DDR 1970 – Mit Willy Brandt begann eine
deutsch-deutsche Annäherung
Zu Beginn des Jahres 1970 begann die DDR mit der
Errichtung von Selbstschussanlagen an der
deutsch-deutschen Grenze, eine Aktion, die weitere
Fluchtversuche minimieren oder sogar verhindern sollte
durch Abschreckung. Schlagzeilen machte im Frühjahr der
Selbstmord zweier DDR-Bürger. Sie wollten auf dem
Ost-Berliner Flughafen Schönefeld ein Verkehrsflugzeug
entführen, um in den Westen zu gelangen. Der Versuch
scheiterte, die beiden Ausreisewilligen begingen
Selbstmord.
Der in der Bundesrepublik neu gewählte Bundeskanzler
Willy Brandt besuchte im März die DDR und traf im
thüringischen Erfurt mit Willi Stoph, dem
DDR-Ministerpräsidenten zusammen. Mit diesem Erfurter
Gipfeltreffen begann eine neue Form der Ostpolitik
seitens der BRD. Es gab auf dem Treffen noch keine
konkreten Ergebnisse, die die Annäherung belegen
konnten, aber der Symbolcharakter dieses Besuch des
Bundeskanzlers war unübersehbar und wurde international
mit großem Interesse verfolgt. Tausende DDR-Bürger
zeigten ihre Sympathie für
Willy Brandt ganz unverhohlen
und trotzten den Polizei- und Stasiabsperrungen, um auf
den Bahnhofsplatz zu gelangen, wo sie schließlich den
hohen Gast am Fenster des Hotels „Erfurter Hof“ zu
Gesicht bekamen und ihm zujubeln konnten. Die Begegnung
war emotionsgeladen und stellte den Auftakt einer
Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten dar.
Bereits im Mai gab es ein zweites Treffen zwischen den
beiden Staatschefs, diesmal in Kassel (Hessen). Als
Stoph die Bundesrepublik mit einem Sonderzug erreichte,
wurde er ebenfalls von einigen Anhängern auf dem Bahnhof
Bebra mit Jubelplakaten begrüßt. In Kassel empfing ihn
der Bundeskanzler dann persönlich. Während der Konferenz
bezeugten dann am Tagungsort „Hotel Wilhelmshöhe“ linke
sowie rechtsextreme Demonstranten ihre Sympathie bzw.
ihre Ablehnung. Insgesamt verliefen die Gespräche ohne
größere Zwischenfälle, aber auch wieder ohne konkrete
Ergebnisse. Es kam zu keiner Einigung auf eine
Abschlusserklärung. Lediglich auf eine „Denkpause“ hatte
man sich auf beiden Seiten geeinigt.
Im April bestimmten die Feiern zum 100. Geburtstag von
Wladimir Iljitsch Lenin das Geschehen in der DDR. Der
Staatsratsvorsitzende
Walter Ulbricht hatte am
Lenin-Platz ein Denkmal des Gründers der Sowjetunion
eingeweiht. Im Alten Museum in Ost-Berlin wurde die
Ausstellung „Im Geiste Lenins – mit der Sowjetunion in
Freundschaft unlösbar verbunden“ eröffnet und in der
Akademie der Künste begann die Ausstellung „Ein neuer
Mensch – Herr einer neuen Welt“.
Zudem gab es eine Neuerung in der Waren-Kennzeichnung.
Die bisherige Kennzeichnung „Made in Germany“ wurde
durch „Made in GDR“ abgelöst.
Hintern den politischen Machtkulissen spielten sich
derweil ganz andere, entscheidende Dinge ab, die nicht
an die Öffentlichkeit gelangten, aber in der Rückschau
einiges über die Entwicklung DDR erklären. Nachdem am
12. August der deutsch-sowjetische Vertrag (Moskauer
Vertrag) über Gewaltverzicht und Anerkennung der in
Europa bestehenden Grenzen zwischen Leonid Breschnew und
Bundeskanzler Willy Brandt unterzeichnet worden war,
fand das sowjetische Staatsoberhaupt bei einem Besuch
des Zweiten Sekretärs Erich Honecker und seiner
Delegation klare Worte für die Linie, die in der DDR zu
verfolgen war.
Walter Ulbricht war nicht dabei. Weil es
im Westen nichts einzuholen gäbe, äußerte sich Breschnew
der Ulbricht-Formel „Überholen ohne einzuholen“
gegenüber sehr kritisch. Er sah auch eine Annäherung der
beiden deutschen Staaten anders als Ulbricht, nämlich
ablehnend. Eine Annäherung würde der Existenz der DDR
allmählich den Boden entziehen. Dennoch hatte Breschnew
im Sommer 1970 noch kein „grünes Licht“ für einen
„Sturz“ Ulbrichts gegeben, obwohl er von Erich Honecker
dazu gedrängt worden war. In der DDR-Regierung hatten
sich inzwischen zwei Lager gebildet. Die
Ulbricht-Anhänger befürworteten eine taktische und
einschätzbare Zusammenarbeit mit der SPD in der BRD.
Honecker und zahlreiche Mitglieder des Politbüros
standen für eine totale Abgrenzung, wie sie die
Sowjetunion gleichfalls Forderte.
Als
Walter Ulbricht im Juli 1970 den moskauhörigen
Honecker als Zweiten Sekretär ablöste, schaltete sich
Breschnew ein und sorgte dafür, dass Ulbricht ihn
wiedereinsetzen musste. Diese Aktion hatte die
Machtposition von Ulbricht enorm ins Wanken gebracht.
Die Honecker-Gruppe war sogar soweit gegangen, Ulbrichts
Schlusswort auf dem 14. Plenum des ZK im Dezember 1970
zurückzuhalten und nicht der Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. Damit hatte man dem Ersten Sekretär eine sehr
schwere Kränkung angetan, die schwerste bisher. In
seinem Schlusswort hatte Ulbricht unter anderem Vorwürfe
gegen seinen Führungsstil und seine politischen
Alleingänge zurückgewiesen. Sein Stuhl hatte bedenklich
angefangen zu wackeln.
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