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Politik 1890-1899 – Imperialismus und
Hochkapitalismus
Die 1890er Jahre gehörten in politischer Hinsicht zu der vor allen durch
Imperialismus und Hochkapitalismus geprägten etwa
vierzig Jahre dauernden Schlussphase des „Langen 19.
Jahrhunderts“, das 1914 mit dem Ausbruch des Ersten
Weltkriegs endete. Einhergehend mit enormen
Bevölkerungszuwächsen, trotz massiver
Wirtschaftskrisen im Ergebnis wachsenden, wenn auch
in krasser Weise ungleich verteilten Wohlstandes,
sowie bahnbrechenden Neuerungen auf technischem und
wissenschaftlichem Gebiet formte sich
Nationalstaatsdenken und mit oft pseudo-religiösen
Sendungsbewusstsein verbrämter Kolonialismus weiter
aus. Die Großmächte nahmen sich das Recht, die Welt
unter sich aufzuteilen. Der breite Raum, den die
Politik der Bedeutung der in wirtschaftlicher und
sonstiger Hinsicht überschätzten („Autarkie-Denken“,
„Volk ohne Raum“-Theorie) Kolonien einräumte,
verstärkte häufig die Gegensätze zwischen den
Staaten und begünstigten die Ausbildung von
Chauvinismus-Tendenzen.
Die Wirtschaft der 1890er Jahre ist endgültig durch
die Ausbildung von relativ wenigen über enorme
Kapitalien verfügende Großbanken und Konzernen
geprägt. Hochfinanz und Großkapital dominierten
nicht nur wesentliche Bereiche der weitgehend
liberalisierten Wirtschaft, sondern verstanden es
auch, entscheidenden Einfluss auf politische
Entscheidungsfindungsprozesse zu nehmen. Durch die
Vergrößerung der Mittelschichten und wegen des
politischen Willens der alten Eliten,
Aufsteiger-Eliten stabilisierend in das herrschende
Herrschaftssystem zu integrieren, wurden die
Personenkreise, die auf parlamentarischer und auf
exekutiver Ebene ausschlaggebend waren, vergrößert.
Kaum Partizipation wurde dagegen den
kleinbürgerlichen und unterbürgerlichen Schichten
zuerkannt. In den einzelnen Ländern nahmen die
marxistischen und nicht-marxistischen
Arbeiter-Organisationen
im unterschiedlichen Umfang an Bedeutung zu: So
wurden die deutschen Sozialdemokraten zur starken
innenpolitischen Macht und wurden nach Aufhebung der
Sozialisten-Gesetze sogar kurze Zeit von Kaiser
Wilhelm II. im Sinne des Aufbaus einer
„Volksgemeinschaft“ umworben. Auch in England und
Frankreich spielten Gewerkschaften und
Arbeiterparteien zunehmend eine Rolle. Zugang zur
der Macht, etwa durch ein gerechteres Wahlsystem,
blieb ihnen aber genau wie im Deutschen Reich
verwehrt. In den USA dagegen war der
Organisationsgrad der Arbeiter gering. Streiks
wurden häufig in ähnlich rigider Weise wie im
zaristischen Russland unterdrückt.
Das viktorianische Großbritannien galt in den 1890er
Jahren als die führende Wirtschafts- und
Handelsmacht. Eine Position, die Großbritannien mit
militärischer Stärke zu behaupten wusste. In den
1890er Jahren war auch endgültig geklärt worden,
welchen Rang das in Europa und in Übersee über
Jahrhunderte mit Großbritannien um die Vorherrschaft
konkurrierende Frankreich einzunehmen hatte. Die
Interessen Frankreichs, ein von der
westafrikanischen Atlantik-Küste bis zum Indischen
Ozean reichendes afrikanisches Kolonialreich zu
schaffen, kollidierten mit den Interessen
Großbritanniens, Afrika von Ägypten bis Südafrika zu
beherrschen. Im sudanesischen Faschoda kam es zum
Aufeinandertreffen von französischen und britischen
Militärs. Die Faschoda-Krise endete 1898 mit einem
Zurückweichen Frankreichs. Allerdings beinhalteten
die entsprechenden von den Briten diplomatisch
geschickt formulierten Vertragsbestimmungen bei der
Festlegung der Interessensphären auch die Grundlagen
der späteren französisch-britischen „Entente
Cordiale“.
Diese an sich anbahnende Koalition war gegen das
neudeutsche Kaiserreich gerichtet.
Als neuer „Global Player“ hatte sich das seit 1871
geeinte Deutschland rasch einen Top-Platz unter den
Wirtschaftsmächten geschaffen. Unter der Führung von
Reichskanzler Bismarck hatte es aber auf
Konfrontation mit den etablierten Großmächten auf
außenpolitischem Gebiet verzichtet. Stattdessen
hatte das Bismarcksche Vertragssystem Stabilität und
Frieden garantiert. Nach der Entlassung Bismarcks
und der Übernahme der Außenpolitik durch den
dilettantischen und sich an Prestige orientierenden
Kaisers Wilhelm II. wurde der in diesem
Vertragssystem entscheidende
Rückversicherungsvertrag mit Russland 1890 nicht
erneuert. In Folge näherten sich Frankreich und
Russland an und das sich selbst überschätzende
„Wilhelminische Reich“ stand am Ende der Dekade
außenpolitisch weitgehend isoliert da.
Neben dem Deutschen Reich gewannen zwei weitere
Staaten auf der Weltbühne zunehmend an Bedeutung. In
Ostasien schickte sich das durch westliches Know-how
aufgerüstete Kaiserreich Japan an, Hegemonialmacht
zu werden. Der Sieg im Krieg gegen China (1894/95),
die Annexion Taiwans (1895) und der Beginn des
Aufbaus einer modernen Marine (1896) standen am
Anfang weiterer Expansionen.
Die USA waren die andere neue Macht. An
wirtschaftlicher Stärke begannen sie Großbritannien
zu überflügeln.
Gleichzeitig schlugen die USA ebenfalls einen
imperialistischen Kurs ein. Nach dem endgültigen
Sieg über die Indianer (Massaker von Wounded Knee,
1890) galt die Binnen-Expansion als abgeschlossen.
In einer von nationalistisch aufgeheizter Stimmung
gekennzeichneten Situation setzten sich
imperialistische Kräfte wie Theodore Roosevelt
durch: Es kam 1898 zu einem „Splendid Little War“
gegen die von Niedergang gezeichnete alte
Amerika-Kolonialmacht Spanien. Im Ergebnis wwurde
die ehemalige Kolonie USA selbst zur Kolonialmacht:
Kuba wurde US-Protektorat und die Philippinnen eine
US-Besitzung.
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