Chronik 1820 - Ein Rosenkrieg, die
Blindenschrift, Konservendose und die Antarktis
Nun wurde in Großbritannien der Thronwechsel
legitimiert, der durch die 1811 übernommene
Regentschaft des Prinzen schon begonnen hatte. Georg
III. (1738-1820) starb am 29. Januar und sein Sohn
übernahm als Georg IV. (1762-1830) die Macht
vollends. Es änderte sich im Machtgefüge des
Vereinigten Königreiches nicht viel. Der König Georg
IV. hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die
Tagespolitik. Er war zu jener Zeit, als er den Thron
übernahm höchstwahrscheinlich schon süchtig nach
Laudanum und zudem fettleibig.
Es wurde angenommen,
dass er wie sein Vater an Porphyrie, einer
Stoffwechselkrankheit, litt. Georg IV. lehnte es ab,
seine offizielle Ehefrau, Caroline von Braunschweig
(1768-1821), als Königin anzuerkennen. Er befahl
seinen Botschaftern, dafür zu sorgen, dass es die
anderen europäischen Herrscher ihm gleichtaten.
Durch einen königlichen Erlass wurde Carolines Name
aus der Liturgie der Church of England gestrichen.
In der britischen Öffentlichkeit stießen diese
Maßnahmen auf Ablehnung. Der König, der nebenher
etliche außereheliche Beziehungen eingegangen war,
wollte eigentlich die Scheidung erzwingen. Davon
wurde ihm erfolgreich abgeraten, da es seinem
ohnehin schlechten Ansehen mehr schaden als nützen
würde. Mit einer Abfindung hatte Georg IV. seine
Gemahlin ohnehin schon dazu gebracht gehabt, England
zu verlassen. Die Tochter hatte lange unter seiner
alleinigen Erziehung gestanden. Sie war inzwischen
ein Jahr nach ihrer eigenen Eheschließung gestorben.
Im Sommer 1820 kam Georgs Ehefrau nach
Großbritannien zurück. Um sie auf sauberem Wege
„loszuwerden“, strebte der König eine
Gesetzesvorlage an – der „Pains and Penalties Bill“
– um seiner Frau offiziell die Rechte einer Königin
abzusprechen und auch die Ehe mit ihr zu lösen. Das
Gesetz hatte nach der Anhörung im Oberhaus keinen
Erfolg. Als der König im Folgejahr 1821 in der
Westminster Abbey gekrönt wurde, durfte die Königin
an der Zeremonie nicht teilnehmen. Wenig später
starb sie. Ob sie womöglich wirklich vergiftet
worden war, ist nicht geklärt. So oder so, von einer
feinen englischen Art konnte nicht die Rede sein.
Die Royalisten sorgten auch in Frankreich für
Aufsehen. Der einzige noch Lebende aus dem
Geschlecht der Bourbonen, Charles-Ferdinand de
Bourbon, Herzog von Berry (1778-1820), wurde nach
einem Opernbesuch in Paris am 13. Februar 1820
niedergestochen. Er erlag tags darauf seinen
Verletzungen. Der Attentäter war Pierre Louis Louvel
(1783-1820) gewesen, ein Sattler in königlichen
Diensten und dennoch ein extremer Gegner der
Bourbonen. Er wurde am 7. Juni jenes Jahres für
seine Tat hingerichtet. Doch aus Frankreich ließ
sich auch Gutes berichten. Louis Braille
(1809-1852), der als Kind erblindete und sich nicht
abfinden konnte, dass er seine Wissbegier nicht mit
Lesen befriedigen konnte, ging auf die Blindenschule
von Valentin Haüy (1745-1822), der sich schon länger
damit befasst hatte, sehschwachen und blinden
Kindern Zugang zu Büchern zu verschaffen. Braille
dachte ebenfalls über eine Blindenschrift nach. So
entstand das nach ihm benannte Punktschriftsystem
für Blinde, das heute kurz Braille genannt wird. Mit
guten Augen hingegen war der deutsch-baltische
Kapitän in russischen Diensten, Fabian Gottlieb von
Bellingshausen (1778-1852), ausgestattet. Er war
1819 mit der ersten russischen Expedition in die
Südpolar-Region vom Zaren Alexander I. (1777-1825)
beauftragt worden und umsegelte das antarktische
Festland auf einem noch südlicheren Kurs als es
James Cook (1728-1779) gelungen war. Somit ist
Kapitän von Bellingshausen vermutlich der erste
Mensch, der die Antarktis mit eigenen Augen gesehen
hat.
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Ereignisse & Schlagzeilen
1820
Im Jahre 1820
Der Engländer Peter Durand erfand die Konservendose
und ließ diese patentieren
1. Januar
Putsch in Spanien: Spanien wurde konstitutionelle
Monarchie
27. Januar
Ersten Aufführung der Oper Die Schäferin als
Edeldame von Daniel-François-Esprit Auber an der
Opéra-Comique in Paris
28. Januar
Der russische Käpt'n Fabian Gottlieb von
Bellingshausen sichtet möglicherweise als
zuallererst die Antarktis.
29. Januar
Thronwechsel in England. Auf Georg III. folgte sein
Sohn Georg IV. der schon seit 1811 für dessen
erkrankten Vater als Regent regiert.
13. Februar
Charles-Ferdinand de Bourbon, duc de Berry wurde
nach einem Aufenthalt der Pariser Oper von Pierre
Louis Louvel niedergestochen. Der Straftäter wollte
bewusst den einzigen Lebenden des Geschlechts der
Bourbonen töten. Am folgenden Tag stirbt das Opfer.
15. März
Maine wird 23. Bundesstaat der USA
20. März
Der Missouri-Kompromiss von Henry Clay regulierte
für die kommenden 30 Jahre die Frage der
territorialen Expansion der Leibeigenschaft in den
Vereinigte Staaten.
23. März
In der preußischen Provinz Sachsen wurde das Sport
treiben an Schulen und Hochschulen aus
staatsmännischen Gründen rechtswidrig
8. April
Der Bauer Yorgos Kentrotas fand auf der Ägäis-Insel
Milos bei der Suche nach Baustoffen die Venus von
Milo.
15. Mai
In Wien bendeten die Beratungen zu den Kriterien des
Deutschen Bundes, die in der Wiener Schlussakte
zusammengestellt wurden.
8. Juni
Die Wiener Schlussakte als gleichwertiges zweites
Bundesgrundgesetz nebst der Bundesakte trat in
Kraft.
14. Juni
Erstaufführung der Oper Die Zwillingsbrüder von
Franz Schubert am Schauspielhaus am Kärntnertor in
Wien
Im Juli
Hans Christian Ørsted erkannte in seinen
Experimenten die Ablenkung einer Magnetnadel durch
elektrische Energie.
27. August
Josef Naus und seine beiden Begleiter waren die
ersten Personen auf der Zugspitze. Sie fuhren auf
der Anhöhe Vermessungsaufgaben durch.
19. August
Premiere der Oper Die Zauberharfe von Franz Schubert
am Schauspielhaus in Wien
24. August
In Porto bricht ein Aufruhr von Offizieren aus. Die
Liberale Revolution in Portugal zielt auf die
Wiederkehr des in Brasilien residierenden Königs
Johann VI., die Erschaffung einer konstitutionellen
Monarchie und das Eliminieren im Lande weilender
britischer Militärs ab.
Im Oktober
Joseph Louis Gay-Lussac entdeckt die Unabhängigkeit
der spezifischen Wärme vom Volumen der Gase.
20. Oktober
Der Troppauer Fürstenkongress beginnt, auf dem die
europäischen Großmächte eine Verhaltensregel beim
Aufkeimen republikanischer Ideen in Monarchien
finden wollen. Revoulutionäre Entwicklungen im
Königreich beider Sizilien liessen diese Frage
dringend werden.
Im November
Louis Braille erfindet die Brailleschrift für
Blinde.
20. November
Das Walfangschiff Essex wurde durch einen Pottwal
versenkt; ein reales Modell für die Erzählung Moby
Dick von Herman Melville
Im Dezember
Khartum die Hauptstadt der Republik Sudan wird
gegründet
Blutige Niederschlagung des Indianeraufstandes in
Guatemala
19. Dezember
Beim Troppauer Fürstenkongress übereinkommen sich
Zar Alexander I., Kaiser Franz I. von Österreich
sowohl Preußens Thronfolger Friedrich Wilhelm
aufkommende republikanische Rebellionen in
europäischen Staaten auf Grund Interventionen zu
bekämpfen. Das am Kongress teilnehmende England
protestiert hingegen und unterzeichnet die Aktion
nicht.