Literatur 1930 Das literarische Jahr
1930, als bereits die ersten Grundsteine für den
kommenden Faschismus in Österreich und Deutschland
gelegt worden waren, rief Mahatma Gandhi in Indien
zum Salzmarsch auf. Gehorsamsverweigerung gegenüber
dem britischen Salzmonopol war die Forderung, die
dazu führte, Indien von der Abhängigkeit
Großbritanniens zu befreien.
In den Kinos lief 1930 „Der blaue Engel“ an, eine
Verfilmung des Romans „Professor Unrat“ von Heinrich
Mann, mit einer bezaubernden Marlene Dietrich in der
Hauptrolle.
Hermann Hesse veröffentlichte „Narziss und
Goldmund“, einen Roman über die Freundschaft, der in
seinen Grundgedanken Nietzsches Rückkehr ins
Kindliche und die Archetypen des Psychologen C. G.
Jung enthielt, als eine Annäherung an ein
vollkommenes Leben, nach dem beide Charaktere,
Narziss und sein Schüler Goldmund, ganz
unterschiedlich streben. Während Narziss den
religiösen Weg beschreitet, richtet Goldmund seine
Schritte in die Welt der Kunst.
Der Schriftsteller John Dos Passos brachte den
ersten Teil seiner Amerika-Trilogie heraus, der den
Titel „42. Breitengrad“ trug. Sartre war von diesen
drei Romanen sehr angetan, die im Grunde einen
Querschnitt des amerikanischen Landes darstellten.
Dos Passos bediente sich für die Darstellung der
Montage, nutzte auch Wochenschauen,
Zeitungsausschnitte und andere literarische Effekte,
um dem Leser die amerikanische Welt vor Augen zu
führen, so dass Porträts vieler großer und kleinerer
Persönlichkeiten entstanden.
William Faulkner wiederum veröffentlichte 1930 „Als
ich im Sterben lag“, eine Geschichte über den
ereignisreichen Leichenzug einer Farmerfamilie als
eine Reise voller Stimmen, Traurigkeit und Komik.
Von Joseph Roth erschien der Roman „Hiob“, eines der
kleinen „großen Werke“ dieses Schriftstellers. Roth
wählte den alten und biblischen Mythos für seinen
Protagonisten Mendel Singer, der seinen Glauben
verliert, um sich schließlich durch den Verlust mehr
selbst zu quälen, als seine Rache an Gott ihm Trost
verschaffen könnte. Insbesondere gegen Ende des
Romans erzeugte Roth eine Spannung, der sich der
Leser kaum entziehen kann.
Der erste Teil von Robert Musils Lebens- und
Mammutwerkes „Der Mann ohne Eigenschaften“ erblickte
1930 das Licht der Veröffentlichung. Musil, zu
seiner Zeit bereits durch seinen Roman „Die
Verwirrungen des Zöglings Törleß“ bekannt geworden,
schuf hier ein mächtiges und nicht einmal zu Ende
gebrachtes, aus zwölftausend Blättern,
hunderttausend Anmerkungen, etlichen Überarbeitungen
und Korrekturschriften bestehendes Opus Magnum, das
wie ein Panoptikum der Zeitgeschichte den
unüberwindbaren Abgrund zwischen Individuum und
Massengesellschaft enthält. Einer der zahlreichen
Protagonisten, gezwungen, einer Welt voller Aufgaben
und Erwartungen zu begegnen, entzieht sich ihr mit
Hilfe der Zuwendung zu Philosophie und Kunst, indem
er eine ganz eigene Erwartung an das Leben stellt,
sich auf eine innere Suche begibt und letztendlich
in der Hoffnung nach jenem Sinn im Sein scheitern
muss. Musil, der den Roman 1921 begann, starb, bevor
er ihn beenden konnte, schrieb mehr als zwanzig
Jahre daran und schuf das Bild der Moderne, in der
ein Mensch, beständig darum bemüht, besser zu
werden, zurechtkommen muss, wobei eine Auszeit vom
Leben ebenso eine Rolle spielen kann wie die
Bequemlichkeit, den Dingen ihren Lauf zu lassen. So
macht es dann eben auch einer der Protagonisten, dem
die Rolle des „Mannes ohne Eigenschaften“ als
Beschimpfung an den Kopf geworfen wird.
Auch Vladimir Nabokov war fleißig. Es erschienen „Lushins
Verteidigung“ und „Der Späher“. Der große Stilist
Nabokov war gleichfalls ein großer Schachspieler und
beschäftigte sich ausgiebig mit den Kombinationen,
da Schach für ihn eine ebenso hohe Kunst war wie die
Schöpfung anderer Kunstwerke. Schach war damit die
zweite Leidenschaft Nabokovs neben der Erforschung
und Sammlung von Faltern und Schmetterlingen. In „Lushins
Verteidigung“ ging es aber um mehr als nur Schach.
Es ging um den Selbstverlust an der Aufgabe „Kunst“
durch die Konfrontation mit der Realität, der
Gegenüberstellung von künstlerischem Rausch und
wirklichen Gefühlen. „Der Späher“ wiederum glänzte
durch die Idee. Ein Mann, der glaubt, erschossen
worden zu sein, beginnt mit einem
weiterexistierenden Bewusstsein seine gewohnte Welt
noch einmal neu zu betrachten und macht erstaunliche
Entdeckungen.
Den Literaturnobelpreis erhielt 1930 Harry Sinclair
Lewis, ein amerikanischer Schriftsteller, der für
seine satirischen und sozialkritischen Romane geehrt
wurde. Damit war er der erste Amerikaner, der diesen
Preis bekam, jedoch sicherlich nicht der erste
Schriftsteller, der später an Alkoholismus starb.
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