Geschichte des Islams
Die fast 1400-jährige Geschichte des Islam
(„Unterwerfung unter Gott“) ist durch eine dauernde
Ausbreitung dieser heute etwa 1,5 Milliarden
Gläubige umfassenden Religion gekennzeichnet.
Insbesondere die Völker in den Ländern Vorder- und
Mittelasiens, Nord- und Mittelafrikas, des indischen
Subkontinents und Indonesiens weisen islamische
Mehrheiten oder doch zumindest erhebliche islamische
Bevölkerungsanteile auf.
Der Ursprung dieser neben
Christentum und
Judentum
wichtigsten monotheistischen Weltreligion wurde im
7. Jahrhundert in Mekka, heute eine der größten
Städte
Saudi-Arabiens, begründet. Der um 570 in
Mekka geborene
Mohammed gehörte zu einem verarmten
Clan (Haschemiten) der im Mekka tonangebenden
Araber-Stammesgruppe der Quraisch (Koreischiten).
Ansehen und Macht sowie Wohlstand der Koreischiten
hingen eng mit ihrer Kontrolle über die Kaaba
zusammen. Die Kaaba, ein quaderförmiges Gebäude,
wurde in vorislamischer Zeit als Heiligtum der in
Südwestarabien lebenden Araber-Stämme verehrt. In
der Kaaba wurde heidnischen Gottheiten Opfer
gebracht, von denen auch die Koreischiten als
Beschützer der Kaaba einen Anteil erhielten.
Mohammed, der durch die Heirat mit der reichen,
wesentlich älteren Witwe Chadidscha im Jahr 595 zum
wohlhabenden Kaufmann geworden war, wurde nach
islamischen Glauben von seinem 40. Lebensjahr an bis
zu seinem Tod im Jahr 632 das Wort Gottes („Allah“)
in Mekka und später auch in Medina offenbart. Die
Offenbarungen erfolgten in „Suren“ genannten 114
Abschnitten.
Zunächst berichtete Mohammed nur engen Angehörigen
von seinen Visionen, nach denen er der letzte und
wichtigste einer langen Reihe von den Islam
vorbereitenden Propheten gewesen sein sollte.
Ehefrau Chadidscha war seine erste Anhängerin. In
den nächsten Jahren sammelten sich immer mehr
Mekkaner um Mohammed als Muslime („Die, sich Gott
unterwerfen“). Das Hauptcredo der neuen Religion,
dass es nur einen einzigen Gott gebe, stand im
Widerspruch zur für die Koreischiten lukrativen
Vielgöttererei. Es kam zu Konflikten zwischen
Muslimen und Koreischiten, die 622 zur Hedschra, der
Auswanderung der Muslime nach Yathrib (heute:
Medina), führte. In dem von inneren Streitereien
erschütterten Stadtstaat Medina gelang es Mohammed,
der von den Bewohnern als Schiedsrichter gerufen
wurde, nicht nur die Konflikte zu bereinigen,
sondern auch sich als politischer Kopf in Medina zu
profilieren. Mohammed bekehrte die Mehrheit der
Medinenser zum Islam und errichtete einen
Gottesstaat der islamischen Gemeinschaft („Umma“).
Die jüdische Gemeinde in Medina, die Mohammed als
Monotheisten zunächst wohlwollend beobachtet hatte,
lehnte den Islam ab und wurde deshalb von Mohammed,
der im teilweise mit islamischen Vorstellungen
theologisch deckungsgleichen Judentum eine besonders
starke Konkurrenz sah, bekämpft.
In Medina wurden die Suren im Vergleich zu den
mekkanischen Suren weltzugewandter und
thematisierten vornehmlich religiös untermauerte
rechtliche und politische Sachverhalte. Hier
entwickelte sich das islamische Verständnis von der
Untrennbarkeit der religiösen von der profanen und
politischen Ebene.
623 begannen die ersten militärischen
Auseinandersetzungen der ständig Zulauf bekommenden
Umma gegen die als „Ungläubige“ bezeichneten
Mekkaner. In mehreren Gefechten wurde Mekka in die
Defensive gedrängt. Nach einem Waffenstillsand 628
pilgerte Mohammed 629 von Medina nach Mekka und
begründete mit dieser Pilgerreise („Hadsch“) die
seitdem gepflegte Tradition der islamischen
Pilgerreisen nach Mekka. 630 übernahm Mohammed die
Herrschaft über Mekka, nachdem er versprochen hatte,
die Stadt weiterhin als Wallfahrtsort zu schützen.
Die Kaaba wurde islamisiert, Mekka die wichtigste
heilige Stadt des Islam.
Der klar strukturierte Islam entsprach dem Wesen der
Stämme der arabischen Halbinsel. Vor allem das
Verbot der Kriegsführung zwischen Muslimen und
dadurch in Folge die Beendigung der ruinösen
Stammes- und Clan-Fehden machten den Islam
attraktiv. Zudem war mit diesem Verbot die Aussicht
verbunden, als starke und geeinte Macht erfolgreich
nichtmuslimische Gruppen unterwerfen zu dürfen und
dabei reiche Beute zu machen. Innerhalb weniger
Jahre schlossen sich die meisten Stämme Mohammed an.
Der am 8. Juni 632 in Medina gestorbene
Mohammed
hinterließ keine männlichen Erben.
Seine Nachfolge als religiöse und politische Führer
traten die Kalifen („Nachfolger“) an. Die ersten
zwischen 632 und 661 regierenden vier Kalifen waren
Verwandte des Propheten. Nach Mohammeds Tod wurden
die bis dahin lediglich vereinzelt verschriftlichten
Suren gesammelt und im Koran („Vortrag“)
veröffentlicht. Dieses heilige Buch stellt die
Hauptquelle der Scharia, des islamischen Rechts,
dar. Daneben ist auch die Sunna („Brauch“)
bedeutend. Die Sunna umfasst die von Rechtsgelehrten
entwickelte Ableitung von zu beachtenden
Handlungsmustern, die auf die Taten des Propheten
zurückgeführt werden.
Die ersten vier Kalifen konsolidierten den nach
Mohammeds
Tod von Fraktionskämpfen bedrohten
islamischen Staat und begannen ein Weltreich zu
erobern.
Das persisch beherrschte Mesopotamien, Nordpersien
sowie der größte Teil des Byzantinischen Reiches
(Palästina mit Jerusalem,
Ägypten, Syrien) wurden
ebenso erobert wie Libyen und Afghanistan.
Nach der Ermordung des dritten Kalifen Uthman im
Jahr 656 kam es zu innerislamischen Kämpfen um die
Nachfolge. Es konnte sich zwar Mohammeds
Schwiegersohn Ali durchsetzen, doch wurde er bereits
fünf Jahre später ebenfalls ermordet. Sein
Nachfolger Muawiya wurde von Parteigängern Alis
abgelehnt, die lediglich Angehörige der
Mohammed-Familie als legitime Nachfolger akzeptieren
wollten. Es kam zum bis heute bestehenden Schisma
zwischen Sunniten und den Ali-Anhängern, den
Schiiten.
Muawiya begründete die bis 748/ 750 von Damaskus aus
regierende Kalifen-Dynastie der Ummayyaden. In
dieser Zeit erlebte der Islam eine zweite große
Expansionswelle, in deren Verlauf fast die ganze
iberische Halbinsel und weite Teile Mittelasiens und
Indiens erobert wurden. Der islamische Vorstoß nach
Westeuropa wurde 732 in der Schlacht von Poitiers
durch ein christlich-fränkisches Heer gestoppt. Die
christliche Rückeroberung
Spaniens und
Portugals („Reconquista“)
dauerte bis 1492.
Die Ummayaden wurde von den bis 1258 herrschenden,
zum Haschemiten-Clan zählenden Abbasiden-Kalifen
abgelöst. Die Abbasiden machten Bagdad zum Zentrum
des islamischen
Reiches. Die Herrschaft des von 754
bis 775 regierenden Kalifen Mansur
gilt als Beginn der bis ins 11. Jahrhundert
dauernden Blütezeit der islamischen Kultur. In
dieser Zeit entwickelte das Reich unter Einfluss
zahlreicher am Kalifenhof wirkender gebildeter
Perser ein überaus hohes schöngeistiges,
künstlerisches und wissenschaftliches Niveau.
Machtpolitisch begann das riesige Reich allmählich
durch die Ausbildung von halb-selbständigen
Herrschaften in einigen Randprovinzen an
Zusammenhalt zu verlieren.
Insbesondere in
Ägypten konnte sich im 10.
Jahrhundert unter den Fatimiden eine eigene Dynastie
etablieren, die die Oberherrschaft der Kalifen nur
noch formell anerkannte. Für das Selbstbewusstsein
der Muslime von großer Bedeutung waren die Kreuzzüge
christlicher Ritterheere, die im 11. Jahrhundert die
Christen, Juden und Muslimen gleichermaßen heilige
Stadt
Jerusalem von den Muslimen erobert und in
Palästina und Syrien Kreuzfahrerstaaten errichtet
hatten. Bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts wurden
diese Staaten von muslimischen Heeren zerschlagen.
In Anatolien entstand im 11. Jahrhundert mit dem
Sultanat der Rum-Seldschuken ein weiteres
islamisches Machtzentrum. Die islamischen
Rum-Seldschuken eroberten schrittweise das
christlich-orthodoxe Byzantinische Reich. Ab 1299
nannte sich ihr Reich „Osmanisches Reich“. 1453
löschten die Osmanen das oströmische Reich durch die
Einnahme der byzantinischen Hauptstadt
Konstantinopel endgültig aus. Die
muslimisch-osmanische Expansion erreichte
schließlich den gesamten Balkanbereich und weite
Teile Ungarns. Ein weiteres Vordringen nach
Mitteleuropa konnte 1529 bei der Abwehr osmanischer
Versuche, die Habsburger-Metropole Wien zu erobern,
beendet werden. Der Seesieg europäischer Mächte über
die osmanische Flotte bei Lepanto 1571 sowie die
letzte missglückte Belagerung Wiens (1683) leiteten
die Verdrängung der islamisch-osmanischen Macht aus
Europa an.
Die osmanischen Sultane entwickelten sich zu Rivalen
der wechselnden Kalifendynastien und führten ab 1517
neben ihren weltlichen Sultan-Titel auch den
Kalifentitel. Damit einher ging die schrittweise
Eingliederung eines großen Teils der islamischen
Welt in das Osmanische Reich.
Erst 1923 musste der entmachtete letzte Sultan des
von der laizistischen Republik Türkei abgelösten
Osmanischen Reiches den Kalifen-Titel abgeben.
Seitdem wurde kein neuer, von der Mehrheit der Umma
akzeptierter Kalif gewählt, wenngleich an der Spitze
einiger islamischer Splittergruppen eigene Kalifen
stehen.
Die spätestens seit Beginn des
18. Jahrhunderts
geistes- und entwicklungsgeschichtlich vor allem
durch Stagnation gekennzeichnete islamische Welt
geriet im 19. und 20. Jahrhundert in eine Krise.
Fast alle Länder mit einer islamischen
Bevölkerungsmehrheit waren als Kolonien oder
Protektorate in die Abhängigkeit der westlichen
Kolonialmächte geraten. Neben oberflächlicher
Übernahme westlichen Lebensstils durch die
städtischen Eliten und vereinzelte
Verwaltungsreformen („Tanzimat“ im Osmanischen
Reich, 19. Jahrhundert) bewirkte die Situation auch
eine Reihe von religiös-ideologischen
Reformvorschlägen, die den Islam in der
Auseinandersetzung mit dem Westen effektiver machen
sollten. Zu den wichtigsten Vertretern der
„Islamischen Modernisten“ gehörten der
Schriftsteller Jamal ad-Din al-Afghani (1838-
1897)
und der Journalist und spätere Großmufti von
Ägypten, Muhammad Abduh (1849-1905). Unter dem
Stichwort „Salafiya“ wurde an die Ideale des „reinen
Islam“ des Mittelalters angeknüpft, die die Stärkung
der Umma bewirken sollten. Die Modernisten strebten
eine Verbindung von westlichem Know-how mit
islamischen Wertvorstellungen an. Zu den von
Al-Afghani und Abduh beeinflussten Personen gehörte
Hassan al-Banna (1906-1949), ein ägyptischer
Volksschullehrer , der mit seiner Muslimbruderschaft
nach dem 1. Weltkrieg eine der bis heute
bedeutendsten neo-salafitischen Gruppen gründete.
Neben weitgehend in Theorie verharrenden Denkern
betraten im 19. und 20. Jahrhundert auch immer
wieder islamische Führer, die mit Gewalt gegen die
Ungläubigen und gegen islamische Andersdenkende
einen islamischen Gottesstatt errichten wollten, die
politische Bühne. Dabei spielte die Vorstellung von
einem geheimnisvollen, messiasgleichen Erlöser, dem
„Mahdi“ , eine große Rolle. Die bedeutendste
historische Gestalt des Mahdismus war Mohammed Ahmed
(1844 -1885), der als „Der Mahdi“ in der
anglo-ägyptischen Kolonie Sudan in den
1880er Jahren
einen Gottesstaat errichtete. Erst
1899 konnten die
Briten den Mahdi-Staat zerschlagen.
Traumatisierend für die Umma war die als Verrat
empfundene Weigerung der Kolonialmächte, den
islamisch-arabischen Ländern nach dem Ersten
Weltkrieg, in dem die arabischen Völker mehrheitlich
gegen die Osmanen und andere Mittelmächte gekämpft
hatten, die staatliche Unabhängigkeit zu gewähren.
Noch einschneidender für das Verhältnis der Umma zum
Westen war die Etablierung des
Staates Israel 1948
auf Kosten der palästinensischen Araber. Die
folgenden, von den Arabern gegen die Israelis
geführten und verlorenen Nahost-Kriege zementierten
diesen Gegensatz in der Palästina-Frage zu einem in
der Nachkriegsgeschichte längsten und das
Miteinander in der Region schwer belastenden
Konflikten mit weltpolitischer Komponente.
In der Nachkriegszeit entstanden in der islamischen
Welt eine Reihe von fast durchweg undemokratischen
Staatsystemen, deren Bandbreite von absolutistischen
Monarchien mit extrem konservativer religiöser
Ausrichtung, wie zum Beispiel in Saudi-Arabien und
in den Golf-Emiraten, islamischen Republiken (Iran),
laizistischen Republiken (Türkei) oder
pseudo-sozialistischen Staaten (Libyen, Algerien)
reichte.
In Ägypten, Libyen,
Tunesien und anderen islamischen
Staaten wurden im „Arabischen Frühling“ 2010/2011
korrupte und Menschenrechte verletzende Regierungen
in blutigen Aufständen gestürzt. Dabei spielten
islamistische Gruppen, wie die Muslim-Bruderschaft,
wichtige Rollen. Auch bei der Etablierung neuer
Regierungen sind diese Gruppen von großer
politischer Bedeutung. Kritiker werfen diesen
Gruppen allerdings vor, Andersdenkende mit
undemokratischen, zum Teil polizeistaatlichen
Mitteln von der politischen Partizipation fernhalten
zu wollen.
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