1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899

Mode 1890 bis 1899 - zugeschnürt ins neue Jahrhundert


Verglichen mit der Biedermeierzeit und dem sich anschließenden zweiten Rokoko, war die Mode im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts längst nicht mehr so aufwändig in der Fertigung und im Materialumfang wie vordem. Die Moderne war schon deutlich erkennbar in kunstgeschichtlicher wie in modischer Hinsicht. Doch eines hatte sich nicht verändert – immer noch spielte das Korsett eine dominierende Rolle, um die Figur der Damen dem jeweiligen Schönheitsideal anzupassen. Das Korsett beherrschte auf einengende Weise den weiblichen Körper bis zur Strapaze. Das 1890er Jahrzehnt war in Sachen Korsett noch vorwiegend geprägt von einer sogenannten geraden Front. Der Körper wurde in eine starre Haltung gezwungen, frauliche Formen wurden kaum zur Schau getragen. Innerhalb weniger Jahre veränderte sich die modische Silhouette. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatte sich die Sans-Ventre-Linie (ohne Bauch), die S-Form, durchgesetzt.
Obwohl sich Menschen aus verschiedenen Berufszweigen – Ärzte, Künstler verschiedener Gattungen und auch Frauenrechtlerinnen – organisiert darum bemühten, das einschnürende Kleidungsstück nicht nur zu lockern, sondern es aus der Unterbekleidung zu verdammen, hatten sie damit noch wenig Erfolg. Wer schön sein wollte, der wollte offensichtlich auch leiden. Und die Tradition des Korsett-Tragens reicht immerhin bis in die Antike zurück.
Gravierender war da schon die Veränderung der Rockmode. In der Zeit von 1890 und in den Folgejahren begann der Rock an Weite zu gewinnen, erst der ganze Rock, später ab Höhe der Knie. Rockstützen und andere Reifunterstützungen, die die Röcke und Kleider ab der Taille sofort in eine weit fallende Form brachten, begannen merklich der Vergangenheit anzugehören. Die glatt fallende Rockschnitte oder auch die glockig geschnittenen Röcke waren auf den ersten Blick an Taille und Hüfte leicht anliegend. Der Trend ging bis zum Ende des Jahrzehnts immer mehr zur Wespentaille, so dass die Damen aussahen wie eine „Sanduhr“. Tatsächlich gab man dieser trichterförmigen Silhouette diesen Namen, der die Sans-Ventre-Linie sehr passend beschrieb.
Anfangs lagen die Ärmel der Blusen und Kleideroberteile noch eng an. Sie wurden mit jedem Jahr auffälliger, zunächst mit ein wenig mehr Breite an der Schulterpartie. Die Manschetten lagen eng am Handgelenk, teilweise bekleideten sie in dieser armnahen Umhüllung auch den ganzen Unterarm. Zwischen 1893 und 1896 wurde ein Zitat der Biedermode wieder lebendig: Die Gigotärmel (aus dem Französischen: manche à gigot) aus den 1820er bis 1830er Jahren kamen wieder zum Vorschein. Keulenärmel, Schinkenärmel und sogar Elefantenärmel waren als Begriffe für diese Formen durchaus gebräuchlich. Allmählich wurden die Oberärmel sogar noch üppiger. Sie erreichten eine ballonartige Form. In der Mitte des Jahrzehnts hatten sie ihr größtes Ballonausmaß erreicht. In den letzten zwei bis drei Jahren vor 1900 fand die Mode zu den zierlichen Puffärmeln zurück, die dann auch, ebenso wie die ganz eng anliegenden Ärmelformen, die Bekleidung der Zeit der Jahrhundertwende überdauerten. Im Zusammenhang mit der bodenlangen Rocklänge hatte die Zeit wieder eine Mode hervorgebracht, die einen luxuriösen Status kennzeichnete und die Klassenunterschiede deutlicher machte als es noch im Biedermeier durch die lockere Weite der Garderobe der Fall gewesen war. Wer sich modisch nach dem neuesten Stand kleiden konnte, war ganz sicher nicht in der Lage, diverse Arbeiten zu verrichten. Die Mode sah schmuck aus, war aber einzig und allein eine Bekleidung zum Zeigen, zum Flanieren und zum Ausgehen. So angezogen konnte Frau sich sehen lassen und ihre gesellschaftliche Stellung demonstrieren.
Die Röcke waren zudem immer enger geworden. Aus der einfach lose fallenden weiten Form entstand allmählich eine Form, die ihre Weite erst in Höhe der Knie aufnahm und der Oberrock war im Gegensatz dazu sehr eng. Ein großer Saum war dann entweder glockenförmig oder einfach weit schwingend. Sogar eine kleine Schleppe war noch am hinteren Rockteil sichtbar. Die Vorderpartie hatte Bodenlänge, erst am Ende des Jahrzehnts konnte es sein, dass ein wenig von den Schuhen oder Stiefeletten sichtbar wurde.
Bei sportlichen Aktivitäten gönnten sich die Damen etwas mehr Rockweite und auch einen bis zwei Zentimeter weniger Länge am Saum. Diese Vorwitzigkeit war keine Modevorschrift, sie war eher den praktischen Gründen geschuldet, die die Freizeitaktivitäten erforderten.
Bei allen Veränderungen, die hauptsächlich die Ärmelsilhouette betrafen, änderte sich das Muss eines Hutes keinesfalls. Frau war nicht vollständig angezogen, wenn sie nicht mit einem Hut bekleidet war. Der gehörte ebenso dazu wie der Sonnen- oder Regenschirm. Auch der war ein unverzichtbares Accessoire, auf das eine Frau bei der ansonsten großen Vielfalt von Farben und Materialien nicht verzichtete.

Die Herrenmode
Was es bei den Frauen in großer Üppigkeit gab, nämlich eine enorme Bandbreite floraler und allmählich zum Jugendstil tendierender Muster und auch Stoffe, die je nach Anlass gewählt wurden – Seide und Samt für die Abendgarderobe und dezente Woll- und Baumwollstoffe für den Alltag – das war in der Männermode eher eine überschaubare Schlichtheit. Zwar wurden die engen, umständlichen Halsbinden nicht mehr getragen, die in der Biedermeierzeit in der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch angesagt waren, aber ansonsten sah die Herrenbekleidung doch eher ein wenig einheitlich aus. Jedenfalls die der besseren Gesellschaft, die als Aushängeschild jener Zeit auf Bildern überliefert ist. Zu den langen Hosen, die meistens gestreift waren, trug Mann ein Sakko, das den Frack im Alltag abgelöst hatte, wobei Hose und Sakko nicht zwangsläufig dieselbe Farbe hatten. Auch ein Gehrock mit vorn abgeschnittenen Schößen wurde getragen. Die obligatorische Weste, die zur Männermode gehörte, war vornehmlich einfarbig. Alles war schlichter geworden und die Bequemlichkeit zeigte sich auch in den veränderten Kragenformen, die niedriger geworden waren und den Hals nicht mehr einengten. Es gab Umlegekragen, Kragen zum Anknöpfen, es gab das steife Vorhemd und anstelle der Hemdmanschetten wurden steife Röllchen verwendet, die aus dem Sakkoärmel herausschauten. Anfangs nur als Bekleidung für den Herrensalon gedacht, in dem geraucht wurde, setzte sich der Smoking, der Raucheranzug, auch in der Kleidung innerhalb der Gesellschaft durch.
Der steife, schwarze, rund geformte Hut – die Melone – etablierte sich neben dem Zylinder als typische Kopfbedeckung. Zur schlichten und einfarbigen Bekleidung lockerte Mann sein Äußeres etwas auf durch das Tragen einer farbigen Krawatte oder eines leicht übereinandergeschlagenen Halstuches, Plastron genannt.
Die Mode der Männer hatte den englischen Stil zum Vorbild, während die Damenmode ihre Richtlinien aus Paris bekam.

Kinderbekleidung
Es war üblich, dass die Kinder wie kleine Erwachsene angezogen wurden. Das änderte sich in den Kreisen der besseren Gesellschaft erst um 1850. Was zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Bekleidung für die englischen Seeleute aufkam, wurde im 19. Jahrhundert zur Knabenbekleidung, die in abgewandelter Form auch für die Mädchen zur angesagten Sonntagskleidung wurde – der Matrosenanzug, bzw. das Matrosenkleid. In den 1890er Jahren bis weit nach der Jahrhundertwende war dies eine typische Kindergarderobe. Sie wurde nicht nur in Deutschland getragen, sondern war auch in Großbritannien und in Frankreich populär. Die Mischung aus Dunkelblau und weißem Streifenbesatz erlaubte wenige Variationen. Was für die Jungen die kurze Matrosenhose war, war für die Mädchen der Faltenrock. Kinder, die so ausgestattet waren, gehörten fast ausschließlich den wohlhabenden Haushalten an. Jedenfalls im 1890er Jahrzehnt. Die Zeit, sich mehr Gedanken über Mode für Kinder zu machen, war noch nicht angebrochen. Vielleicht hielt sich der Matrosenanzug deshalb so lange.
<< Mode 1880   |   Mode 1900 >>