Literatur 1902 Literatur in Deutschland
Das Jahr 1902 war heimgesucht von Katastrophen. So
tötete ein Erbeben in Guatemala mehr als zweitausend
Menschen, ein weiteres in Tukestan etwa
viertausendfünfhundert und der Vulkanausbruch des
Mont Pelée richtete verheerende Schäden an, so dass
die Hauptstadt Saint-Pierre fast gänzlich zerstört
wurde, um die dreißigtausend Menschen ihr Leben
verloren. Anderorts sank der Vergnügungsdampfer
„Primus“ nach dem Zusammenstoß mit einem Schlepper
auf der Elbe. Mehr als zweihundert Menschen starben.
All das machte sich in der Literatur dennoch weniger
bemerkbar. Eines der bekanntesten Bücher, das 1902
veröffentlicht wurde, war „Der Hund von Baskerville“
von Arthur Conan Doyle. Das Buch erschien in London
und hatte großen Erfolg. Die Vermarktungsstrategie
des Verlages war auch äußerst gekonnt. Der Roman
erschien in einer Fortsetzungsfolge bereits 1901 im
„Strand Magazine“ und damit die Leser nicht zu lange
auf das erlösende Ende warten mussten, brachte der
Verlag den Roman noch vor der Veröffentlichung des
letzten Teils als Roman heraus.
„Der Hund von Baskerville“ basierte auf einer
Legende von einem berüchtigten Geisterhund, der in
Dartmoor sein Unwesen trieb. Der Landbesitzer
Richard Capel war dafür bekannt, junge Mädchen zu
entführen und zu vergewaltigen. Der Legende zufolge
wurde Capel dann 1677 von einem Rudel dämonischer
Hunde verfolgt und zu Tode gehetzt.
1902 verfasste Hugo von Hofmannsthal seinen
berühmten „Brief des Lord Chandos“, der im Oktober
gedruckt wurde und in dem er Kritik an der
vorherrschenden Poetik und Sprache übte, deren
einzige Konsequenz letztendlich bliebe, das
Schreiben ganz und gar aufzugeben. Eine Verbindung
zwischen der fiktiven Gestalt des Lord Chandos‘ und
Hofmannsthals war nicht weit hergeholt. In der
Literaturgeschichte wurde sein „Brief“ als Manifest
betrachtet und ermöglichte zahlreiche
Interpretationen.
Die viel umschwärmte Alma Mahler-Werfel brachte 1902
ihre Tagebuch-Suiten zu Ende. Alma war die „Femme
fatale“ ihrer Zeit, eine große Persönlichkeit der
Wiener Kunst- und Literaturszene. Sie heiratete
Gustav Mahler, danach den Architekten Walter Gropius
und schließlich den Dichter Franz Werfel.
Zwischendurch hatte sie etliche Affären mit
Literaten, Musikern und Künstlern, darunter mit dem
Frauenkenner und Künstler Gustav Klimt, dem
Komponisten Alexander Zemlinsky oder auch die
bezeichnende mit Oskar Kokoschka, der über seiner
Liebe zu ihr fast wahnsinnig wurde und sich später
eine Puppe nach ihrem Ebenbild anfertigen ließ.
Durch sie schuf er sein größtes Werk „Die
Windsbraut“, eine Meisterleistung der Kunst. Alma
hatte ihm versprochen, ihn zu heiraten, wenn er
dieses Werk vollenden würde. Als er es dann
vollendete, hatte Alma längst die Nase voll von ihm
und lag in den Armen eines anderen.
In Frankreich veröffentlichte André Gide seinen „Immoralisten“
in der Zeitschrift „Mercure de France“, im gleichen
Jahr starb einer der größten Naturalisten
Frankreichs, Émile Zola, der mit seiner
Rougon-Macquart-Reihe bekannt wurde, darunter das
herrliche Werk „Nana“ oder der Roman „Das Werk“ über
die Manie des Künstlers, wobei sich Zola das Leben
und die Charaktere der Maler Cezanne und Manet zur
Vorlage genommen hatte, was ihm wiederum Cezanne
nicht verzieh und die jahrelange Freundschaft
aufkündigte.´
Emile Zola war ein außergewöhnlicher Schriftsteller,
der seine Ideen im alltäglichen Leben suchte,
darunter viel Zeit in Einkaufshäusern verbrachte, um
die Menschen zu studieren. Seine erste große Liebe
war eine Prostituierte namens Berthe, durch die er
auf die Idee kam, die Gosse näher zu erforschen.
Auch sie wollte er aus dieser herausholen, musste
aber einsehen, dass sein Idealismus am realen Leben
der Armenviertel scheiterte. Sein Engagement in der
Dreyfus-Affäre hinterließ wirksame politische
Spuren. Zola hatte einen Artikel geschrieben mit dem
Titel „Ich klage an …!“ und trug zur Rehabilitierung
des zu Unrecht und hauptsächlich aufgrund des damals
vorherrschenden Antisemitismus in Frankreich
verurteilten Offiziers Alfred Dreyfus bei. Zolas Tod
war äußerst mysteriös, denn er starb an einer
Kohlenmonoxidvergiftung. Gerüchten zufolge ging man
sogar von einem Mord aus, nahm an, dass der
Schornstein zu seiner Pariser Wohnung absichtlich
verstopft worden war.
Joseph Conrad beendete 1902 seine Erzählung „Das
Herz der Finsternis“ und in Russland veröffentlichte
Dimitri Sergejewitsch Mereschkowski einen seiner
schönsten und längsten Romane „Das Leben des
Leonardo da Vinci“.
Den Nobelpreis für Literatur erhielt in diesem Jahr
der deutsche Historiker Theodor Mommsen. Er befasste
sich hauptsächlich mit dem 19. Jahrhundert und seine
Werke zur Römischen Geschichte haben bis heute ihre
einflussreiche Bedeutung.
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