Das Modejahr
1997 - Mode als Show-Event
Nun brachte er bei Dior seine erste Kollektion in einer
brillant inszenierten Show auf den Laufsteg und erregte
damit enorme Aufmerksamkeit in den Medien: John Galliano,
der mittlerweile als neuer Chefdesigner zum Hause Dior
gehörte. Erfahrungen hatte er vordem bei Givenchy
gesammelt. Seine Premieren-Modenschau war ein großer
Erfolg. Kein Wunder, dass Galliano zum vierten Mal
„Britischer Designer des Jahres“ wurde und damit auch
eine neue Frische in das Modehaus Dior brachte. Die
„Herald Tribune“ fasste die Kreationen Gallianos mit dem
Begriff „göttlicher Wahnsinn“ zusammen.
Mode ist immer
auch eine Frage des individuellen Geschmacks, doch an
seinen Modellen konnte man nichts aussetzen. Sie waren
schrill und sehr einfallsreich. Sie waren schräg und
zeichneten sich durch einen perfekten Schnitt aus. So
viel Fantasie hatte es auf dem Catwalk lange nicht
gegeben. Galliano, der auch die dazu gehörigen Shows zu
seinem Markenzeichen machte, hatte sich fraglos einen
vorderen Platz in der internationalen Modeszene erobert.
Seine exzentrischen Ideen wurden goutiert und von seiner
Mitarbeit versprach sich das Haus einen Aufschwung.
Der Mode-Sommer blieb leider auch wegen eines tragischen
Ereignisses im Gedächtnis: Am 15. Juli wurde Gianni
Versace in Miami Beach vor seiner Villa erschossen.
Dieser Mord warf einen großen Schatten über die Szene.
Besonders die modebewusste Männerwelt empfand den
Verlust Versaces schmerzlich. Versace hinterließ als
erstklassiger Designer eine große Lücke. Doch die Trauer
wich schließlich der Lebendigkeit der Mode.
Die zeigte sich in diesem Jahr durch gegensätzliche
Stilrichtungen. Der Minimalismus, zu dem sich
mittlerweile auch das deutsche Label Strenesse bekannte,
wurde interessanter und vielfältiger, blieb aber
androgyn. Die Hosenanzüge, die von der Damenwelt gern
angenommen wurden, fielen durch ihre asymmetrischen
Knopfreihungen auf und die Gleichseitigkeit der Revers
wandelte sich ins Ungleiche. Damit war der biederen
Korrektheit der Garaus gemacht worden. Tops blieben
puristisch, bekamen aber durch die Transparenz des
Materials etwas sehr Feminines.
Als bei einer Dior-Präsentation im Frühjahr das Modell
einer chinesischen Konkubine in knalligem Rot gezeigt
wurde – Cindy Crawford präsentierte es – war eine neue
Ära asiatischer Mode eingeleitet worden. Wenngleich das
Design von der Mode der 20er Jahre inspiriert war,
erregte es positive Aufmerksamkeit. Prada verstand die
Zeichen der Zeit und nahm die Sachlichkeit aus ihren bis
dato
streng wirkenden Blusen und Hosen. Sie setzte neue
Trends, die gefielen. Wadenlange Satin-Röcke schimmerten
mit blumigen Mustern. Der asiatische Stil hatte alles
für eine erfolgreiche Mode.
Feminines brachten Dolce & Gabana auf den Markt. Mit
einer Rückbesinnung auf die 50er Jahre und deren
Leinwand-Erotik betonten sie die Figur wieder stärker.
Auch Mieder wurden zu salonfähiger Oberbekleidung,
ebenso ein hauchzarter Unterrock. Im Gegensatz zu dieser
weiblichen und sehr ästhetischen Mode, kreierte
Alexander McQueen Modelle, die die Modewelt entsetzten.
Blutig geschminkt und mit zerfetzter Spitzenkleidung
stöckelten seine Models über den Laufsteg, als wären sie
gerade überfallen worden. Derartig Provokantes hatte
nichts, um den Alltag modisch schöner zu machen.
Die Haute Couture wartete – dessen ungeachtet - mit
einer großen Bandbreite an Ideen auf. Viele Anregungen
konnten von den modisch interessierten Konsumentinnen
umgesetzt und auf der Straße getragen werden. Natürlich
waren es nicht die Originale, die hier zum Einsatz
kamen. Doch die Haute Couture war nicht der Feind des
Prêt-à-porter und gab ihren Laufsteg für deren Designer
frei. Schließlich belebten sich diese beiden Branchen
gegenseitig und kamen miteinander immer einträglicher
aus.
Ob es der modische Höhepunkt des Jahres war, mögen die
Trägerinnen entscheiden. Spektakulär waren sie in jedem
Fall, die Haute-Couture-Kreationen der Britin Vivienne
Westwood. Sie hatte sich von den Gemälden Alter Meister
anregen lassen. Ihre Modelle waren gefühlvoll und
farbig, sie waren Stoff gewordene Träume. Eine
Einladung, der die Damenwelt nur allzu gern Folge
leistete.
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