Das Literaturjahr 2001 -
Eine der unterhaltsamsten Sendungen im deutschen
Fernsehen, die sich mit Literatur beschäftigte,
war „Das Literarische Quartett“ mit Marcel
Reich-Ranicki als Hauptdarsteller und schnaufend
empörten Kritiker, der Bücher nicht als
Unterhaltung anerkannte, sondern als tiefere
Quelle der Sprache und des Inhalts. Seine hoch
elaborierte Mimik war sein Markenzeichen, wenn
er über die neuen Romane das Gesicht verzog oder
bestimmte Autoren, nicht immer nachvollziehbar,
in den Himmel hob.
2001 ging die Ära der Sendung dann erst einmal
zu Ende. Die Sendung wurde bis zum Ende des
Jahres ausgestrahlt und behandelte insgesamt
knapp 400 Bücher. Die hinter dem Kritiker immer
leicht zurückgebliebenen Nebendarsteller waren
Siegrid Löffler oder Hellmuth Karasek, später
dann Iris Radisch, die auch eine wunderbare
Biografie über Albert Camus verfasste.
Siegrid Löffler hatte die Sendung ein Jahr zuvor
verlassen, als es zu einem kleinen Eklat kam und
die Besprechung des Buches „Gefährliche
Geliebte“ von Haruki Murakami dazu führte, dass
Reich-Ranicki Löffler den Vorwurf machte, sie
würde Liebesromane immer als etwas Anstößiges
betrachten. Diese fühlte sich dadurch persönlich
angegriffen und verließ die Sendung erbost.
Einen kleinen Skandal gab es auch durch den
Roman von Catherine Millet „Das sexuelle Leben
der Catherine M.“. Als Chefredakteurin der
Kunstzeitschrift „art press“ und Expertin für
moderne Kunst enthielt ihr Buch viel
Autobiografisches, das größtenteils den
Geschlechtsakt auf Friedhöfen, Tischen, Wäldern,
mit mehreren Männern oder im Auto beschrieb. Der
Kritiker Bernard Pivot, eine Größe in
Frankreich, bezeichnete das Werk als einen
„Klassiker“.
Erfolgreich war in diesem Jahr das Buch
„Abbitte“ von Ian McEwan, das später auch
verfilmt wurde. In diesem tiefenpsychologischen
Werk geht es um Verrat und Treue, Liebe und
Krieg. Einen großen Rahmen nimmt die
Beschreibung der Evakuierung der britischen
Armee 1940 in Dünkirchen ein. Der Roman ist ein
Werk über Literatur und über die Menschen, über
Einkehr und Versöhnung. Er verweist darauf, dass
alles, was der Mensch tut, nicht rückgängig
gemacht werden kann und ebenso alles eine
Auswirkung hat. Ausgezeichnet wurde „Abbitte“
mit dem „Booker Prize“ und anderen Awards.
Ein faszinierender Schriftsteller war W. G.
Sebald, dessen Buch „Austerlitz“ 2001 erschien
und statt einer Geschichte Bilder schuf, die
sich mit der Architektur von Bahnhöfen
auseinandersetzte, dabei das Vergängliche und
das Schicksal versinnbildlichte. Der Roman war
das letzte Werk Sebalds vor seinem Tod und blieb
zwar fiktiv, jedoch auch eine tiefsinnige
Innenschau. Sebald starb Ende des Jahres, am 14.
Dezember in Nordfolk, an den Folgen eines
Herzinfarkts. Er arbeitete sowohl als
Schriftsteller als auch als
Literaturwissenschaftler. Seine Karriere begann
relativ spät in Deutschland, während sich in
Amerika bereits die Journalistin und Autorin
Susan Sontag für Sebald starkgemacht hatte, noch
bevor sein Werk in aller Munde war. Romane von
ihm erzählen in besonderer Form von der
Melancholie des Lebens, von Ausgewanderten,
traumatisierten Menschen oder von der Fremde.
Michel Houellebecq, als französischer
Vorzeige-Skandal-Autor, brachte 2001 „Plattform“
heraus, das dann die Erwartungen auch wieder
ganz erfüllte. Es ging um Sextourismus, Kälte,
Frustration und Religion und um die verzweifelte
Suche nach Gefühlen und Liebe.
Sein Konkurrent, Frederic Beigbeder, konterte
mit dem Buch „Neunundreißigneunzig“, das sich
wiederum mit der Schnelllebigkeit der Moderne
und mit der Kommerzialisierung
auseinandersetzte. Das Buch entstand durch die
Herausforderung Houellebecqs, der Beigbeder
aufforderte, über seine Arbeit in einer
Werbeagentur zu schreiben bzw. das Geschehen
hinter den Kulissen aufzudecken. Dies gelang dem
Franzosen sehr gut, der damit rechnete,
gekündigt zu werden. Das Buch machte ihn durch
den einschlagenden Erfolg auch außerhalb
Frankreichs bekannt und zum Konsumkritiker par
excellence.
Philosophisch einfach gehalten war das Buch „Im
Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafon, das
von einem Jungen, einer Bibliothek und von der
Liebe zu den Büchern erzählte. Es hatte einen
erstaunlichen Erfolg und gelangte auf die
Bestseller-Liste, weil es wohl beim Publikum
einen Nerv traf und gleichzeitig gut vermarktet
wurde.
Ganz anders dagegen war das Buch „Rot ist mein
Name“ von Orthan Pamuk. Hier leuchtet eine
tiefsinnigere Philosophie und Kunst auf, die in
einmaliger Form eine orientalische Atmosphäre
schafft und den Leser gefangen nimmt. Pamuk
erzählt die Geschichte einer Malerwerkstatt, in
der Künstler arbeiten, die um des Handwerks
willen schöpfen und nicht, um Anerkennung zu
erlangen. Daher setzen sie auch ihren Namen
nicht unter die Werke.
Das jedoch wird einem der Miniaturmaler zum
Verhängnis, der ermordet aufgefunden wird und
deren Tod aufgeklärt werden muss. Der Roman ist
spannend wie ein Krimi und vermittelt
gleichzeitig historisches Wissen und Geheimnis.
Auch der Aufbau und die Schreibtechnik sind
eindrucksvoll und zeigen das Erzählte aus
ungewöhnlichen Perspektiven.
Erfolgreich waren daneben Johnathan Franzens
„Die Korrekturen“, Harry Mulischs „Siegfried“
und Martin Walsers „Der Lebenslauf der Liebe“.
Walsers Roman löste eine Welle an positiver und
negativer Kritik aus, wobei er dann auch etliche
Interviews gab, die ihm den Ruf eines
Ego-Schriftstellers eintrugen. Ein Interview,
das er der Zeitschrift „Stern“ gab, passte ihm
überhaupt nicht. Er verbot die Veröffentlichung
und sendete stattdessen eine eigene Version des
Gesprächs. „Stern“ lehnte ab. Das selbst
geschriebene Interview erschien dann im
„Spiegel“.
Der Literaturnobelpreis ging 2001 an V. S.
Naipaul, einem britischen Schriftsteller, der
1932 in Indien, in der britischen Kolonie
Trinidad, geboren wurde, beim BBC arbeitete und
Romane verfasste, die Erfahrungsberichte über
verschiedene Kulturen der Welt waren. Naipaul
selbst reiste sehr viel und hielt seine
Eindrücke ebenfalls schriftlich fest. Er war
einer der Kritiker des Hinduismus und des
Kastensystems Indiens und bezeichnete das Land
als eine „Zone der Dunkelheit“. Eines seiner
umstrittensten Bücher war „An der Biegung des
großen Flusses“, das die Erlebnisse eines Inders
im Kongo beschrieb.
Buch Bestseller 2001
Joanne K. Rowling – Harry Potter und der Feuerkelch
Joanne K. Rowling – Harry Potter und der Stein der
Weisen
Henning Mankell – Der Mann, der lächelte
Joanne K. Rowling – Harry Potter und der Feuerkelch
Ken Follett – Das zweite Gedächtnis
Umberto Eco – Baudolino
Henning Mankell – Die Brandmauer
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