Biografien Alan Turing Lebenslauf
Alan Turing - späte Anerkennung
Der spätere Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan
Mathison Turing wurde am
23. Juni 1912 in London
geboren. Seine Mutter Ethel Sara Turing war eine
geborene Stoney, sein Vater war
Julius Mathison Turing,
der als Beamter beim Indian Civil Service angestellt war
und mit seiner Frau in Chatrapur lebte, das damals zu
British-Indien gehörte. Der Wunsch der Eltern, die
Kinder in Großbritannien aufwachsen zu lassen, war der
Grund dafür, dass sie zur Geburt des jüngsten Kindes
nach
London zurückkehrten. Allerdings musste der Vater
schon bald wieder nach
Indien gehen, um seinen
Staatsdienst weiter zu versehen. Die Mutter folgte ihm
im Herbst 1913.
Alan Turing wuchs vier Jahre lang zusammen mit seinem
älteren Bruder John bei einer Pflegefamilie im Seebad
Hastings, unweit von London, auf. Die Eltern, die immer
wieder nach England kamen, besuchten ihre Kinder, so oft
sie konnten. Die Mutter blieb schließlich über einen
längeren Zeitraum in London, um ihre beiden Söhne wieder
zu sich nehmen zu können.
Alan war ein besonders liebenswerter Junge, der geduldig
war im Umgang mit Freunden und Schulkameraden. Seine
auffallende Intelligenz trat früh zutage. Schon auf der
Privatschule, auf die er in St. Leonards-on-the-Sea/Hastings
geschickt worden war, erkannte man seine
außergewöhnliche Begabung. Mit 14 Jahren kam er nach
Dorset, auf die Sherborne School, wo allerdings seine
Leidenschaft zu naturwissenschaftlichen Belangen kaum
Anerkennung fand. Geisteswissenschaften waren gefragt.
Dennoch fiel auch hier seine enorme Begabung auf,
Aufgaben zu lösen, ohne zuvor elementare Kenntnisse
erlangt zu haben.
Es war nicht verwunderlich, dass ihm eines Tages –
Turing war sechzehn Jahre alt – Albert Einsteins
(1879-1955) wissenschaftliche Veröffentlichungen in die
Hände fielen. Er verstand, was Einstein dargelegt hatte
und zog selbständig Schlussfolgerungen daraus.
Der junge Turing, dem in den Bereichen der Wissenschaft
und der Logik kaum jemand etwas vormachen konnte, fiel
mehrfach durch die Prüfungen in den Fächern, die ihn
nicht interessierten. Folgerichtig sank sein
Notendurchschnitt und Turing musste ein College für sein
Studium besuchen, das durchaus nicht seiner Wahl
entsprach. Dennoch konnte Turing in den Jahren von
1931
bis
1934 bei Professor Godfrey Harold Hardy (
1877-
1947)
Mathematik studieren, der in Cambridge einen Lehrstuhl
inne hatte und der zu jener Zeit bereits ein
renommierter Gelehrter war.
Doch auch Turing war dabei, sich bereits einen großen
Namen zu machen. Aus dem liebenswerten Jungen war längst
ein ernsthafter Wissenschaftler geworden, dem fade
Gespräche zuwider waren, der sich aber in streitbaren,
ernsthaften Diskussionen zu verlieren vermochte. Er
kümmerte sich nicht darum, was man seiner skurrilen Art
wegen von ihm dachte, sondern lebte exaltiert,
verachtete Konventionen und bemühte sich auch nur wenig,
seine homosexuelle Neigung zu verbergen, die damals noch
strafrechtliche Verfolgung nach sich zog.
Eine seiner ersten, Aufmerksamkeit in Fachkreisen
erregende Arbeit war die Neuformulierung der Ergebnisse
des österreichisch-amerikanischen Mathematikers und
bedeutenden Logikers des 20.
Jahrhunderts Kurt Gödel
(1906-1978), womit er grundlegend mit zur theoretischen
Informatik beitrug. Die sogenannten Turingmaschinen
halfen, alle mathematischen Probleme, die auch durch
einen Algorithmus ausführbar waren, zu lösen. Turings
Arbeit war populärer und begreifbarer als die zuvor von
Alonzo Church (1903-1995) veröffentlichte, einem
US-amerikanischen Logiker, Philosophen und Begründer der
Theoretischen Informatik, bei dem Turing an der
Princeton University studierte. Zusammen erkannten
Lehrer und Student, die Ebenbürtigkeit des
Lambda-Kalküls und der Turingmaschine, die ein
abstraktes Modell eines Rechners war, der mit den
Operationen LESEN, SCHREIBEN und KOPF BEWEGEN alle
Probleme, die berechenbar waren, zu lösen erlaubte. Hier
ging es mit hochmathematischen Überlegungen weiter, die
auch die Antwort auf nicht berechenbare Fragen enthielt
und zu der Erkenntnis der unentscheidbaren Probleme
führte. Es entstand die Church-Turing-These.
Turing machte 1939 seinen Doktor an der Princeton
University und kehrte dann nach Cambridge zurück, wo er
bei Ludwig Wittgenstein (1889-1951) Vorlesungen
besuchte. Dieser österreichisch-britische Philosoph
referierte über mathematische Grundlagen und war für
Turing ein willkommener Diskussions- und Streitpartner.
Turings Formalismus in der Mathematik stand
Wittgensteins These gegenüber, dass diese Wissenschaft
keine absolute Wahrheit ans Licht zu bringen vermag.
Im selben Jahr war Deutschland intensiv mit den
Vorbereitungen für den
Zweiten Weltkrieg beschäftigt und
Großbritannien stand u. a. vor dem Problem, dass der
Code der Schlüsselmaschine, der sogenannte Enigma-Code,
den die Deutsche Wehrmacht zur Verschlüsselung von
Nachrichten benutzte, nicht zu entschlüsseln war. Die
Enigma-Maschine wurde in Deutschland überall dort
eingesetzt, wo geheime Botschaften kursierten, wozu auch
die Polizei und die diplomatischen Dienste, kurz alles,
was eine kriegsstrategische Bedeutung hatte, gehörten.
Die als unknackbar geltende Schlüsselmaschine hatte
derweil polnische Mathematiker nicht davon abgehalten,
einen Nachbau zu wagen, der dann auch den Briten und
Franzosen vorgestellt wurde.
Die einer Schreibmaschine ähnelnde Maschine enthielt
drei Walzen, deren 26 Stellungen letztendlich 17.576
Möglichkeiten beinhaltete. Was für das britische Militär
noch völlig rätselhaft war, war für die polnischen
Kryptoanalytiker eine Herausforderung, an deren Grenzen
sie erst stießen, als die Enigma erweitert worden war.
Die polnischen Mathematiker waren den Briten jahrelang
voraus mit ihrem Nachbau und mit dem Entschlüsseln
deutscher Wehrmachtsmeldungen. Erst als die Government
Code & Cipher School auf den englischen Landsitz
Bletchley Park verlegt wurde und von nun an „Station X“
hieß, gingen hier britische Mathematiker ans Werk, um in
dieser militärischen Dienststelle mit der Entzifferung
deutscher Nachrichten zu beginnen. Zu ihnen gehörte Alan
Turing, von dem heute eine Skulptur in den
Museums-Räumlichkeiten der Codeknacker-Zentrale
Bletchley Park zu sehen ist. Turing war der Kopf einer
Mannschaft von Dechiffrierungs-Wissenschaftler. Und hier
erwiesen sich sein messerscharfer Verstand und seine
mathematische Genialität als unschätzbar für das
britische Militär. Die Arbeit von Turing, der sich
zusätzlich noch einer Ausbildung in Kryptologie
unterzogen hatte und die seiner Mitstreiter war
schließlich erfolgreich, doch der Weg bis dahin war
enorm steinig und bedurfte unglaublicher Geduld und
Kreativität. Technisch genau darauf einzugehen, ist
einem Laien kaum möglich, aber es wurden allmählich
Fortschritte gemacht und das, obwohl sich die
Erkenntnisse der polnischen Kollegen als hinfällig
erwiesen, nach dem die Anzahl der Walzen im Enigma auf
fünf erhöht worden war.
Die mechanischen Geräte, die die Gruppe um Turing
entwickelt hatte, brachten den gewünschten Erfolg erst,
als der Mathematiker Gordon Welchman (1906-1985) auf
einen brillanten Einfall kam, der die Fehlhypothesen
entscheidend minimierte. Die sogenannte
„Diagonalplatine“ arbeitete man in die „Turing-Bombe“
ein, wie das Entzifferungsgerät genannte wurde und in
dieser verbesserten Form wurden die „Turing-Welchman-Bomben“
das non plus ultra bei der Dechiffrierung. Täglich
wurden nun die neuen Tagesschlüssel der Deutschen
entziffert. Jetzt war der Erfolg grandios. Die „Ultras“,
wie die entschlüsselten Informationen genannt wurden,
lagen zeitlich nur noch einen Tag hinterher.
Doch die Ergebnisse waren immer gefährdet, denn es
fehlte an Original-Enigma-Unterlagen von den Deutschen.
Das war der Grund, warum die Royal Navy gezwungen war,
Schiffe zu kapern, deren geheime Wetterinformationen
ihnen zu entsprechenden Schlüssellisten verhelfen
konnten. Das wiederum war ausgesprochen gefährlich, doch
die deutsche Wehrmacht schöpfte keinen Verdacht. Die
Einnahme mehrerer Wetterschiffe durch die Briten
versetzte das Wissenschaftsteam in die Lage, ab
1941 die
deutschen Funksprüche der Kriegsmarine mit verfolgen zu
können. Im Mai 1941 konnten die „Bismarck“ und einige
ihrer Versorgungsschiffe versenkt werden. Ein Erfolg,
der ausschließlich auf die Arbeit der Bletchley-Park-Kryptologen zurückzuführen war. Nun war
allein das Entschlüsseln nicht mehr das eigentliche
Problem des britischen Militärs, sondern die schier
unüberschaubare Fülle der Nachrichten. Etwa 3.000
Nachrichten täglich galt es, zu bearbeiten und
auszuwerten.
Der Premierminister
Winston Churchill (1874-1965)
besuchte seine „Gänse, die goldene Eier legen – und
nicht schnattern“ und lernte dabei Turing kennen, dessen
Namen er sich merkte. Turing fiel nicht nur durch seine
geniale Arbeit in der Baracke 8 auf, die entscheidend
zur Entschlüsselung sämtlicher deutscher Funksprüche
beitrug, sondern auch durch seine nervöse Art und durch
die Tatsache, dass er in
keiner Weise dem militärischen
Status entsprach. Für den Stab des britischen Militärs
war der Wissenschaftler ein Albtraum, der sich an kein
Protokoll hielt, stattdessen als Sonderling und
Eigenbrötler ungeniert aneckte. Doch man ließ ihm seine
Verrücktheiten durchgehen, war er doch unersetzlich für
den Erfolg der militärischen Aktionen. Näheres dazu
beschrieb sein 1949 geborener Mathematiker-Kollege
Andrew Hodges 1983 in seiner Biographie über den
genialen Mann.
Der kontinuierliche Nachrichtenfluss brach im Februar
1942 abrupt ab, weil die deutsche Kriegsmarine durch
mehr Walzen in der Enigma die Positionen um ein
Vielfaches erhöht hatte. Bletchley Park stand vor einer
Katastrophe. Das Ergebnis war der Verlust zahlreicher
U-Boote der Alliierten, die nicht im selben Maße ersetzt
werden konnten. Derweil hatten die Amerikaner mit ihren
„Entschlüsselungsbomben“ Erfolg und konnten den Code der
Japaner knacken. Der US-Präsident Franklin D. Roosevelt
(1882-1945) und der britische Premier Winston Churchill
entschlossen sich zur Zusammenarbeit und so wurde jeder
neu geknackte Tagesschlüssel untereinander
weitergegeben.
Turing reiste Ende des Jahres 1942 in die USA, um die
amerikanischen Kollegen in New York über die britischen
Arbeitspraktiken zu informieren. Nach einem halben Jahr
kehrte Turing nach Bletchley Park zurück. Die
Teamkollegen in der Baracke 8 kamen indes sehr gut ohne
den genialen Außenseiter zurecht. Turing machte sich nun
als Berater nützlich. Ungeklärt ist, ob die USA-Reise
eine elegante Lösung darstellen sollte, um den
Einzelgänger loszuwerden. In Bletchley Park gingen die
Entwicklungen weiter und letztendlich führte 1943 eine
große Materialschlacht im Atlantischen Ozean zum Sieg
der Alliierten. Die deutsche Wehrmacht hatte noch immer
keinen Verdacht geschöpft und vermutete Spionage in den
eigenen Reihen.
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, wurde der
Bletchley Park aufgelöst. Unterlagen wurden vernichtet,
die Entschlüsselungsmaschinen wurde ebenfalls zerstört
und die etwa 9.000 Mitarbeiter, die alle Großes
geleistet hatten, wurden entlassen. Turing wurde mit dem
britischen Verdienstorden, dem Officer of the Order of
the British Empire, geehrt, der einen „Ehrenplatz“ in
seiner Werkzeugkiste bekam. Seine Arbeit als Codeknacker
war lange Zeit ein streng gehütetes Geheimnis, von dem
man erst in den
1970er-Jahren erfuhr.
Seine großen wissenschaftlichen Ziele verfolgte der
Mathematiker weiterhin. Er ging an das National Physical
Laboratory und arbeitete an der Konstruktion des
Computers ACE (Automatic Computing Engine), einem der
ersten britischen Rechner. Mit den Grundlagen hatte er
sich ja bereits in den 1930er Jahren befasst, als er
seine Turingmaschine entwickelt hatte.
Turing ging
1948 nach Manchester, um an der dortigen
Universität an der Programmierung des „Manchester Mark
1“ zu arbeiten. Auch an biologisch-mathematischen
Problemen forschte er und 1952 veröffentlichte er dazu
eine bedeutende Arbeit („The Chemical Basis of
Morphogenesis“). Hierin wird der nach ihm benannte
Turing-Mechanismus behandelt, der noch heute
Berücksichtigung findet, wenn es um
Strukturbildungstheorien in chemischen und biologischen
Fragen geht. Seine weiteren Arbeiten blieben bis zum
Beginn der 1990er Jahre unbekannt. Erst dann wurden sie
veröffentlicht. Turing entwickelte auch die ersten
Schachcomputer.
1952 kam Turing durch unglückliche Umstände und einen
Einbruch in sein Haus in polizeilichen Gewahrsam. Seine
homosexuellen Kontakte reichten zu jener Zeit aus, um
ihn strafrechtlich zu verfolgen. Ihm wurde eine
Chemotherapie als Alternative zu einer Haftstrafe in
Aussicht gestellt. Turing wollte nicht ins Gefängnis.
Doch die Therapie führte schließlich dazu, dass sich
Turing am
7. Juni 1954 selbst das Leben nahm. Man fand
ihn tags darauf tot in seinem Haus.
Seine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Informatik
erfährt heutzutage eine ehrenvolle Würdigung. Auch als
Person wird Turing nicht mehr verschwiegen. Das
Jahr
2012 ist als Jubiläumsjahr seines einhundertsten
Geburtstages Anlass geworden, ihn weltweit zu ehren und
seiner großen Leistungen entsprechend zu gedenken.