DDR 1977 – Manfred Krug und andere Prominente
verließen die DDR
Gleich zu Jahresbeginn machte die in der
Tschechoslowakei gegründete „Charta 77“ von sich reden.
Spätestens nach einer intensiven staatlichen Kampagne
gegen die Charta, war deren Existenz im ganzen Land
bekannt und so auch in den Nachbarländern. Bereits im
Vorjahr hatten sich Künstler und Intellektuelle, ebenso
Arbeiter, Geistliche und Exkommunisten zu einer Bewegung
zusammengeschlossen, die auf Menschenrechtsverletzungen
im Land aufmerksam machen wollten, die im Widerspruch zu
der vom tschechoslowakischen Außenminister
unterschriebenen Schlussakte von Helsinki standen. Am
ersten Tag des Jahres 1977 wurde die „Charta 77“
veröffentlicht. Sie trug 242 Unterschriften und war
wenige Tage später in den führenden europäischen Zeitung
abgedruckt worden. In den Massenmedien der CSSR war der
Text nicht veröffentlicht worden. Das änderte nichts
daran, dass sich die Charta rasend schnell herumsprach
und bekannt wurde. Bis zum Sommer des Jahres 1977 war
die Zahl der Unterschriften auf der Charta auf 600
angewachsen. Am Ende des Jahres waren es 800
Unterzeichner, Tendenz steigend. Im selben Jahr gründete
sich dazu noch ein internationaler Ausschuss zur
Unterstützung der Charta. Diesem gehörten unter anderem
die Schriftsteller Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt,
Graham Green und Arthur Miller an.
Auch in der DDR hatte die Bewegung der „Charta 77“
Kreise gezogen. In allen Kreisen wurde diskutiert, wobei
man aufpassen musste, dass nicht das verlängerte „Ohr“
(IM, Informeller Mitarbeiter) der Staatssicherheit
mithörte.
Tatsache war, dass die DDR-Regierung nicht auf wertvolle
Kritik von Intellektuellen und Künstlern hörte. Im
Gegenteil, sie bestrafte sie. Da hatte beispielsweise
die Verhaftung des Philosophen Rudolf Bahro heftige
Diskussionen ausgelöst. Bahro, einer der profiliertesten
Dissidenten der DDR, war durch sein
sozialismus-kritisches Buch „Die Alternative“ bekannt
geworden, das 1977 erschien und sofort in die
Schlagzeilen geriet. Das Nachrichtenmagazin „Der
Spiegel“ hatte einen Auszug aus dem Buch veröffentlicht
sowie ein Interview mit dem Autor. Einen Tag später, am
23. August, wurde Bahro wegen der Veröffentlichung
seines Buches im Westen und wegen angeblicher Spionage
verhaftet. Die Buchveröffentlichung reichte als
Straftatbestand nicht aus, um Bahro aus dem Verkehr zu
ziehen. Die Staatsanwaltschaft konstruierte deshalb
einen Tatbestand, der ihm dann zur Last gelegt wurde. Es
fand 1978 ein Prozess statt, bei dem das Urteil im
Vorfeld feststand, worüber die Presse auch schon vorab
informiert worden war. Bahro war von einem der Besten
seines Fachs, von Gregor Gysi, verteidigt worden. Doch
auch er hatte keine Chance gegen das Exempel, das
statuiert wurde. Bahro wurde unter Ausschluss der
Öffentlichkeit wegen „landesverräterischer Sammlung von
Nachrichten“ und „Geheimnisverrats“ zu acht Jahren
Freiheitsentzug verurteilt. Gysi reichte unmittelbar
danach Berufung vor dem Obersten Gericht der DDR ein.
Diese wurde mit der Begründung „offensichtlich
unbegründet“ zurückgewiesen. Bahro wurde im Oktober 1979
anlässlich des 30. DDR-Geburtstages amnestiert und in
den Westen abgeschoben.
Im Jahr 1977 war auch der Schriftsteller Reiner Kunze in
die Bundesrepublik übergesiedelt. Kunze, dessen
Prosaband „Die wunderbaren Jahre“, in dem er die DDR
kritisierte, war im Vorjahr in der BRD veröffentlicht
worden. Wegen seiner kritischen Haltung hatte man Kunze
im Oktober 1976 in Weimar auf Beschluss des
Bezirksverbandes Erfurt/Gera aus dem
DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Der Ausschluss
war einem Berufsverbot gleichzusetzen. Im Jahr 1977
hatte Kunze für sich und seine Frau eine
Ausbürgerungs-Antrag aus der DDR gestellt, der in nur
drei Tagen genehmigt worden war. Und so siedelte er am
13. April in den Westen über.
Auch andere Schriftsteller und Künstler gingen in den
Monaten danach in die BRD. Unter ihnen befanden sich
Prominente wie unter anderem Manfred Krug, der auch in
Ungnade gefallen war, nachdem er die Petition gegen die
Ausbürgerung von Wolf Biermann im Vorjahr unterzeichnet
hatte. In der DDR hatte er keine beruflichen
Möglichkeiten mehr. Die DDR ließ ihren beliebtesten und
bekanntesten Film- und Fernsehstar gehen.
Im August wurden dann nach 281 Tagen im Stasi-Gefängnis
der Schriftsteller Jürgen Fuchs, die Liedermacher Gerulf
Pannach und Christian Kuhnert (deren Band „Renft“ 1975
verboten worden war) zur Ausreise in den Westen
gezwungen und nach West-Berlin entlassen.
Hatte es zu Beginn des Jahres, zum Auftakt des
„sozialistischen Wettbewerbs 1977“ das Motto „Jeder
liefert jedem Qualität“ gegeben, so gehörte für viele
Intellektuelle Ehrlichkeit zur Qualität, die sie bereit
waren zu liefern. Die DDR-Führung dankte es ihren
Künstlern schlecht. Und als dann immer wieder DDR-Bürger
versuchten, in die Ständige Vertretung der BRD zu
gelangen, begann die Volkspolizei, diese zu behindern.
Das Interesse der Bürger an Ereignissen und an der
Kultur anderer Länder war groß, vor allem, was ihren
Nachbarstaat betraf, der ja offiziell als Ausland
benannt wurde. Kein Wunder also, dass in Ost-Berlin eine
westdeutsche Fotoausstellung mehr als 150.000
DDR-Besucher anlockte.
Dass inzwischen rund 10.000 DDR-Bürger einen
Ausreiseantrag gestellt hatten, kam nicht einmal
Erich
Honecker umhin zu bestätigen. Doch er wollte nur
Erleichterung gewähren bei Anerkennung der DDR. Ein
teuflischer Kreislauf und für die Ausreisewilligen
mitunter ein jahrelanges Warten.
Locken konnte man die DDR-Bürger mit nicht allzu vielen
Dingen, denn wegen des Anstiegs des Weltmarktpreises für
Kaffee war in der DDR der mit Malzkaffee gestreckte
Kaffee-Mix in den Handel gekommen. Kaffee war ohnehin
schon eine teure Angelegenheit, aber dann auch noch
diese Mischung...die DDR-Bürger waren wenig begeistert.
Zwei Monate später wurden die Einfuhrbeschränkungen für
Genussmittel gelockert. Das rettete den Lebensstandard
auch nicht grundlegend.
Und als der BRD-Autohersteller VW bekannt gab, dass die
DDR 10.000 VW Golf bestellt hatte, war eigentlich jedem
klar, dass diese Autos nur an ausgewählte Bürger
verkauft werden würden. Die wenigsten Menschen waren
derart privilegiert.
Ein Lichtblick in dem Jahr, in dem die DDR sich derart
„verbohrt“ gezeigt hatte, war möglicherweise die
Grundsteinlegung zum Wiederaufbau der Semperoper in
Dresden, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war.
Doch auch in den letzten Monaten des Jahres wurde es in
den Gemütern nicht ruhiger, vor allem in den Gemütern
der Jugendlichen, deren Sinn nach Freiheit stand. Unter
anderem war es am Nationalfeiertag, dem 7. Oktober, bei
einem Jazz-Konzert am Ost-Berliner Fernsehturm zu
Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der
Volkspolizei gekommen. Dabei waren drei Jugendliche zu
Tode gekommen und rund 200 waren verletzt worden. Auch
in Weimar war es zu Krawallen gekommen, bei denen
mehrere Jugendliche inhaftiert worden waren.
Für die DDR-Führung war das Jahr 1977 kein Erfolgsjahr.
Mit Strenge, Verboten und manipulierten Prozessen hatte
sich die DDR keinen Gefallen, eher die oppositionellen
Gedanken geschürt.
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