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1899
Mode 1890 bis 1899 -
zugeschnürt ins neue
Jahrhundert
Verglichen mit der Biedermeierzeit und dem sich
anschließenden zweiten Rokoko, war die Mode im
letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts längst nicht
mehr so aufwändig in der Fertigung und im
Materialumfang wie vordem. Die Moderne war schon
deutlich erkennbar in kunstgeschichtlicher wie in
modischer Hinsicht. Doch eines hatte sich nicht
verändert – immer noch spielte das Korsett eine
dominierende Rolle, um die Figur der Damen dem
jeweiligen Schönheitsideal anzupassen. Das Korsett
beherrschte auf einengende Weise den weiblichen
Körper bis zur Strapaze. Das 1890er Jahrzehnt war in
Sachen Korsett noch vorwiegend geprägt von einer
sogenannten geraden Front. Der Körper wurde in eine
starre Haltung gezwungen, frauliche Formen wurden
kaum zur Schau getragen. Innerhalb weniger Jahre
veränderte sich die modische Silhouette. Bis zum
Ende des Jahrhunderts hatte sich die
Sans-Ventre-Linie (ohne Bauch), die S-Form,
durchgesetzt.
Obwohl sich Menschen aus verschiedenen Berufszweigen
– Ärzte, Künstler verschiedener Gattungen und auch
Frauenrechtlerinnen – organisiert darum bemühten,
das einschnürende Kleidungsstück nicht nur zu
lockern, sondern es aus der Unterbekleidung zu
verdammen, hatten sie damit noch wenig Erfolg. Wer
schön sein wollte, der wollte offensichtlich auch
leiden. Und die Tradition des Korsett-Tragens reicht
immerhin bis in die Antike zurück.
Gravierender war da schon die Veränderung der
Rockmode. In der Zeit von 1890 und in den
Folgejahren begann der Rock an Weite zu gewinnen,
erst der ganze Rock, später ab Höhe der Knie.
Rockstützen und andere Reifunterstützungen, die die
Röcke und Kleider ab der Taille sofort in eine weit
fallende Form brachten, begannen merklich der
Vergangenheit anzugehören. Die glatt fallende
Rockschnitte oder auch die glockig geschnittenen
Röcke waren auf den ersten Blick an Taille und Hüfte
leicht anliegend. Der Trend ging bis zum Ende des
Jahrzehnts immer mehr zur Wespentaille, so dass die
Damen aussahen wie eine „Sanduhr“. Tatsächlich gab
man dieser trichterförmigen Silhouette diesen Namen,
der die Sans-Ventre-Linie sehr passend beschrieb.
Anfangs lagen die Ärmel der Blusen und
Kleideroberteile noch eng an. Sie wurden mit jedem
Jahr auffälliger, zunächst mit ein wenig mehr Breite
an der Schulterpartie. Die Manschetten lagen eng am
Handgelenk, teilweise bekleideten sie in dieser
armnahen Umhüllung auch den ganzen Unterarm.
Zwischen 1893 und 1896 wurde ein Zitat der
Biedermode wieder lebendig: Die Gigotärmel (aus dem
Französischen: manche à gigot) aus den 1820er bis
1830er Jahren kamen wieder zum Vorschein.
Keulenärmel, Schinkenärmel und sogar Elefantenärmel
waren als Begriffe für diese Formen durchaus
gebräuchlich. Allmählich wurden die Oberärmel sogar
noch üppiger. Sie erreichten eine ballonartige Form.
In der Mitte des Jahrzehnts hatten sie ihr größtes
Ballonausmaß erreicht. In den letzten zwei bis drei
Jahren vor 1900 fand die Mode zu den zierlichen
Puffärmeln zurück, die dann auch, ebenso wie die
ganz eng anliegenden Ärmelformen, die Bekleidung der
Zeit der Jahrhundertwende überdauerten. Im
Zusammenhang mit der bodenlangen Rocklänge hatte die
Zeit wieder eine Mode hervorgebracht, die einen
luxuriösen Status kennzeichnete und die
Klassenunterschiede deutlicher machte als es noch im
Biedermeier durch die lockere Weite der Garderobe
der Fall gewesen war. Wer sich modisch nach dem
neuesten Stand kleiden konnte, war ganz sicher nicht
in der Lage, diverse Arbeiten zu verrichten. Die
Mode sah schmuck aus, war aber einzig und allein
eine Bekleidung zum Zeigen, zum Flanieren und zum
Ausgehen. So angezogen konnte Frau sich sehen lassen
und ihre gesellschaftliche Stellung demonstrieren.
Die Röcke waren zudem immer enger geworden. Aus der
einfach lose fallenden weiten Form entstand
allmählich eine Form, die ihre Weite erst in Höhe
der Knie aufnahm und der Oberrock war im Gegensatz
dazu sehr eng. Ein großer Saum war dann entweder
glockenförmig oder einfach weit schwingend. Sogar
eine kleine Schleppe war noch am hinteren Rockteil
sichtbar. Die Vorderpartie hatte Bodenlänge, erst am
Ende des Jahrzehnts konnte es sein, dass ein wenig
von den Schuhen oder Stiefeletten sichtbar wurde.
Bei sportlichen Aktivitäten gönnten sich die Damen
etwas mehr Rockweite und auch einen bis zwei
Zentimeter weniger Länge am Saum. Diese
Vorwitzigkeit war keine Modevorschrift, sie war eher
den praktischen Gründen geschuldet, die die
Freizeitaktivitäten erforderten.
Bei allen Veränderungen, die hauptsächlich die
Ärmelsilhouette betrafen, änderte sich das Muss
eines Hutes keinesfalls. Frau war nicht vollständig
angezogen, wenn sie nicht mit einem Hut bekleidet
war. Der gehörte ebenso dazu wie der Sonnen- oder
Regenschirm. Auch der war ein unverzichtbares
Accessoire, auf das eine Frau bei der ansonsten
großen Vielfalt von Farben und Materialien nicht
verzichtete.
Die Herrenmode
Was es bei den Frauen in großer Üppigkeit gab,
nämlich eine enorme Bandbreite floraler und
allmählich zum Jugendstil tendierender Muster und
auch Stoffe, die je nach Anlass gewählt wurden –
Seide und Samt für die Abendgarderobe und dezente
Woll- und Baumwollstoffe für den Alltag – das war in
der Männermode eher eine überschaubare Schlichtheit.
Zwar wurden die engen, umständlichen Halsbinden
nicht mehr getragen, die in der Biedermeierzeit in
der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch angesagt
waren, aber ansonsten sah die Herrenbekleidung doch
eher ein wenig einheitlich aus. Jedenfalls die der
besseren Gesellschaft, die als Aushängeschild jener
Zeit auf Bildern überliefert ist. Zu den langen
Hosen, die meistens gestreift waren, trug Mann ein
Sakko, das den Frack im Alltag abgelöst hatte, wobei
Hose und Sakko nicht zwangsläufig dieselbe Farbe
hatten. Auch ein Gehrock mit vorn abgeschnittenen
Schößen wurde getragen. Die obligatorische Weste,
die zur Männermode gehörte, war vornehmlich
einfarbig. Alles war schlichter geworden und die
Bequemlichkeit zeigte sich auch in den veränderten
Kragenformen, die niedriger geworden waren und den
Hals nicht mehr einengten. Es gab Umlegekragen,
Kragen zum Anknöpfen, es gab das steife Vorhemd und
anstelle der Hemdmanschetten wurden steife Röllchen
verwendet, die aus dem Sakkoärmel herausschauten.
Anfangs nur als Bekleidung für den Herrensalon
gedacht, in dem geraucht wurde, setzte sich der
Smoking, der Raucheranzug, auch in der Kleidung
innerhalb der Gesellschaft durch.
Der steife, schwarze, rund geformte Hut – die Melone
– etablierte sich neben dem Zylinder als typische
Kopfbedeckung. Zur schlichten und einfarbigen
Bekleidung lockerte Mann sein Äußeres etwas auf
durch das Tragen einer farbigen Krawatte oder eines
leicht übereinandergeschlagenen Halstuches, Plastron
genannt.
Die Mode der Männer hatte den englischen Stil zum
Vorbild, während die Damenmode ihre Richtlinien aus
Paris bekam.
Kinderbekleidung
Es war üblich, dass die Kinder wie kleine Erwachsene
angezogen wurden. Das änderte sich in den Kreisen
der besseren Gesellschaft erst um 1850. Was zu
Beginn des 17. Jahrhunderts als Bekleidung für die
englischen Seeleute aufkam, wurde im 19. Jahrhundert
zur Knabenbekleidung, die in abgewandelter Form auch
für die Mädchen zur angesagten Sonntagskleidung
wurde – der Matrosenanzug, bzw. das Matrosenkleid.
In den 1890er Jahren bis weit nach der
Jahrhundertwende war dies eine typische
Kindergarderobe. Sie wurde nicht nur in Deutschland
getragen, sondern war auch in Großbritannien und in
Frankreich populär. Die Mischung aus Dunkelblau und
weißem Streifenbesatz erlaubte wenige Variationen.
Was für die Jungen die kurze Matrosenhose war, war
für die Mädchen der Faltenrock. Kinder, die so
ausgestattet waren, gehörten fast ausschließlich den
wohlhabenden Haushalten an. Jedenfalls im 1890er
Jahrzehnt. Die Zeit, sich mehr Gedanken über Mode
für Kinder zu machen, war noch nicht angebrochen.
Vielleicht hielt sich der Matrosenanzug deshalb so
lange.
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