Literaturjahr 1901
Literatur in Deutschland
1901 wurde zum ersten Mal der Nobelpreis verliehen.
Der Namensgeber und Erfinder war Alfred Nobel, der
mit dieser Auszeichnung Leistungen auf verschiedenen
Gebieten ehren wollte. Dies war in seinem Testament
festgelegt.
Der Nobelpreis für Literatur ging an den
französischen Dichter und Philosophen Sully
Prudhomme für sein „Intimes Tagebuch“. Der Preis
ehrte den Schriftsteller, der sechs Jahre später
starb und mitunter auch bekannt durch Zitate wie
dieses wurde:
„Sobald man sich seiner Bescheidenheit bewusst
ist, verliert man sie.”
Im selben Jahr erschien das Werk, das Thomas Mann
endgültig seinen Platz in der Reihe großer Literaten
sicherte, für das er 1929 ebenfalls den
Literaturnobelpreis erhielt. „Die Buddenbrooks“
wurden vom Verleger Samuel Fischer veröffentlicht,
fanden bei der Erstveröffentlichung jedoch kaum
Beachtung, da Fischer das Werk in zwei Bänden
herausbrachte. Erst zwei Jahre später, als neue und
einbändige Ausgabe, stellte sich dann auch der
Erfolg ein.
In diesem Werk behandelte Thomas Mann den Verfall
einer Kaufmannsfamilie. Thomas Mann war ein
Schriftsteller des Naturalismus‘, bediente sich der
Montagetechnik, indem er Zeitgenossen, wahre
Ereignisse, Dokumente und Zeitungsartikel in den
Roman integrierte. Die Handlung spielt sich in
Lübeck ab und viele Bürger erkannten sich wieder,
darunter auch ein erbostes Familienmitglied der
Manns, ein entfernter Verwandter, der sich an die
Presse wandte und dem Schriftsteller Ausplünderung
der Familiengeschichte vorwarf, womit er ungewollt
erst offiziell bekannt machte, dass er gemeint war,
sich damit selbst entlarvte. Der Verfall, Untergang,
Generationswechsel, all das waren Bilder und Themen,
die der Zeit entsprachen. Der Schriftsteller und
Künstler sah sich einer Welt gegenüber, die er als
krank empfand. Die Großstädte wuchsen, der
Fortschritt hielt Einzug, wissenschaftliche
Erkenntnisse und neue Denkweisen wechselten wie das
Jahrhundert. Viele empfanden die Entwicklung als
Verlust einer besseren Zeit und trauerten ihr nach.
Der Verfall wurde Sinnbild der gesamten Epoche und
drückte sich natürlich auch in der Kunst und
Literatur aus.
In Russland wiederum wurde Leo Tolstoi Anfang des
Jahres aufgrund blasphemischer Äußerungen aus der
russisch-orthodoxen Kirche ausgeschlossen. Für
Tolstoi gingen seine Anhänger auf die Straße,
demonstrierten in St. Petersburg und Moskau, ohne
etwas zu erreichen. Die Exkommunikation wurde bis zu
seinem Tod nicht aufgehoben. Erst hundert Jahre
später Forderte ein Urenkel Tolstois die orthodoxe
Kirche auf, den Ausschluss zurückzunehmen.
Tolstoi sah die Lehre der orthodoxen Kirche als eine
widersprüchliche und schädliche Lüge an. Er
behauptete, man sollte nicht einem Gott dienen,
sondern dem Menschen und damit Gott. Tolstoi
verurteilte insbesondere das Zeremonielle der
Kirchen, den Prunk und die sich auf den Namen Gottes
berufenden Drohungen der Kirchendiener. Gott sei
überall, man bedürfe für den eigenen Glauben keiner
Kirche, sondern solle im Geist und in der Wahrheit
beten. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem
Thema fand in Tolstois Werk „Auferstehung“ statt.
Dort führte er Jesus als Beispiel an, der in seiner
gesamten Lehre gegen das stand, was die orthodoxe
Kirche vermittelte. Die Kirche wiederum empfand
Tolstois Einstellung als Verhöhnung Jesus' und
Gottes.
Der Schriftsteller, den Rainer-Maria Rilke,
gemeinsam mit Lou Andreas-Salomé, im Vorjahr
besuchte, widmete sein Leben und Werk der Suche nach
dem Sinn des Lebens, nach dem wahren Glauben und der
Gerechtigkeit. Das Leben hatte nützlich zu sein, dem
Menschen Seelenfrieden zu ermöglichen, was u. a.
auch die Kirche verhinderte. Tolstoi war hin- und
her gerissen zwischen seinen Theorien und der
eigenen Verwirklichung, wollte seinen Reichtum
verschenken, seine Nahrung selbst anbauen und
ernten, seine Schuhe selber nähen und hatte durch
seinen Geisteswandel starke Konflikte mit seiner
Ehefrau zu bewältigen, die ihm wiederum dreizehn
Kinder geboren hatte und das Erbe nicht an die Welt
verteilt sehen wollte. Am Ende seines Lebens floh er
vor ihr und starb 1910 auf einer Bahnstation.
Siegmund Freud veröffentlichte 1901 seine Schrift
„Zur Psychopathologie des Alltagslebens“, in der u.
a. die Freud’schen Versprecher behandelt wurden,
aber auch das Vergessen, der Aberglaube und Irrtum.
Freud ging davon aus, dass z. B. Versprecher nicht
zufällig waren, sondern unbewusste Absicht, ein
„Mechanismus des Unbewussten“. Auch das Vergessen
würde unbewusst aufgrund solcher Bedingungen
stattfinden und reine Verdrängung sein.
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