beim P 60 gab es nur
kleinere Veränderungen im Vergleich zu seinem Vorgänger.
Die Leistungssteigerung war von 18 PS auf 23 PS
angestiegen und lag damit durchaus im Rahmen dessen, was
für Kleinwagen in jener Zeit üblich war. Äußerlich war
der „neue“ Trabi jedenfalls genau wie das P 50-Modell.
Auch wenn der DDR-Bürger jahrelang auf ein solches Auto
warten musste – die Wartezeiten betrugen bis zu zehn
Jahren – so wurde er dennoch geliebt und gehegt.
Schließlich wurde die „Renn-Pappe“ zu einem
DDR-typischen Kultauto.
<<
DDR 1961
|
DDR
1963
>>